Rückblick

FU-Berlin – drei Generationen, 60 Hochschuljahre

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Birgit Haas

Es waren Studenten, die 1948 die Freie Universität (FU) gegründet haben, sich 1968 für mehr Freiheit und Demokratie einsetzten und sich später mit Streiks gegen Zulassungsbeschränkungen in Studiengängen und schlechtere Ausbildungsbedingungen wegen Sparmaßnahmen des Landes Berlin wehrten.

"An keiner anderen Universität in Deutschland gibt es eine aktivere Studentenschaft als die an der FU", sagt die 21-jährige Studentin Johanna Strass.

Im ersten Semester, das im Oktober 1948 begann, hatten sich 2140 Studenten an der FU eingeschrieben. Damals gab es drei Fachbereiche: den philosophisch-naturwissenschaftlichen, den medizinischen und die Fakultät der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Dort unterrichteten 218 Professoren, Dozenten und Mitarbeiter.

Mann der ersten Stunde

Karol Kubicki war der Erste, der sich an der FU zum Studium anmeldete, er hat die Matrikelnummer 1. "Das war reiner Zufall. Am ersten Tag sollten sich die Medizinstudenten mit den Nachnamen von A bis K einschreiben", sagt der 82-jährige Berliner. An der FU arbeiteten damals kaum Angestellte; die Verwaltungsaufgaben übernahmen Studenten wie Kubicki. "Ich leitete die Anmeldungen der Studenten, da bot es sich an, dass ich mich als Erster immatrikulierte." Kubicki ist nicht nur der erste Student, er war auch einer der Studenten, die die Gründung einer Freien Universität maßgeblich vorangetrieben hatten.

1946 hatte er sich, nachdem er nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus russischer Gefangenschaft nach Berlin zurückgekehrt war, zum Medizinstudium an der Linden-Universität, der heutigen Humboldt-Universität, angemeldet. Kubicki war neben anderen mit Otto Hess und Joachim Schwarz befreundet, die gemeinsam das Studentenmagazin "Colloquium" herausgaben. "Hess war ein charismatischer Wortführer, er erklärte mir, was geistige Freiheit bedeuten konnte", sagt Kubicki noch heute bewundernd.

Doch die Freiheit ging an der Linden-Universität mehr und mehr verloren. "Der ideologische Einfluss der SED auf die Lehre wuchs, war von einem Spitzelsystem unterwandert." Kubicki erzählt von Studenten, die einfach verschwanden, keiner wusste, wohin. Hess veröffentlichte daraufhin kritische Artikel, forderte die Neugründung einer Universität in Dahlem. Deshalb wurden er, Joachim Schwarz und ein weiterer Student, Otto Stolz, im April 1948 von der Linden-Universität verwiesen.

"Ich erfuhr davon erst einige Wochen später, ich musste mich damals auf meine Prüfungen konzentrieren", erzählt Kubicki. Er engagierte sich, wollte zunächst seine Mitstudenten und Freunde an die Linden-Universität zurückholen. "Doch dann gewann die Idee der Freien Universität eine eigene Dynamik: Die amerikanischen Alliierten, allen voran der Journalist Kendall Foss und der General Lucius D. Clay und Berliner Politiker wie der Bürgermeister Ernst Reuter unterstützten uns." Im ersten Semester, das noch vor der offiziellen Gründung am 4. Dezember startete, waren die Umstände, unter denen Kubicki und die anderen Studenten der FU studierten, erbärmlich. "Wegen der Berliner Blockade, die im Juni 1948 begann, hatten wir nur zwei Stunden Strom am Tag." Die Studenten saßen auf Kinderstühlen und schrieben im Kerzenschein ihre Arbeiten.

Schon fünf Jahre später hatte die FU eine enorme Entwicklung durchlaufen. "Berühmte Wissenschaftler aus ganz Deutschland wollten die FU und ihre außergewöhnlichen Studenten kennenlernen und kamen an die Universität." Auch Kubicki blieb der FU sein ganzes Leben verbunden: "1974 bis 1991 leitete ich die Abteilung für klinische Neurophysiologie."

Den Ruhestand nutzt der in Britz wohnende Kubicki, um eine Buchreihe zur wissenschaftlichen Geschichte der FU herauszugeben.

Keine Revolution, eine Revolte

Mitte der 60er-Jahre entwickelte sich an der FU eine studentische Protestbewegung. Zunächst setzten sich die Studierenden für mehr Mitbestimmung in den universitären Gremien, gegen Zulassungsbeschränkungen und für selbstbestimmte Lehre ein. Später richtete sich die Kritik der Protestierenden gegen allgemeine Ziele: Sie kritisierten mangelnde Demokratie, die geplante Notstandsgesetzgebung, die Konzentration im Pressewesen, und auch der Vietnamkrieg standen im Zentrum der studentischen Proteste. "Wir wollten die traumatischen, engen 50er-Jahre hinter uns lassen, die von Wiederaufbau und oft dramatischen familiären Verhältnissen geprägt waren", sagt Hajo Funke. Der Politik- und Kulturwissenschaftler war von 1966 bis 1971 Student am politikwissenschaftlichen Otto-Suhr-Institut der FU - heute ist er dort Professor, nennt die FU seine geistige Heimat.

