Morgenpost Online: Herr Körting, teilen Sie die Ansicht des Polizeipräsidenten, dass dieser 1. Mai so friedlich ausgeht wie der 1. Mai vor einem Jahr? Die Zeichen stehen doch ziemlich deutlich auf Krawall.
Ehrhart Körting: Ja, da habe ich eine ähnliche Einschätzung. Ich glaube, man muss verschiedene Dinge ganz deutlich auseinanderhalten. Das politische Klima in der Bundesrepublik Deutschland ist in diesem Jahr rauer, gerade wegen der Wirtschaftssituation. Viele Menschen haben das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, wenn sie sich die Boni von Bankmanagern angucken und selbst auf Kurzarbeit sind. Ich glaube, dass das zu einer stärkeren Emotionalisierung und zu lautstärkeren Protesten führt als bisher.
Morgenpost Online: Aber nicht zu mehr Gewalt?
Körting: Ja, denn das sagt gar nichts aus über Gewalt. Wenn ich mir ansehe, was es an Aufrufen gibt im linksextremistischen Bereich in diesem Jahr, dann unterscheidet sich das durch nichts von den Aufrufen im vergangenen Jahr. Wir haben jedes Jahr Grüppchen gehabt, die pseudorevolutionär oder martialisch aufgerufen haben. Die haben wir in diesem Jahr auch. Es deutet im Moment nichts darauf hin, dass wir am 1. Mai organisierte Krawalle haben werden. Natürlich werden wir einzelne Gruppen haben, die das eine oder andere vom Zaun brechen, wenn Alkohol im Spiel ist. Aber es deutet nichts darauf hin, dass wir zurückfallen in Zeiten, als wir hier Straßenschlachten hatten.
Morgenpost Online: Sind Sie da nicht zu optimistisch? Zumindest die Polizei selbst ist offenbar anderer Meinung. In einer Gefahrenanalyse ist die Rede davon, dass man wieder Randale erwartet und von der höchsten Gefahrenstufe ausgeht.
Körting: Dass wir einzelne Leute haben werden, die sich zu Gewalttaten hinreißen lassen, ist in unserem Raster höchste Gefahrenstufe. Das haben wir aber letztes Jahr auch gesagt. Was wir zusätzlich haben, ist die Frage, ob der eine oder andere Gewalttäter den 1.Mai nutzen wird, um Autos in Brand zu setzen. Das ist aber nicht bezogen auf Demonstrationen, sondern auf einzelne Täter. Dem wird die Polizei dadurch begegnen, indem es neben der Beobachtung besonderer Brennpunkte auch wieder eine besonders intensive Raumdeckung geben wird.
Morgenpost Online: Die Polizei sieht das vielleicht etwas anders. Die Mayday-Parade soll nicht durch die Friedrichstraße führen, weil Sachbeschädigungen befürchtet werden. Ist das nicht eine neue Qualität, dass man wieder vom Rande der Demonstrationen Gewalttaten erwartet?
Körting: Die Demonstrationen, die wir im letzten Jahr gehabt haben, sind praktisch alle gewaltfrei verlaufen. Es gab immer einen Schwarzen Block und Einzelne, die bereit zu Gewalt waren. Die Einschätzung der Polizei, die Friedrichstraße bei der erwarteten Teilnehmerzahl von 10000 Teilnehmern nicht freizugeben, ist eine aus fachlicher Sicht der Polizei getroffene Einschätzung, die sich auch auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom März stützen kann. Die Polizei glaubt nicht, dass die Mayday-Parade als Ganzes gewalttätig wird, sondern dass es Einzelne geben könnte, die Gewalt ausüben, und das wäre in der Friedrichstraße schwerer zu beherrschen als anderswo.
Morgenpost Online: In Köpenick veranstaltet die NPD eine Kundgebung, es gibt Gegendemos, und das Basketball-Final-Four der Euro League mit zwei verfeindeten griechischen Mannschaften findet statt. Gibt es die Gefahr, dass sich da in Kreuzberg etwas aufschaukeln könnte?
Körting: Nein, in Kreuzberg wird sich das nicht auswirken. Aber beide Ereignisse – die erfreuliche Tatsache, dass wir hier die Final Four haben, das ist eigentlich ein Geschenk an die Stadt – binden natürlich die Polizei. Von beiden Veranstaltungen geht nach meiner Einschätzung aber keine Signalwirkung nach Friedrichshain-Kreuzberg aus. Ich hoffe, dass wir auch mithilfe anderer Bundesländer ausreichend Polizei zur Verfügung haben. Das tritt aber in Konkurrenz damit, dass die NPD auch in anderen Ländern Demonstrationen angemeldet hat. Wir werden aber schon sehen, dass wir eine ähnliche Polizeistärke haben wie 2008.
Morgenpost Online: Wie schätzen Sie die linksextremistische Szene im Moment ein, auch angesichts der täglichen Brandanschläge auf Autos? Ist die Linke gewaltbereiter? Kann man von den Brandanschlägen Rückschlüsse auf den 1.Mai ziehen?
Körting: Nein. Es geht bei den Brandanschlägen nicht um organisierte Gruppen, die angeleitet werden. Es geht um Leute, die in Kleinstgruppen emotionalisiert werden und die sich dann spontan entscheiden, irgendetwas zu machen.
Morgenpost Online: Wenn Sie konstatieren, die soziale Lage trage zum Aufschaukeln bei – müsste man dann andere Strategien fahren, um die Gewaltbereitschaft zurückzudrängen?
Körting: Das müsste man, wenn man aus der wirtschaftlichen Schieflage eine höhere Gewaltbereitschaft schließen würde.
Morgenpost Online: Das sehen Sie nicht?
Körting: Nein, im Gegensatz zum DGB-Chef sehe ich das nicht. Natürlich werden Einzelne im Alkoholrausch am 1. Mai Gewalt ausüben. Ich bin kein Träumer. Aber ich sehe im Moment nicht, dass sich der Trend ändert.