Mehr als sechs Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wird von der Staatsanwaltschaft Potsdam ein Massenmord an Zivilisten aufbereitet. Sowjetische Soldaten sollen am 23. April 1945 in Treuenbrietzen (Potsdam-Mittelmark) bis zu 1000 Einwohner der Stadt in einem nahe gelegenen Wäldchen zusammengetrieben und erschossen haben, darunter auch Frauen und Kinder.
Lange Zeit hatten die Ermittler bundesweit Archive nach Hinweisen dazu durchsucht. "Viel haben wir nicht gefunden. Vor allem die Suche nach verantwortlichen sowjetischen Offizieren ist bislang erfolglos geblieben", sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Christoph Lange. Für das "Forum zur Aufklärung und Erneuerung", das sich vornehmlich mit den Folgen der DDR-Diktatur beschäftigt, lag dies vor allem daran, dass sich die Staatsanwaltschaft nur auf die deutsche Aktenlage konzentriert habe. Der Verein hatte 2006 die erste Anzeige wegen mehrfachen Mordes gestellt. Im Rahmen der internationalen Rechtshilfe hat die Staatsanwaltschaft Potsdam nun ein Auskunftsersuchen an die russische Generalstaatsanwaltschaft gestellt. Es geht ihr um konkrete Informationen über die sowjetischen Soldaten, die 1945 in der Gegend um Treuenbrietzen im Einsatz waren.
Ansatzpunkte hat der Treuenbrietzener Heimatforscher Wolfgang Ucksche geliefert. Demnach sollen Verbände des sowjetischen Geheimdienstes NKWD (Volkskommissariat für Staatssicherheit) für die Massenerschießung verantwortlich sein; nach seinen Recherchen habe die sowjetische 13. Armee Treuenbrietzen am 11. April 1945 eingenommen, sei aber gleich weiter in Richtung Wittenberg gezogen. Aber NKWD-Verbände seien in der Gegend geblieben.
Unklar ist, wodurch das Verbrechen ausgelöst wurde. "Lange Zeit hat man davon gesprochen, dass zuvor ein SS-Mann einen sowjetischen Offizier erschossen haben soll. Jedoch kursieren auch Gerüchte, dass der Oberstleutnant im Streit mit einem anderen Rotgardisten ums Leben gekommen ist", so Ucksche. Er hofft nun auf Aufzeichnungen des NKWD. "Die waren im Protokollieren immer sehr genau." Allein Vertuschungsaktionen zu DDR-Zeiten seien belegbar, denn regelmäßig am 23. April wurde in Treuenbrietzen der Opfer eines Bombenangriffs gedacht. "Das Einzige, was daran stimmt, ist, dass Zivilisten ums Leben gekommen waren." Für einen Bombenangriff gebe es jedenfalls keine Belege.
Ucksche kennt auch Aussagen von Augenzeugen. "Mir wurde berichtet, dass NKWD-Leute es 14 Tage lang verboten hatten, die Opfer zu beerdigen. Die Straßen waren mit erschossenen Menschen gepflastert." Später wurde für die Toten ein eigener Friedhof angelegt.
Ob sich das Verbrechen juristisch aufklären lässt, ist fraglich. Für Ucksche ist wichtig, "dass die Hintergründe des Massakers endlich zutage treten. Einen Schuldigen auszumachen, ist nach 63 Jahren sicherlich fast unmöglich."