"Wieso ist die Skulptur nicht beleuchtet? Und den Tresen haben Sie auch wieder nicht zusammen geschoben." Ralf Schüler ist zwar nicht mehr so gut zu Fuß, und der Rundgang durch das weitläufige Internationale Congress Center Berlin ist beschwerlich. Seinem wachsamen Blick jedoch entgeht auch nicht die kleinste Schlamperei. Und davon entdeckt Schüler auf seinen regelmäßigen Inspektionsrundgängen mehr, als er zu tolerieren bereit ist. Er wird sich - mal wieder - bei der Messegesellschaft beschweren.
Die Sorge um ihr Lebenswerk lässt Ralf Schüler und seine Frau Ursulina Schüler-Witte nicht los. Seit das Internationale Congress Centrum (ICC) vor knapp 30 Jahren eröffnet wurde, ist das Architektenpaar bemüht, das bei seiner Eröffnung am 2. April 1979 größte und teuerste Bauwerk der deutschen Nachkriegszeit vor Kritik, Umgestaltungs- und Abrisswünschen zu schützen. Denn vor solchen Zumutungen, so die Erfahrung der Eheleute, war das gigantische Bauwerk nie wirklich sicher.
Zwar scheint die seit der Jahrtausendwende kontrovers geführte Debatte um Abriss oder Erhalt des Gebäudes vorerst beendet zu sein. Im Frühjahr 2008 hatte der Senat nach langen Jahren quälender Ungewissheit den Beschluss gefasst, den Veranstaltungsdampfer an der Stadtautobahn bei laufendem Kongressbetrieb zu sanieren. Für Ralf Schüler ist das aber kein Grund, sich entspannt zurückzulehnen. Damit der unverwechselbare Charakter des Hauses nicht auf der Strecke bleibt, will er bei diesem Vorhaben trotz seines hohen Alters die Federführung übernehmen - und für die Wahrung seines Urheberrechts notfalls vor Gericht gehen. Denn obwohl bereits Gutachten zum technischen Zustand des Hauses in Auftrag gegeben wurden, und die mit anderthalb- bis zwei Jahren angesetzte Planungsphase schon läuft, habe ihn noch niemand zur Mitarbeit aufgefordert, betont der 79-Jährige.
Umbau kostet 240 Millionen Euro
Nach den Vorstellungen der Bausenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) sollen die Arbeiten im kommenden Jahr beginnen. Immerhin: "Am 23. Februar hat uns die Senatorin zu einem Gespräch eingeladen", sagt Ralf Schüler.
Das Internationale Congress Centrum (ICC) Berlin gilt mit seinen 80 Sälen und Räumen von 20 bis 9100 Plätzen bis heute als das größte Kongresszentrum Europas. Dennoch ist es mittlerweile zu klein. Weitere, flexible Veranstaltungssäle sollen die Kapazitäten vergrößern. Zudem soll das in die Jahre gekommene Gebäude energetisch saniert werden. Die Umbaukosten werden mit 240 Millionen Euro veranschlagt. 182 Millionen entfallen dabei auf die Sanierung, 53 Millionen Euro auf 6000 Quadratmeter neue Nutzfläche. "Vor zehn Jahren haben wir im Auftrag des damaligen Bausenators Umbauvorschläge erarbeitet", sagt Schüler. Und wundert sich, warum das Land Berlin die bereits bezahlten Planungsleistungen nicht aus der Schublade holt. "So ließe sich Zeit und Geld sparen."
Ausgerechnet beim politisch hochbrisanten Faktor der Kostenkalkulation hatten sich die Stadtoberhäupter in der Entstehungsphase des ICC wiederholt korrigieren müssen. Mit seiner damaligen Kollegin und späteren Frau Ursulina hatte Schüler 1965 den Wettbewerb zum Bau einer Multifunktionshalle auf dem Berliner Messegelände, für die 60 Millionen Mark angesetzt waren, gewonnen. Aufgrund mehrerer Studien zur Entwicklung des Kongressgeschäftes änderten sich die Planungen jedoch mehrfach - und trieben die Kosten in die Höhe. Aus politisch motivierten Gründen, so der Architekt, seien die wahren Kosten des Bauprojekts von den Verantwortlichen jedoch nur scheibchenweise öffentlich gemacht worden. "Ein erster Kostenvoranschlag von 1969, den die Neue Heimat als Generalübernehmer lieferte, ging von 120 Millionen Mark aus", so der Architekt. Noch vor Baubeginn 1973 räumte der damalige Bausenator Kosten von rund 500 Millionen Mark ein. Bis zur Endabrechnung 1988 war die Summe dann auf fast eine Milliarde Mark angewachsen.