Für Funke begann die Studentenbewegung mit der Ermoderung seines Mitstudenten Benno Ohnesorg, der bei einer Demonstration gegen den Schah von Persien am 2. Juni 1967 von einem Polizisten erschossen wurde. "Das war ein Schock für mich, Ohnesorg hatte wie ich zum ersten Mal an einer Demonstration teilgenommen", erzählt Funke. "Dass dies in Deutschland passieren konnte, war unfassbar, der Einbruch des Antidemokratischen." In Folge entstand eine große Wut. "Wir mussten feststellen, dass die Öffentlichkeit uns für das Chaos in der Stadt verantwortlich machte."

Nach diesem Ereignis galt für Funke nichts mehr, was vorher gegolten hatte. "Ich habe den Rechtsstaat in Frage gestellt. Ich stellte die gesamte Gesellschaft in Frage und wollte die Grundlagen neu diskutieren. Was können wir Studenten tun, um aus dieser lähmenden Wut herauszukommen?" Als im September 1967 führende Berliner Politiker und der Polizeipräsident zurücktraten, werteten die Studenten, unter ihnen Hajo Funke, dies als Erfolg ihrer Bemühungen.

Funke engagierte sich im Sozialistischen Deutsche Studentenbund (SDS), dem auch Rudi Dutschke angehörte. "Nach dem Attentat auf Dutschke im April 1968 gab es eine intensive Debatte über den Einsatz von Gewalt an der FU." Hajo Funke war damals Fachschaftssprecher am Otto-Suhr-Institut und veröffentlichte mehrere Texte gegen Gewalt, insbesondere gegen Personen. "Im Zuge der Oster-Unruhen 1968 begannen wir, uns gegen die gewaltbereiten Studenten zu engagieren." Außerdem kam die Universitätsleitung auf die Studenten zu, bot ihnen Kompromisse und Mitbestimmung an. "Wir gingen darauf ein, und die Lage beruhigte sich wieder", blickt Funke zurück. Was er aus der Zeit mitgenommen habe? "Ich möchte meinen Studenten beibringen, in Alternativen zu denken, immer kritisch zu bleiben."

Wer protestiert heute noch?

Jemand, die sich heute für die Studenten an der FU einsetzt, ist Johanna Strass. Die 21-Jährige ist Mitglied im AStA, dem Allgemeinen Studentenausschuss, der schon zu Studienzeiten Kubickis gegründet worden ist. "Doch immer weniger Studenten engagieren sich an der Universität", meint Strass. Grund dafür sei, dass den Studenten die Zeit fehle. "Wir sollen möglichst schnell und gut studieren, um später im Berufsleben bestehen zu können." Deshalb würde schon während des Studiums eine Wettbewerbssituation erzeugt.

Die etwa 100 neuen Bachelor- und Masterstudiengänge, die in den vergangenen Jahren an der FU eingeführt wurden, setzten, so Johanna Strass, den Studenten Wissen vor, das sie lernen und bei den Prüfungen wiedergeben müssen. "Es gibt keine Möglichkeit mehr, zu diskutieren und sich mit den anderen über das Gelernte auseinanderzusetzen", beschwert sich Strass. Selbst den Professoren seien die Hände gebunden, da auch die sich an die strengen und übervollen Lehrpläne der neuen Studiengänge halten müssten. Es gebe viele Probleme, das digitale Prüfungssystem funktioniere nicht, und in den Hörsälen sei oft kein Sitzplatz zu finden. Dass der FU Geld für eine gute Ausbildung fehle, macht sich in den Bibliotheken bemerkbar: "Viele Bücher sind veraltet, nur wenige neue werden angeschafft. Da viele kleine Bibliotheken mit den großen zusammengelegt werden, fehlen dort nun Arbeitsplätze."

Johanna Strass studiert Geschichte, Politikwissenschaften und Publizistik im dritten Semester, sie ist aus einem kleinen Ort in der Nähe von Freiburg für das Studium nach Berlin gezogen, denn "hier gibt es noch relativ viele aktive Studierende." Das sei an der FU und in der Stadt Tradition. Doch insgesamt hat sie den Eindruck, dass wichtige Entscheidungen von den Studenten ferngehalten werden. "Wir würden uns einen Dialog mit dem Präsidenten Dieter Lenzen wünschen, doch der scheint mit dem Aufbau der Forschung beschäftigt zu sein."

Einen Kurs zu der Geschichte nicht-europäischer Länder, das würde sich Johanna Strass in ihrem Studium wünschen, doch am Geschichts-Institut der FU, dem Friedrich-Meinecke-Institut, wird dies nicht angeboten: "Schade, dass wir die Inhalte nicht mitbestimmen dürfen." Schlimm findet die engagierte Studentin auch, dass nach Beginn des dritten Semesters kein Studienwechsel mehr möglich ist: "Viele der kommenden Erstsemester sind erst 18 Jahre alt." Sie ist sich nicht sicher, ob man in dem Alter schon weiß, was man beruflich machen möchte. Johanna Strass ist sich im dritten Semester noch nicht sicher. "Das ist auch nicht schlimm, im Studium möchte ich mich erst einmal ausprobieren." Dazu wird sie Praktika nutzen müssen und sich neben dem Studium weiterhin engagieren. Und hofft, dass sich künftig wieder mehr Studenten finden, die das Studium nicht nur "aus Karrieregründen durchziehen."