Berliner Sicherheitskreise haben erst am Dienstag offiziell eingeräumt, dass die deutsche Hauptstadt gegen Ende des vergangenen Jahres in der akuten Gefahr eines schweren Bombenattentats schwebte. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) sagte, dass es Hinweise auf einen „möglichst öffentlichkeitswirksamen Anschlag“ gab. Zwölf Bahnhöfe seien daraufhin zwischen dem 30. September und dem 14. Oktober intensiv überwacht worden. Polizeibeamte hätten zudem die Kontrollmonitore der BVG beobachtet. Körting zufolge gab es einen konkreteren Hinweis darauf, „wo die Täter auftauchen könnten“. Zu Festnahmen sei es aber nicht gekommen.
Die damalige Lage war nach den Informationen Morgenpost Online für Berlin die brisanteste seit den Terroranschlägen in den USA im September 2001. Die Situation wurde damals als so bedrohlich eingeschätzt, dass es bereits Gespräche auf höchster Ebene gegeben habe, wie man im Falle einer Katastrophe reagieren solle. „Wir hatten Erkenntnisse, die den Schluss auf eine Terrorzelle von Al Qaida in Berlin zuließen“, sagte ein Ermittler. „Eines der möglichen Ziele war das Gesundbrunnen-Center in Wedding.“
Zunächst hatten sich die Hinweise verdichtet, wonach eine Kindertagesstätte unweit des Hüttenweges in Zehlendorf von Terroristen als Ziel ausgewählt worden war – dort werden viele jüdische Kinder betreut. Eine Hochzeit auf dem Gelände der Einrichtung an einem Wochenende wurde daraufhin abgesagt und die Umgebung abgeriegelt. Schwer bewaffnete Polizisten und Fahnder in Zivil waren im Einsatz.
Bei der Berliner Polizei gab es zunächst eine „Besondere Aufbauorganisation“ (BAO); die Sonderkommission führte die Ermittlungen. Wenige Tage später jedoch wurde die BAO personell und logistisch erweitert und das Bundeskriminalamt eingebunden. Die deutlich verstärkte Ermittlungsgruppe agierte nun unter dem Decknamen „Symbol“, ihre Ermittlungen waren absolut geheim und vertraulich.
Wie Morgenpost Online aus Nachrichtendienstkreisen erfuhr, verdichteten sich schnell die Hinweise, dass eine Terrorzelle ein verheerendes Attentat auf das Weddinger Einkaufszentrum, eine jüdische Einrichtung oder auf den öffentlichen Nahverkehr vorbereiten könnte. „Als mögliche Zeiten eines Anschlags wurden die frühen Morgen- oder die frühen Abendstunden vermutet, weil die Zahl der Opfer zu diesem Zeitpunkt am größten gewesen wäre“, sagte ein Polizist weiter.
In Berlin wurden daraufhin unverzüglich Notfallpläne erstellt; die Bettenzahl der Krankenhäuser wurde geprüft, Alarmierungsketten eingerichtet. „Es hat zudem Treffen zwischen der Führung der Berliner Sicherheitsbehörden und den Verantwortlichen der BVG gegeben. Die Wahrscheinlichkeit für einen Anschlag war zu diesem Zeitpunkt und nach dieser damaligen Erkenntnislage hoch wie nie zuvor“, sagte ein Ermittler.
Die Situation wurde auch deshalb äußerst ernst genommen, weil das Terrornetz al-Qaida im vergangenen Jahr mehrfach mit Anschlägen gedroht hatte. In Videos islamistischer Terroristen war auch das Brandenburger Tor zu sehen gewesen, an dem in Deutschland immer wieder Hunderttausende Menschen feiern. Die Berliner Polizei verstärkte deshalb ihre sichtbare Präsenz auf Bahnhöfen und Flughäfen durch mehr Beamte, die mit Maschinenpistolen bewaffnet waren. Nach intensiven Recherchen wurden der Ermittlungen aber ohne Ergebnis beendet.
Ein Polizist sagte am Dienstag, dass sich der seit zwei Jahren im Polizeigesetz erlaubte Zugriff auf die BVG-Videoüberwachung bei der Bekämpfung des Terrorismus als äußerst hilfreich erwiesen habe. „Mit der Bekanntgabe des stärkeren Engagements der Bundeswehr und der Polizei in Afghanistan wird auch die Gefahr von Anschlägen größer“, so ein Ermittler. Eine Gefahrenlage wie die im Herbst werde sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wiederholen.