Die Entschuldigung von Erzbischof Robert Zollitsch sah M.Z. im Fernsehen. Es war die dritte, „im Namen der Kirche“ diesmal. Zweimal vorher schon hatte man ihn um Verzeihung gebeten: Ganz zu Beginn der Diskussion um Missbrauch an katholischen Institutionen hatte Pater Klaus Mertes, jetziger Rektor des Canisius-Kollegs, einen Rundbrief an alle „betroffenen Jahrgänge“ verschickt. Einige Wochen später hatte der Provinzial der Jesuiten in einer Presserklärung von „Scham“ und „Schande“ gesprochen. „Das tut gut, aber es ist nicht genug“, schreibt M.Z. nun in einem offenen Brief. Und: „Sie wollen Wunden heilen, aber Sie machen keine Aussagen dazu, wie Sie dazu beitragen wollen.“
M.Z. war Schüler am Canisius-Kolleg. Über seine Anwältin Manuela Groll ließ er am Freitag seinen Brief an vier Zeitungen und die betreffenden kirchlichen Institutionen schicken. Groll vertritt mittlerweile mindestens 14 Mandanten, die als Kind oder Jugendliche von Jesuitenpatern sexuell missbraucht wurden, die Mehrzahl in den 70er- und 80er-Jahren am Canisius-Kolleg. „Der Brief spricht vielen Opfern aus der Seele, vier weitere meiner Mandanten würden ihn sofort unterschreiben“, sagte Groll dazu gestern. Nur per E-Mail ist M.Z. zu erreichen, er möchte anonym bleiben. Bis 1982 sei er an dem Jesuitengymnasium Schüler gewesen, schreibt er. „Ich war einer in einer langen Reihe von Opfern, der allerdings das Pech hatte, beiden Herren zu begegnen.“
Der Zwischenbericht, den die Beauftragte des Ordens für das Thema Missbrauch, Rechtsanwältin Ursula Raue, in der vergangenen Woche vorlegte, sei nicht zufriedenstellend, „weil er keine Verantwortlichen benennt“, schreibt M.Z. Er fordert vom Jesuitenorden und den deutschen Bischöfen Genugtuung. „Wer übernimmt Verantwortung für das Vertuschen der Taten, die vor 30 Jahren mein Leben und das vieler anderer verletzt haben? Wer dafür, dass viele Opfer hätten vermieden werden können?“ Dass die katholischen Institutionen ihre Schuld eingestanden haben, habe ihn „positiv überrascht“. Nun erwarte er „Genugtuung für das Versagen einer Institution, die mich nicht beschützt hat als es darauf ankam – und die anschließend alles dafür getan hat, damit mir jede weltliche Gerechtigkeit versagt bleibt.“
M.Z. schreibt auch, dass Mitbrüder der beschuldigten Patres „mehrfach die Beschwerden von Eltern abgebügelt haben“. „Das waren Vertreter von Hierarchien und Organisationen, dies sind Strukturen und Institutionen. Und um deren Verantwortung geht es mir.“ Beide Patres waren vom Canisius-Kolleg aus 1979 beziehungsweise 1982 an andere Schulen und Jugendeinrichtungen versetzt worden und hatten dort weiter Kinder und Jugendliche missbraucht.
„Deshalb klage ich Sie an“, schreibt M.Z. „Sie sind schuldig geworden durch Wegsehen, Vertuschen und Verschweigen“. Nicht einmal nachträglich sei versucht worden, etwas für die Opfer zu tun. Sie seien einfach vergessen worden. Und nun die Entschuldigungsversuche seitens der Kirche.
„Seit mehr als 30 Jahren trage ich die Folgen Ihres Versagens als Institution mit mir herum, und auch wenn ich gelernt habe, damit zu leben wie mit einer Behinderung, so werde ich sie doch nicht los“, schreibt M.Z. „Wenn Sie Ihre strukturellen Sünden wirklich bereuen, dann zeigen Sie ihre Reue und geben Sie Genugtuung.“ Wiedergutmachung, Entschädigung – das seien nicht die richtigen Worte, denn das Zerstörte lasse sich nicht wieder gut machen oder entschädigen. Er fordert auch eine „finanzielle Genugtuung“. Und: „Benennen Sie endlich Verantwortliche und öffnen Sie Ihre Archive externen Ermittlern!“ Nur so könne ihm und anderen geholfen werden, die Folgen besser zu verschmerzen.
M.Z. hofft jetzt, dass bei der katholischen Kirche hinter den Bitten um Verzeihung „echte Einsicht und Umkehr“ stehen. „Dann will ich auch über Vergebung reden.“