"Für Berlin eine ,Halle Größenwahn'" ätzte das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" damals, andere Blätter fanden ähnlich drastische Worte. Der politische Skandal war perfekt - und der Ruf des Architektenpaares in Mitleidenschaft gezogen. Bittere Ironie: Da das Honorar für die Architekten zum Zeitpunkt der Eröffnung - also bei der Hälfte der tatsächlichen Summe - abgerechnet wurde, war das ICC für die Schülers wirtschaftlich kein Erfolg. Schließlich mussten in der sechs Jahre währenden Bauphase die Gehälter von 80 bis 120 Architekten und Bauzeichnern bezahlt werden.
So gesehen ist es vielleicht verwunderlich, dass das ICC für das kinderlose Ehepaar unter den 250 Gebäuden, die sie im Laufe ihrer Berufstätigkeit entworfen und zum Großteil auch gebaut haben, noch immer eine Sonderstellung einnimmt. "Das ist wie bei Eltern, die ihrem Sorgenkind auch besondere Zuneigung entgegenbringen", sagt Ursulina Schüler-Witte (76). Schließlich mussten die bis dato relativ unbekannten Architekten durch die vielen Herausforderungen, die der Bau des Tagungs-Giganten mit sich brachte, über sich hinauswachsen.
Die Schülers entwickelten für ihr ICC viele echte Kongress-Klassiker, darunter den feuerbeständigen, stapel- und verklammerbaren Tagungs-Stuhl. Oder den ebenso feuerresistenten, ergonomischen "Berliner Kongress-Sessel", in den ausklappbare Arbeitstischchen mit Leselampe sowie eine Dolmetschereinrichtung integriert sind.
Die größte Kongress-Innovation war jedoch der Grundriss des Gebäudes - auch wenn dieser aus der Not heraus entstand. "Die Entscheidung des damaligen Senats, das Gebäude auf dem für Kongresse problematischen, lang gestreckten und schmalen Areal mitten in den Verkehr zu stellen, hat maßgeblich seine Form und Funktionsweise beeinflusst", sagt Schüler.
Vorbild Passagierschiff
Während sich herkömmliche Kongresszentren ebenerdig und sternförmig um eine zentrale Halle anordneten, stapelte Schüler die Funktionsebenen "wie bei einem Passagierschiff" in die Höhe. Bis heute dient das ICC mit der Verteilerebene im Erdgeschoss, den Veranstaltungssälen im zweiten sowie Gastronomie- und Rangfoyer im dritten Geschoss als Vorbild für Kongress-Neubauten in aller Welt.
Trotz des international guten Rufs war das Veranstaltungs-Raumschiff in Berlin von Anfang an umstritten - auch wegen der oft als kühl empfundenen Atmosphäre im Inneren, die so manchem Ball- oder Gala-Event Schwierigkeiten bereitete. Obwohl die zähe Abriss-Debatte nun vom Tisch ist, wird um die Art und Weise seiner Sanierung in naher Zukunft wohl nicht weniger heftig gerungen werden. Messechef Raimund Hosch äußerte unlängst, auch die Außenhaut aus Aluminium stehe nun auf dem Prüfstand - das Material sei zu empfindlich und die Pflege zu kostenintensiv. "Ungeheuerlich - eine andere Fassade werden wir nicht zulassen", stellt Ralf Schüler klar.
Die jahrelangen Diskussionen um ihr Meisterwerk sind an den ICC-Schöpfern nicht spurlos vorüber gegangen. Misstrauisch reagieren sie auch auf gut gemeinte Änderungs- und Optimierungsvorschläge, mit denen jüngere Kollegen - ohne es mit ihnen abgesprochen zu haben - an die Öffentlichkeit gehen.
Misstrauisch beobachten die Schülers auch, wie sich die landeseigene Messegesellschaft auf die Feierlichkeiten zum 30-Jährigen Jubiläum des ICC in zwei Monaten vorbereitet - nämlich gar nicht. "Das 20. Jubiläum wurde groß gefeiert, beim 25. gab es für die Mitarbeiter lediglich Erbsensuppe im Kellergeschoss", bemerkt Ralf Schüler. Der Grund für den Verzicht auf öffentliche Feierlichkeiten liege nicht in der mangelnden Anerkennung des Gebäudes, beschwichtigt Wolfgang Rogall, Sprecher der Messe Berlin GmbH. "Wir sind zu dem Zeitpunkt komplett mit den Aufbauarbeiten belegt." Am 8. April werden rund 8000 Aktionäre zur jährlichen Hauptversammlung der Daimler AG erwartet. Immerhin: In dieser Aussage liegt ein gewisser Trost - beweist die Veranstaltung doch, dass diejenigen das Haus schätzen, für die es vor 30 Jahren gebaut wurde: die Kongressgäste.