Nach der Reform

Berliner Sitzenbleiber müssen Schule verlassen

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Katrin Lange und Regina Köhler

Foto: dpa-tmn / DPA

Die Schulreform führt zu einem gravierenden Problem für Berliner Gymnasiasten. Schüler, die in diesem Jahr in der elften Klasse sitzen bleiben, können nicht mehr an ihrem alten Gymnasium das Abitur machen. Grund: Die Klasse, die sie wiederholen müssten, wird nicht mehr angeboten.

Berliner Gymnasiasten, die im Sommer in der elften Klasse sitzen bleiben, können nicht mehr an ihrem alten Gymnasium das Abitur machen. Denn die Klasse, die sie wiederholen müssten, wird nicht mehr angeboten. Bisher gilt nämlich die elfte Stufe als Einführungsjahr. Ab dem neuen Schuljahr, in dem die Gymnasien in Berlin einheitlich auf zwölf Schuljahre umstellen, ist es bereits die zehnte Klasse. Das elfte und zwölfte Schuljahr gelten dann als Kursphase. Die Betroffenen müssen von ihrer Schule abgehen.

Für diese Schüler – im vergangenen Schuljahr waren es 168 – wird laut Bildungsverwaltung zum kommenden Schuljahr in je einem Gymnasium pro Bezirk eine elfte Klasse eingerichtet. Dort haben sie die Möglichkeit, den Stoff zu wiederholen und sich für die Kursphase zu qualifizieren. Jens Stiller, Sprecher von Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD), sagte dazu: „Noch steht nicht fest, welche Gymnasien diese zusätzlichen elften Klassen einrichten werden.“ Auch wisse man noch nicht, um wie viele Gymnasiasten es sich handeln werde. Die Schüler könnten allerdings auch an eine Sekundarschule oder an ein Oberstufenzentrum wechseln, so Stiller.

Zusätzliche elfte Klassen

Ralf Treptow, Vorsitzender der Vereinigung der Oberstudiendirektoren, hält die Einrichtung zusätzlicher elfter Klassen an einigen Gymnasien für einen möglichen Weg. Er gibt allerdings zu bedenken, dass in diesen Klassen dann nur Wiederholer unterrichtet würden. „Das dürfte kompliziert werden“, sagt er. Auch sei es sicher nicht so einfach, Gymnasien zu finden, die sich territorial gut über die Stadt verteilten.

Die meisten Eltern werden angesichts der Einrichtung zusätzlicher elfter Klassen aufatmen. Ende März verschickte zum Beispiel die Zehlendorfer John-F.-Kennedy-Schule blaue Briefe an Eltern von Elftklässlern, die für große Unruhe sorgten. Darin wurden die Eltern gewarnt, dass die Versetzung ihrer Kinder gefährdet sei oder die Leistungen generell nicht ausreichten. Sollte eine Versetzung in die zwölfte Klasse nicht möglich sein, müsse das Kind die Schule verlassen und an eine andere Einrichtung wechseln, die eine dreijährige Oberstufenphase anbietet. Dafür wären bislang nur die neuen Sekundarschulen oder Oberstufenzentren infrage gekommen.

„Das Problem besteht nur in diesem Jahr“, sagt Kathrin Röschel, Schulleiterin an der John-F.-Kennedy-Schule. Die deutsch-amerikanischen Schule sei zwar kein Gymnasium, dennoch werde das Abitur aufgrund der Schulreform jetzt auch dort nach zwölf Jahren abgelegt. Die Umstellung auf die um ein Jahr verkürzte Oberstufe führe zu einem Doppeljahrgang und einem veränderten Kurssystem. Daher könne die 11. Klasse nicht an einer Schule wiederholt werden, die das Abitur nach zwölf Jahren anbietet. Noch sei aber nicht sicher, ob überhaupt ein Schüler der 11. Klasse sitzen bleibe, sagt die Schulleiterin. Der Brief sei lediglich eine Vorwarnung gewesen. Sie gehe davon aus, dass sich jede Schule bemühen werde, möglichst alle Elftklässler zu versetzen.

Eltern sind verunsichert

Für eine Mutter (Name ist der Redaktion bekannt) , deren Kind einen blauen Brief bekommen hat, sind dennoch viele Fragen offen. Und dabei geht es nicht nur darum, dass viele Eltern von dieser Regelung überrascht wurden. „Die Politiker haben nicht verstanden, im Zusammenhang mit der Schulreform eine Lösung für die elfte Klassen zu finden“, sagt die Mutter. Was sei denn mit den Schülern, die ein Jahr ins Ausland gehen, gibt sie zu bedenken. Sie sieht die derzeitigen Elftklässler eindeutig von der Reform benachteiligt.

André Schindler, Vorsitzender des Landeselternausschusses, kritisiert indes die Informationspolitik vieler Schulen. „Es gibt immer noch Eltern, die nicht über den Schulwechsel, der ansteht, wenn ihr Kind die elfte Klasse wiederholen muss, informiert worden sind“, sagte er. Das hätte alles bereits Anfang des Schuljahres passiert sein müssen, betonte Schindler und forderte, die Information jetzt schnellstens nachzuholen.

Am Lessing-Gymnasium in Mitte indes hat Schulleiter Michael Wüstenberg über das Mitteilungsbuch alle Lehrer zu Beginn des Schuljahres über die neue Regelung informiert. „Die Klassenlehrer der elften Klasse habe ich noch einmal extra daraufhin angesprochen“, sagt Wüstenberg. Auch am John-Lennon-Gymnasium in Mitte wurde den Schülern der elften Klasse an einem Informationstag für die Oberstufe Anfang des Jahres mitgeteilt, dass Sitzenbleiber die Schule verlassen müssten.