Seit Wochen ringen die Senatoren und Abgeordneten der rot-roten Koalition darum, einen tragfähigen Haushaltsplan für 2010 und 2011 aufzustellen. Die Zeit drängt. Am 22. Juni will der Senat in Klausur gehen, einen Tag später dann das Zahlenwerk verkünden.
Um sich auf komplizierte Tarifverhandlungen mit den Gewerkschaften vorzubereiten, fehlte den Senatoren und ihren Beamten offenbar die Zeit. Zur Überraschung der Arbeitnehmervertreter sagte die Landesregierung gestern die für heute angesetzten Verhandlungen ab. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) führte die Finanzkrise ins Feld, die derzeit kein seriöses Angebot für die Entlohnung der 50?000 Arbeiter und Angestellten im Landesdienst zulasse.
Ver.di-Verhandlungsführerin Astrid Westhoff kritisierte, der Senat spiele auf Zeit. Die Gewerkschaften vermuten, dass finanzielle Gründe hinter der Absage stecken, zumal der Senat selber einräumt, dass ein neuer Termin allenfalls in mehreren Wochen in Frage komme. Der Senat sei sich noch nicht einig über die Verhandlungslinie, sagte ein Senatsmitglied.
Die Materie ist kompliziert: Seit 2003 verzichten die Mitarbeiter auf rund zehn Prozent Gehalt, müssen dafür aber kürzer arbeiten. Ende 2009 läuft dieser Solidarpakt aus, die Beschäftigten werden wieder ihre alten Gehälter und Arbeitszeiten bekommen. Für diesen Kostensprung hat die Koalition 300 Millionen Euro in ihrer Finanzplanung vorgesehen, die im Haushalt berücksichtigt werden müssen.
Während die Berliner Staatsdiener ihren Sparbeitrag für den Landeshaushalt lieferten, hat sich aber die Welt weitergedreht. Bundesweit einigten sich öffentliche Arbeitgeber und Gewerkschaften auf ein modernisiertes Tarifrecht. Andere Länder bewilligten ihren Mitarbeitern zudem beachtliche Lohnerhöhungen. Wenn Ver.di als Ziel von Verhandlungen eine Einführung des neuen Tarifrechts auch in Berlin ausgibt, ist darin auch eine Angleichung an die anderswo höheren Gehälter enthalten.
Aber für höhere Gehälter über den Ausgleich des bisher geleisteten Verzichts hinaus sieht der Senat keinen Spielraum. Man könne ja schlecht Tarifverhandlungen führen mit der Ansage, „es gibt nichts“, heißt es aus der Koalition. Zunächst müsse sich Rot-Rot verständigen, was man den Gewerkschaften überhaupt bieten könne.
Die Arbeitnehmervertreter haben ein grundsätzliches Interesse, dass die Tarife in Berlin, wie bereits anderswo geschehen, modernisiert werden. Sie möchten den Osten Berlins in das Tarifgebiet West eingliedern und die Übernahme der Auszubildenden sichern.
Aber ganz ohne ein finanzielles Entgegenkommen des Senats werden die Gewerkschafter wohl kaum einem von Teilen der Koalition angestrebten Stufenplan für die Angleichung der Tarif-Verhältnisse an andere Bundesländer zustimmen. Zumal im neuen Tarifrecht vielen Mitarbeitern niedrigere Eingruppierung und Verzicht auf Zulagen drohen. „Nach Jahren der Einkommensabsenkung ist der Nachholbedarf groß“, sagt Westhoff.
Aber der Senat hat keine Eile, denn er weiß, dass es teuer würde, diese Wünsche zu erfüllen. Es geht nicht nur um 50?000 Arbeiter und Angestellte, sondern auch um 66?000 Beamte, die nicht auf Dauer anders behandelt werden können, sowie die Mitarbeiter öffentlicher Einrichtungen wie Universitäten oder Kita-Eigenbetriebe, die den Solidarpakt übernommen hatten. Jedes Prozent Lohnerhöhung könnte sich für den Landesetat auf deutlich mehr als 50 Millionen Euro jährlich summieren.
Neue Milliardenschulden sicher
Der frühere Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) hatte seinen Kollegen geraten, sich nicht allzu sehr zu beeilen, um mit den Gewerkschaften eine Einigung zu finden. Je mehr sich die Wirtschaftskrise zuspitze und Menschen ihre Jobs verlören, umso schwieriger wäre es für die Gewerkschaften, Forderungen nach umfangreichen Lohnerhöhungen zu rechtfertigen.
Und die Haushaltslage ist dramatisch, neue Milliardenschulden sind unausweichlich. Bereits zugesagte Mehrausgaben für Bezirke, Hochschulen, Kitas und Schulen gefährden ohnehin das Ziel der Koalitionsspitzen, die Ausgabenlinie mit einem Plus von 1,3 Prozent nur moderat ansteigen zu lassen.
Für Rot-Rot scheint es in dieser Lage politisch opportuner, lieber nicht zu verhandeln, als vor der Bundestagswahl als kaltherzige Arbeitgeber dazustehen.