Hat Berlin die Filetgrundstücke an seiner Hauptgeschäftsstraße verschleudert? Anstatt mit Bauflächen an der Friedrichstraße zwischen S-Bahnhof und Spree bis zu 100 Millionen Euro Verkaufserlös zu erzielen, blieb nach den missratenen Geschäften rund um das Spreedreieck für die Landeskasse fast nichts übrig.
Diesen Vorwurf erneuerte am Montag die Opposition im Abgeordnetenhaus, nachdem sie jetzt die wichtigsten Akten im Untersuchungsausschuss „Spreedreieck“ studiert hat. Grüne, CDU und FDP verlangen von SPD und Linkspartei Konsequenzen aus dem Debakel um die Friedrichstraße, das durch ein „politisches Chaos“ zwischen den Senatsverwaltungen ausgelöst worden sei. Vier Monate nach seiner Einsetzung am 11. September 2008 durch das Abgeordnetenhaus wird der Untersuchungsausschuss am kommenden Freitag mit der Befragung der ersten Zeugen beginnen. Dazu soll auch der ehemalige Finanzsenator Peter Kurth (CDU) gehören.
„Politiker und Verwaltung überfordert“
Künftig dürfte die Stadt nie wieder solche Dreiecksgeschäfte betreiben, bei denen sachfremde politische Ziele über die Vergabe von Grundstücken finanziert oder Forderungen von Dritten gegen Berlin mit besonders großzügigen Baurechten beglichen würden. „Aus solchen Geschäften ergeben sich überaus komplizierte Vorgänge, die Politik und Verwaltung nicht mehr beherrschen“, kritisierte der Vertreter der Grünen im Untersuchungsausschuss, Jochen Esser.
Ein Paradebeispiel, in welche Nöte sich die Politik dabei lavieren kann, sind die Vorgänge um das Spreedreieck mit dem Tränenpalast und die gegenüberliegenden Areale auf der östlichen Seite der Friedrichstraße. Auslöser war nach Ansicht der Oppositionspolitiker der Versuch, den Landeshaushalt zu schonen, als der Senat 1998 den Erben des Theaterregisseurs Max Reinhardt ihre Rechte am Deutschen Theater für 17,2 Millionen Euro abkaufen wollte. Aber anstatt in die Senatskasse zu greifen und die Erben auszuzahlen, sprach Berlin ihnen 1998 die Rechte am Spreedreieck zu. Damit war für dieses ein relativ hoher Kaufpreis programmiert.
Das kostspielige Unheil nahm im Stile eines „Domino-Effekts an der Friedrichstraße“ seinen Lauf. Nach diversen Vergleichen, Kompensationszahlungen, Kaufpreisminderungen und Überweisungen an den Bund als früheren Miteigentümer blieben Berlin nach den Berechnungen der Opposition für 11.600 beste Quadratmeter Baugrund nur acht Millionen Euro. „Berlin hat Grundstücke in der Filetlage Berlins fast verschenkt“, sagte Florian Graf (CDU).
Letztlich blieben nur eine Million Euro übrig
Zuerst verkaufte der Senat Grundstücksteile, die der Bahn gehörten, an den Hamburger Investor Harm Müller-Spreer, der dort ein Doppel-Hochhaus bauen wollte. Als das herauskam, musste Berlin einen Teil des Kaufpreises zurückerstatten. Und Müller-Spreer durfte auch höher bauen, als eigentlich im Baurecht vorgesehen. Dagegen klagte die Investorengemeinschaft GVG, die gegenüber das Hotel Sol Melia baute. Ein Vergleich kostete vier Millionen Euro. Zuvor musste Berlin der GVG bereits entgegenkommen, weil sich für das eigentlich an der Ecke geplante Bürohaus keine Nutzer fanden und ein Hotel nicht so viel Miete abwirft. Zudem musste das Grundstück arrondiert werden. Letztlich blieben für Berlin nur 1,1 Millionen Euro Verkaufserlös übrig. Der Bund kassierte hingegen für seine Hälfte 12 Millionen.
Ähnlich lief es beim Verkauf des Grundstücks Friedrichstraße 100. Der Liegenschaftsfonds schloss den Kaufvertrag mit der Möglichkeit für eine höhere Bebauung ab, als der Bezirk Mitte zu genehmigen bereit war. Statt der vereinbarten 13,5 Millionen Euro flossen nur 12,5 Millionen ans Land. Dumm nur, dass Berlin 2001 in Erwartung eines weit höheren Erlöses 15 Millionen Euro für den Landstreifen an den Bund überwiesen hatte.
Als völlig aus der Luft gegriffen bezeichneten die Oppositionspolitikern die neuerdings von der SPD vertretene Auffassung, die Vorgänge um das Spreedreieck hätten für Berlin keinen finanziellen Schaden verursacht. Diese Meinung teilt auch der Koalitionspartner Linkspartei. „Es sei ein erheblicher Schaden aufgetreten“, sagte der finanzpolitische Sprecher der Linken, Carl Wechselberg. Die Stadt habe sich „in eine unhaltbare vertragliche und rechtliche Situation begeben“ und musste im Nachhinein immer wieder durch weitere Vergleiche und Kaufpreisnachlässe frühere Entscheidungen kompensieren.
Warnung vor Kunsthallen-Projekt
Die Opposition fordert Konsequenzen. Das Schlimme sei, dass sich der Senat weiterhin auf solche Deals einlasse. „Die Dreiecksgeschäfte laufen weiter“, warnte Klaus-Peter von Lüdeke (FDP).
Prominentestes Beispiel sei das Koppelgeschäft, das der Regierende Bürgermeister und Kultursenator Klaus Wowereit (SPD), jüngst am Humboldt-Hafen in bester Lage am Hauptbahnhof angebahnt habe. Ein Investor soll für das Land Berlin eine Kunsthalle bauen und dafür für sein übriges Projekt wohlwollend behandelt werden. „Warum bezahlt Wowereit nicht eine Kunsthalle aus dem Haushalt?“, fragt Esser. Um das zu finanzieren, könne man natürlich auch Grundstücke verkaufen. Aber eine Koppelung führe zu Intransparenz.
Niemand wisse, wie viel das unter solchen Auflagen vergebene Hafen-Grundstück tatsächlich wert gewesen wäre. Die demokratische Kontrolle der Baupolitik mache keinen Sinn mehr, wenn die Regierung den Abgeordneten bereits vereinbarte Nutzungen oder Kaufpreise vorschreibe. Wenn das Nein eines Abgeordneten zu einem Bebauungsplan ein Millionen-Euro-Geschäft torpediere, sei eine freie Entscheidung eben nicht möglich.