Polizisten fühlen sich bei Mai-Krawallen "verheizt"
Einsatz in Kreuzberg
Polizisten fühlen sich bei Mai-Krawallen "verheizt"
| Lesedauer: 3 Minuten
Gilbert Schomaker und Michael Behrendt
Berliner Polizisten und ihre Hamburger Kollegen, die zur Verstärkung in Kreuzberg waren, greifen die Strategie der Polizeiführung und auch Innensenator Körting scharf an. Sie beklagen den Verzicht auf Wasserwerfer und Schutzkleidung. Laut Hamburger Polizeigewerkschaft wurden die Beamten "zum Steinigen freigegeben".
Die Vorwürfe gegen Vorgehen und Taktik der Berliner Polizei bei den Mai-Krawallen vom vergangenen Freitag werden heftiger. Der Hamburger Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Joachim Lenders, warf Innensenator Ehrhart Körting vor, die in Berlin eingesetzten Einheiten der Hamburger Bereitschaftspolizei „zum Steinigen freigegeben“ zu haben.
Laut Polizei-Bilanz wurden bei den Krawallen 440 Polizisten verletzt, erheblich mehr als in den vergangenen Jahren. Nach Einschätzung des Hamburger Polizeigewerkschafters Lender sind die Polizisten in Berlin „verheizt“ worden. „So etwas habe ich noch nicht erlebt. Es war unfassbar“, so Lenders. Insgesamt hatte Hamburg drei seiner fünf Hundertschaften der Bereitschaftspolizei nach Berlin geschickt.
Besonders sauer stößt Lenders auf, dass jetzt auch den Hamburger Polizisten und anderen auswärtigen Einheiten die Schuld für das Desaster in die Schuhe geschoben werden soll. Es gebe Äußerungen, nach denen die auswärtigen Kräfte nicht mit der Berliner Taktik klargekommen seien. „Das ist eine Frechheit“, so Lenders. „Die Verantwortlichen in Berlin sollten ihren Hut nehmen.“
Berliner Polizisten beklagen Gebot zur äußersten Zurückhaltung
Nach Informationen von Morgenpost Online gibt es auch innerhalb der Berliner Polizei erhebliche Kritik an der Führung. Nach Angaben mehrerer Polizisten sei in der Polizeiführung in erster Linie darauf geachtet worden, dass sich die Einheiten zurückhaltend und möglichst unauffällig verhalten sollten, um nicht zu provozieren. „Wir sollten uns sogar in Hauseingängen verstecken, damit ja nichts passiert“, so ein Betroffener. „Es hieß, jede Uniform an diesem Tag sei im Kiez eine Provokation. Und das von unseren eigenen Vorgesetzten.“ Polizeipräsident Dieter Glietsch widersprach diesen Darstellungen.
Zudem berichteten Bereitschaftspolizisten, dass ihnen das Tragen feuerhemmender Gesichtsmasken untersagt worden sei, weil ihr Anblick dadurch zu martialisch sei. Dies trifft laut Dieter Glietsch nicht zu. „Brandschutzmasken gehören nicht zur Ausstattung der Berliner Einsatzkräfte“, heißt es in einer Stellungnahme. Für die Beamten eine geschickte Darstellung: „Genau genommen stimmt das sogar, diese Masken wurden vor Monaten angeschafft, aber niemals an uns ausgeben. Somit gehören sie nicht zur Ausstattung, wären aber verfügbar“, berichtet ein Betroffener.
Verzicht auf Wasserwerfer
Ferner sei – ebenfalls um eine Deeskalation nicht zu gefährden – angewiesen worden, keine Wasserwerfer einzusetzen. Statement der Polizeiführung: Das Einsatzkonzept habe vorgesehen, den Aktionsraum von Gewalttätern zu begrenzen und möglichst viele Straftäter beweissicher festzunehmen. „Dies kann mit dem Einsatz von Wasserwerfern nicht erreicht, sondern, im Gegenteil, nur vereitelt werden.“ Das hätten die Erfahrungen in den früheren Jahren gezeigt. Deshalb habe der Einsatz von Wasserwerfern unter dem „Entscheidungsvorbehalt des Einsatzabschnittsführers in Kreuzberg gestanden. Es habe keine Veranlassung für einen Einsatz gegeben. „Gerade bei den Zwischenfällen auf der Wiener Straße hätte uns dieses Einsatzmittel gute Dienste leisten können“, so ein Betroffener. „Man wollte aber offenbar die Bilder im Fernsehen nicht.“
Auch die Kritik, dass eine seitliche Begleitung der revolutionären Mai-Demo untersagt worden sei, obwohl nach Informationen von Morgenpost Online Erkenntnisse vorlagen, wonach schon unmittelbar nach Beginn der Demonstration Straftaten verübt werden könnten, wies die Polizeiführung zurück. Die Fachdienststellen hätten Gewalttaten während der Demonstration als eher unwahrscheinlich eingeschätzt. Deshalb sei diese Begleitung nur für den Fall von Gewalttaten angeordnet und so auch umgesetzt worden. „Wären wir gleich von Anfang an neben den Autonomen gewesen, hätten sie nicht derart agieren können“, so ein Beamter wütend, dessen Kollege verletzt wurde.