200 Jahre Polizeipräsidium

Der Preußenschlag machte den Weg frei für Hitler

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Sven Felix Kellerhoff

Foto: bmo

Mit dem Preußenschlag wurde am 20. Juli 1932 die geschäftsführende Regierung des Landes Preußen durch einen Reichskommissar ersetzt, die nicht mehr durch eigene parlamentarische Mehrheit gestützte war. So ging die Staatsgewalt im größten Land des Deutschen Reiches auf die Reichsregierung über, die Machtergreifung Hitlers wurde entscheidend erleichtert.

Albert Grzesinski trägt Schwarz am 20. Juli 1932. Das ist Zufall: Er will an diesem Mittwoch dienstlich zu einer Beerdigung; ein verdienter Kriminalrat soll beigesetzt werden. Doch dann muss Berlins Polizeipräsident kurzfristig absagen.

Denn an eben diesem 20. Juli 1932 wird in Preußens Hauptstadt der Rechtsstaat zu Grabe getragen. Grzesinski, der seinen Posten als SPD-Politiker bekommen hat, erfährt um 11.20 Uhr, dass Reichspräsident Paul von Hindenburg über ganz Preußen den Ausnahmezustand verhängt hat. Die Reichswehr übernehme die Macht, teilt General Gerd von Rundstedt telefonisch mit. Sein Nachfolger werde der bisherige Polizeipräsident von Essen, Kurt Melcher, erfährt Albert Grzesinski noch - dann ist die Leitung tot. Überall im Polizeipräsidium am Alex ziehen Soldaten auf.

Als "Preußenschlag" ist dieser Staatsstreich von oben gegen die demokratisch gesinnte, von der SPD dominierte Verwaltung des größten Teilstaates im Reich bekannt geworden. Damit will die reaktionäre Regierung unter Reichskanzler Franz von Papen den verhassten "roten Preußen", Ministerpräsident Otto Braun, und seine Anhänger aus dem Weg räumen, die hartnäckig den Rechtsstaat verteidigen. Der Schlag gelingt.

Sorge vor einem Bürgerkrieg

Und zwar vor allem, weil Grzesinski nach einigem Zögern auf Gegenwehr verzichtet. Zwar unterstützen ihn seine Beamten mit Rufen wie "Hoch die Republik! Hoch unsere Chefs!", aber er kann sich nicht durchringen, die rund 17.000 bewaffneten Polizisten allein in der Hauptstadt gegen Reichspräsident und Reichswehr einzusetzen. Wie Braun und Preußens ebenfalls abgesetzter SPD-Innenminister Carl Severing knickt er ein, aus Angst vor einem drohenden Bürgerkrieg. Allerdings können sie nicht wissen, dass der "Preußenschlag" nur eine Station auf dem Weg zu Hitler sein wird.

In der zweiten Jahreshälfte 1932 beginnt im Polizeipräsidium und in allen Revieren Berlins ein Personalkarussell: SPD-Mitglieder in führenden Positionen werden in den einstweiligen Ruhestand versetzt, demokratisch gesinnte Polizisten in mittleren Funktionen oft degradiert. Auf die frei gewordenen Stellen rücken konservative Männer nach, darunter auch Opportunisten und verdeckte NS-Anhänger. Für die Berliner Polizei ist der 20. Juli 1932 ein tieferer Einschnitt als die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933.

Bis zu jenem verhängnisvollen Tag galt die Berliner Polizei weltweit als Vorbild, was politische Neutralität angeht. Damit ist es nun schlagartig vorbei. War die Polizei bis dahin gleichermaßen strikt gegen Übergriffe der KPD wie der NSDAP vorgegangen, wird auf einmal eine zunächst informelle Unterstützung für reaktionäre politische Kräfte selbstverständlich.

Hitler ist verdächtig

Doch auch Polizeipräsident Melcher ist der Regierung Hitler verdächtig. Nur zwei Wochen nach der Ernennung des neuen Kabinetts wird der Verwaltungsjurist im Februar 1933 abgesetzt und mit einem Posten in der Provinz abgefunden. Seine Nachfolge tritt der Ex-Admiral und NSDAP-Reichstagsabgeordnete Magnus von Levetzow an. Er formt die Berliner Polizei binnen Kurzem zum willfährigen Instrument der Nazis.

Dennoch benehmen sich die Polizisten immer noch besser als die SA- und SS-Männer, die nun als "Hilfspolizisten" amtieren. Zwar nimmt auch die Berliner Polizei nach der Brandstiftung im Reichstag am 27. Februar 1933 Hunderte Kommunisten und Sozialdemokraten fest. Doch in den Polizeigefängnissen, auch im Präsidium am Alex, werden die zu Unrecht Inhaftierten noch einigermaßen korrekt behandelt. Ganz anders ergeht es jenen Nazi-Gegnern, die in die "wilden KZ" der SA verschleppt werden: Hier wird gefoltert und gemordet, kommen allein in Berlin Dutzende Menschen ums Leben.

Zwar entsteht bald anstatt der alten Politischen Abteilung die neue Geheime Staatspolizei, die rücksichtslos Nazi-Ideologie durchsetzt. Dennoch laden auch die "normalen" Berliner Schutz- und Kriminalpolizeien bis 1945 schwere Schuld auf sich - bei schikanösen Razzien gegen Berliner Juden im Scheunenviertel, bei der Verfolgung von Kommunisten oder durch Beihilfe bei der Ausraubung und Deportation von Juden. Manche Beamte sind 1941/42 auch wochen-, manchmal monatelang hinter der Ostfront bei Mordkommandos tätig, den sogenannten Einsatzgruppen.

Es ging auch anders

Gleichzeitig gibt es jedoch einzelne Polizisten, die auch in der Diktatur festhalten an ihrer wichtigsten Aufgabe, ihre Mitbürger zu schützen. Das bekannteste Beispiel ist der Reviervorsteher Wilhelm Krützfeld, der in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 verhindert, dass ein Nazi-Mob die Synagoge in der Oranienburger Straße abfackelt. Krützfeld kommt mit einer scharfen Verwarnung und einem Beförderungsstopp davon, doch das konnte er nicht wissen, als er sich zum Einschreiten entschloss. 2003 ehrt Berlin den mutigen Beamten - in Anwesenheit von Polizeipräsident Dieter Glietsch.