Wenn die Bundestagsabgeordneten und ihre Mitarbeiter früh am Morgen in eines der rund 1000 Büros im Paul-Löbe-Haus eilen, umfängt sie bereits geschäftige Baustellen-Atmosphäre. Mit Flatterband sind Flurbereiche abgesperrt, der Westeingang ist gar nicht mehr zugänglich, auf dem Dach sind Bauarbeiter auszumachen, an der West- und Ostfassade wird mit schwerem Gerät das Fundament freigelegt. Das Bundestagsgebäude wurde zwar erst 2001 eröffnet - muss aber wieder saniert werden. Das glasgedeckte Hallendach hat sich abgesenkt, Scheiben sind gesprungen, die Fassadenkonstruktion hat sich verzogen.
Vor knapp zehn Jahre zog die Bundesregierung nach Berlin. Doch wie im Paul-Löbe-Haus müssen derzeit in vielen der eigens errichteten Bundesbauten Bauarbeiter anrücken, weil Planungs- oder Ausführungsfehler Sanierungen notwendig gemacht haben. Angesichts der stetig anwachsenden Mängelliste hat der Vorsitzenden des Bundestags-Haushaltsausschusses, Otto Fricke (FDP), einen Schadensbericht von der Bundesregierung angefordert. Dieser liegt nun vor - und offenbart einen Sanierungsbedarf von rund 67 Millionen Euro. Da in der Expertise nur die "wesentlichen" Schäden - ab eine Million Euro pro Haus - erfasst wurden und bei vielen Gebäuden die Kosten einer Sanierung noch gar nicht ermittelt wurden, ist die Endsumme nur als vorläufig zu betrachten.
Reparatur fast so teuer wie Neubau
Am teuersten wird nach Angaben des Gutachtens die Sanierung des Bauministeriums an der Invalidenstraße. Rund 45 Millionen Euro hat das Gebäude gekostet, die Reparaturen werden nun mit 36,5 Millionen Euro fast ebenso teuer. "Durch die Regulierung aus Vergleichen reduziert sich der finanzielle Aufwand auf rund 25,5 Millionen, die im Bundeshaushalt veranschlagt sind", heißt es im Mängelprotokoll.
Auch das bereits eingangs erwähnte Paul-Löbe-Haus, das mit dem Marie-Elisabeth-Lüders-Haus durch eine Brücke über die Spree verbunden ist und eine architektonische Einheit bildet, hat einen enormen Finanzbedarf. Für fünf Millionen Euro müssen 174 Rauch-Wärme-Abzugsklappen auf den Dächern erneuert werden, 18 Millionen Euro verschlingt zudem der Austausch sämtlicher Fenstertüren-Beschläge.
Das Bauministerium hofft jedoch, die Kosten nicht selbst tragen zu müssen. "Die Mängelbeseitigungskosten", heißt es, "werden in voller Höhe gegenüber der Herstellerfirma und der Generalplanerin gerichtlich geltend gemacht." Das mit seinen großzügigen Glasfassaden transparent wirkende Paul-Löbe-Haus hat darüber hinaus noch ein weiteres gravierendes Problem: An der Ost- und Westfassade springen die Glasscheiben. Die Ursache: "Die Westfassade hat sich teilweise stärker als vorausberechnet gesenkt, so dass nun zwei der hängenden Fassadenstützen unten aufsitzen." Konsequenz: Die Fassade muss an diesen Stellen neu ausgerichtet werden, der Schaden schlägt mit rund 1,5 Millionen Euro zu Buche. Da die Glasbrüche erst nach Ablauf der Gewährleistungsfrist auftraten, trägt der Bund sämtliche Kosten.
Auch am Kanzleramt schwere Mängel
Auch der Arbeitsplatz von Angela Merkel, das Kanzleramt, hat schwere Mängel. Die Wintergarten-Dachverglasung löst sich aus den Rahmen, schuld sind offensichtlich Materialfehler der Dichtungsbänder (2 Millionen Euro). Auch die Sprinkleranlage ist defekt. Kosten: 1,3 Millionen Euro, von denen über die Versicherung immerhin 1,1 Millionen Euro abgedeckt sind.
Auch das im Januar 2002 fertig gestellte Jakob-Kaiser-Haus, dem größten der Parlamentsneubauten mit mehr als 1700 Büros, bröckelt das Glas. Die Gläser wurden daher bereits mit einer Schutzfolie beklebt. "Zum Schutz der Nutzer wurde zusätzlich ein Netz vor die Glasfassaden gespannt", heißt es im Bericht. Die Gläser müssen nun ausgetauscht werden. Die Kosten von zwei Millionen Euro trägt auch hier der Bund, weil die Gewährleitungsfrist bereits abgelaufen ist.
Doch auch das flache Glasdach des Hauses ist nicht dicht. Die Frage der Ursache ist derzeit Gegenstand eines Gerichtsverfahrens - genauso wie die Kosten von 400.000 Euro, die die Sanierung bereits verschlungen hat. Insgesamt, so das bisherige Fazit des Schadensberichts, lasse sich eine "auffällige Häufung" der Mängel im Zusammenhang mit "innovativen und großflächigen Glaskonstruktionen" beobachten.
Putz-Schäden an der Fassade des Finanzministeriums
Probleme gibt es auch mit geborstenen Glasoberlichtern im Reichstagstunnel, dem Fußgängertunnel, der das Jakob-Kaiser-Haus mit dem Reichtagsgebäude verbindet. Die Kosten der Sanierung wurden noch nicht ermittelt. Auch der finanzielle Aufwand, den die Beseitigung von Putz-Schäden an der Fassade des Finanzministeriums sowie die in Teilen abbröckelnde Putzdecke im Auswärtigen Amt erfordern wird, ist noch nicht bekannt.
"Die Vielzahl der Baumängel und die Höhe der Beseitigungskosten sind Besorgnis erregend", sagt Otto Fricke. Das Mängelprotokoll würde eins sehr deutlich zeigen: "Die Bauherreneigenschaft der Bundesregierung ist, gelinde gesagt, verbesserungsfähig", so der Vorsitzende des Haushaltsausschusses. Spätestens jetzt, so der Haushaltsexperte, sei die Bundesregierung aufgefordert, ihr Baumanagement und Controlling "gerade auch mit Blick auf die laufenden und zukünftigen Bauvorhaben im Interesse der Steuerzahler erheblich zu verbessern".
Regierungsviertel wird erweitert
Denn die Bauarbeiten im Parlaments- und Regierungsviertel am Spreebogen sind noch nicht abgeschlossen. Das Innenministerium soll gegenüber des Kanzleramts auf dem Moabiter Werder entstehen. Das Haus mit Platz für 1100 Mitarbeiter entsteht nach Plänen der Berliner Architekten Thomas Müller und Ivan Reimann. Die Arbeiten sollen 2011 beginnen und 2014 abgeschlossen werden. Die Kosten sind mit 200 Millionen Euro veranschlagt.
Auch das Bildungs- und Forschungsministerium, bisher auf zwei Standorte an Hannoverscher und Friedrichstraße aufgeteilt, bekommt einen Neubau. Bis Ende 2013 soll der neue Dienstsitz auf dem Gelände des Bundespressestrands am Kapelleufer entstehen. Zudem möchte der Bundestag zwei Häuser ausbauen. Das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus bekommt einen Anbau an der Luisenstraße. Der Münchner Architekt Stephan Braunfels baut einem 36 Meter hohen Turm aus Glas an.