Es war noch relativ früh Montagmorgen, da wurden die Bewohner eines Hauses an der Dresdener Straße in Mitte unsanft geweckt. Erst knallte es mehrfach laut, dann splitterte Glas. Unbekannte warfen Steine und mit Farbe gefüllte Glasflaschen gegen die Fassaden und Fenster, etliche gingen zu Bruch. Die Täter konnten flüchten. Sie hinterließen ein Chaos aus schwarz-roter Farbe und Scherben - und schockierte Be- und Anwohner.
Es ist nicht das erste Mal, das Neubauten in der Umgebung, exakt an der Grenze zwischen Kreuzberg und Mitte, angegriffen wurden. Allerdings: Bisher hatte die Zerstörungswut der mutmaßlichen "Gentrifizierungs"-Gegner, die den Zuzug wirtschaftlich besser gestellter Bewohner in ihren Kiez verhindern wollen, Gebäude im Rohbau getroffen oder Dixiklos auf den Baustellen. Zumindest unbewohnte Gebäude. Das war diesmal anders.
Hinter den zerstörten Fenstern leben, schlafen Menschen. In dem Haus wohnen Familien mit Kindern. Das war den Tätern offenbar egal. Verletzt wurde zwar niemand, auch wenn dazu nicht viel gefehlt hätte. Die Steine durchschlugen die Außenfenster, die Innenfenster wurden stark beschädigt. Schrecken, im eigenen Haus angegriffen zu werden, nachts.
"Ich habe Angst", sagt einer der Bewohner. Seinen Namen möchte er nicht nennen, das möchte heute keiner der Hausbewohner. Er ist erst vor kurzem nach Berlin gezogen, wollte sich hier eine neue Existenz aufbauen. Er hat sich gefreut auf die neue Wohnung, das Viertel, auf die Stadt. Jetzt ist da sehr viel Enttäuschung. "Das ist nicht das Berlin, das ich kenne. Ich verstehe das einfach nicht."
Auch andere Bewohner wiederholen das immer wieder, dass sie einfach nicht verstehen, was da passierte. "Wogegen richtet sich das denn? Hier waren doch vorher Brachflächen, hier nimmt niemand jemanden etwas weg". Einige der Wohnungen sind vermietet. Diese Mieten seien teilweise günstiger als die der aufwendig sanierten Altbauten der Umgebung.
Auch Bewohner der umliegenden Häuserblocks wundern sich über den Gewaltausbruch. "Die Häuser hier sind doch alle ungefähr die gleiche Liga. Aber wir hatten noch nie Probleme. Reichen jetzt schon große Fensterfronten zur Provokation?" fragt ein Mann, der nur ein paar Meter weiter in Mitte wohnt. "Egal um was es geht, wenn Menschen zu Schaden kommen könnten, hört jedes Verständnis auf."
Auch bei der Polizei ist man nicht bereit, die Attacke als "schlichte" Sachbeschädigung abzutun. Offiziell hält sich die Behörde mit Einschätzungen zurück, man wolle keinesfalls durch überbordende Diskussionen Trittbrettfahrer und Nachahmer animieren, heißt es. "Dennoch muss klar gesagt werden: Hier wurden Steine auf ein von Menschen bewohntes Haus geworfen und das nachts, wenn davon auszugehen ist, dass die Leute sich in ihren Wohnungen aufhalten", sagte ein Polizist. Wer so etwas tue, nehme Verletzte oder gar Schlimmeres bewusst in Kauf, ergänzte der Beamte, fügte aber zugleich hinzu: "Ich bezweifele, dass viele der Steinewerfer, die aus angeblich politischen Gründen in der Stadt unterwegs sind, tatsächlich so weit denken."
Streit um Gewalt
Diskussionen über den nächtlichen Vorfall an der Dresdener Straße gab es am Montag bereits auf einschlägigen, bevorzugt von der linksextremistischen Szene genutzten Internetforen. Einige User verurteilten die Aktion und äußerten die Auffassung, Gewalt gegen Menschen sei strikt abzulehnen. Andere hingegen bezeichneten die Attacke als "legitimes Mittel in einem Kampf", dessen Bedeutung auch die Gefährdung von Menschen rechtfertige. "Die hätten ja nicht in unseren Kiez ziehen müssen", stellte ein User lapidar fest.
Die Diskussion ähnelte stark der seit Jahren in der linksradikalen Szene geführten "Militanzdebatte". In dem in Internetforen und Szene-Publikationen geführten teils heftigen Streit geht es stets um die Frage, ob man sich auf Brandanschläge und Sachbeschädigungen beschränken oder auch Personen direkt angreifen dürfe - oder gar müsse. Dabei lehnt der überwiegende Teil der Szene Gewalt gegen Menschen ebenfalls grundsätzlich ab. Einzige Ausnahme: der Kampf gegen "die Nazis". Die dürften immer und überall attackiert werden.