Schulreport Berlin

Hier zählt soziales Engagement

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Florentine Anders

Foto: Marion Hunger

Mit Beginn des Schuljahres 2008/09 startete das Pilotprojekt der Gemeinschaftsschule. Dort ist das längere gemeinsame und individuelle Lernen von Klasse 1 bis 10 oder sogar bis zum Abitur fest verankert. Die Nachfrage der Eltern ist groß. Deshalb soll dieses besondere Angebot weiter ausgebaut werden. Eine der beliebten Gemeinschaftsschulen ist die Evangelische Schule Berlin-Zentrum in Mitte.

Aufmerksam hört der 15-jährige Moritz seinem Mitschüler Bennet zu. Der Zwölfjährige erklärt, wie er durch Mikrokredite die Welt verbessern will, ganz nach dem Vorbild von Friedensnobelpreisträger Muhammed Yunus. Niemand hält den Siebtklässler an der Evangelischen Gemeinschaftsschule in Mitte für einen Träumer. Das soziale Lernen steht hier im Mittelpunkt, und Bennet hat gute Argumente. Auf einer Internetseite präsentiert er über einen Beamer Menschen mit ihren Projekten in Indien oder Afrika – die Gründung einer kleinen Hühnerfarm oder einer Bäckerei. Häufig reichen mehrere hundert Euro, um einer Großfamilie so aus der Armut zu helfen. Moritz findet die Idee des zwei Köpfe kleineren Bennet gut und ist entschlossen, beim Geld sammeln mitzumachen, schließlich hat er bereits im Projekt „Stopp den Klimawandel“ die Erfahrung gemacht, dass man durchaus etwas erreichen kann für die Welt.

Die Schule hatte für die Uno-Kampagne ‚Plant for the Planet' tausende Bäume gepflanzt. Moritz war so begeistert, dass er – ähnlich wie jetzt Bennet – als Botschafter auch an andere Berliner Schulen ging, um in Vorträgen Schüler und Lehrer zum Mitmachen zu bewegen. Insgesamt haben Berliner Schulen für 100.000 neue Bäume auf der Erde gesorgt. „Wir unterrichten die Schüler in der Pubertät – sie wollen echte Herausforderungen und im Lernen einen Sinn sehen“, erklärt die Schulleiterin Margret Rasfeld das Konzept der noch jungen Schule, die seit September 2008 am Pilotprojekt Gemeinschaftsschule des Landes teilnimmt. Die Schüler können von der ersten Klasse bis zum Abitur gemeinsam lernen. Projekte und Präsentationen würden hier nicht zum Selbstzweck erarbeitet, sondern immer mit dem Anspruch, tatsächlich etwas zu bewirken, sei es durch naturwissenschaftliche Experimente in der Kita um die Ecke oder eben durch Mikrokredite in Afrika, so Rasfeld. Der Lehrplan lasse sich da wunderbar einbauen, das graphische Darstellen von proportionale Zahlen etwa, Geografie oder auch Fremdsprachen.

Moritz ist wie viele andere Schüler auf Umwegen an die Evangelische Gemeinschaftsschule geraten. Zunächst ist er von der Grundschule auf eine Realschule gewechselt. Moritz fühlte sich unterfordert und wagte nach einem halben Jahr den Sprung auf ein Gymnasium. Aber dort kam er nicht zurecht. „Es ging nur darum, unter großem Druck den Stoff einzupauken“, sagt er. An der Evangelischen Schule muss er selbstständig lernen, sich eigenständig Ziele im Wochenplan stecken und nach eigenem Tempo arbeiten. Hier sei er motivierter und mache mehr als vorher, sagt Moritz. Sein Ziel: das Abitur, allerdings in 13 Jahren und nicht in zwölf wie am Gymnasium.

Drei Wochen für Spezialeinsätze

„Jugendliche brauchen Aufgaben, an denen sie wachsen können, deshalb schafft die Schule diese Gelegenheiten“, erklärt die Schulleiterin. Einmal pro Schuljahr erhalten die Teenager drei Wochen Zeit, sich einer Herausforderung zu stellen. Die Teenager suchen sich die Aufgaben selbst, allein oder in kleinen Gruppen.

Ronja ist 15 und hat ihre erste große Herausforderung schon hinter sich. Gemeinsam mit fünf Freundinnen hat sie eine Radtour von Berlin bis zur Ostsee unternommen. Auf der Insel Hiddensee haben sie einen Beitrag zur Biotoppflege der Heide geleistet. Die Mädchen hatten eine Studentin als Begleitung, zur Sicherheit – in den Ablauf sollte sie sich nicht einmischen. „Wir hatten ein Budget von 150 Euro, mussten einkaufen und Unterkünfte auf der Strecke besorgen“, erzählt Ronja. Meist seien sie in Gemeindehäusern untergekommen. „Natürlich war die Tour auch körperlich eine Herausforderung. Das Schwierigste aber war immer wieder, als Team zusammenzufinden“, sagt Ronja. Zwischenzeitlich hätte sich die Gruppe heillos zerstritten. Ronja ist von einem Pankower Elite-Gymnasium an die Gemeinschaftsschule gewechselt. Sie sei mit dem Leistungsdruck am Gymnasium ganz gut klargekommen, doch ein Besuch an der Evangelischen Schule habe sie total begeistert von dem Konzept.

Die Eltern hätten zunächst Bedenken gehabt, ob sie an dieser Schule tatsächlich so viel lernen kann wie am Gymnasium. Doch schließlich konnte sie sie überzeugen. Von der Schulleiterin gab es für Schüler, Eltern und Lehrer des

Gründungsteams eine Mutkarte. Immerhin war es gewagt, dem Reformkonzept zu folgen. Inzwischen kann sich die Schule vor Anmeldungen kaum retten.

Unterschiede als Bereicherung

Bei der Auswahl der Schüler legt die Schulleiterin Wert auf Unterschiedlichkeit – vom Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf bis zum Hochbegabten soll alles dabei sein. „Wie wollen wir weltweit das friedliche Zusammenleben lernen, wenn wir nicht in der Schule lernen, mit Unterschieden umzugehen und sie als Bereicherung zu erleben.“, sagt Rasfeld. Auch in diesem Sinne verstehe sie die christliche Erziehung an der Evangelischen Schule. Und auch der Gemeinsinn wird nicht dem Zufall überlassen. In dem Fach „Verantwortung“ suchen sich alle Schüler der siebenten und achten Klassen ein Projekt, in dem sie gemeinnützige Arbeit leisten. Einige helfen in einer Behinderteneinrichtung, andere üben in einer Grundschule lesen. „Die Jugendlichen wollen in der Gesellschaft gebraucht werden, dafür bekommen sie an einem Tag pro Woche Unterrichtszeit als individuelle Lernzeit geschenkt“, sagt die Schulleiterin. Möglich sei das durch die zusätzlichen Stunden im Ganztagsbetrieb.

Jede Woche Freitag treffen sich alle Schüler und Lehrer zur Schulversammlung. Hier kann Jeder eine andere Person auszeichnen. Mal ist es der Mitschüler, der durch seine Witze den Schulalltag lustiger macht, mal eine Schülerin, die einen Streit schlichten konnte. Und fast immer der Hausmeister.