Ein Studierzimmer, wie man sich ein Studierzimmer vorstellt. Bücher in den übervollen Regalen, auf Beistelltischen und dem Schreibtisch. Auf einem Stapel balanciert ein eingeschalteter Laptop, der wackelt, als sich Rabbiner Professor Walter Homolka auf seinen Stuhl setzt: „Bei uns wackelt momentan alles“, sagt der Rektor des Abraham-Geiger-Kollegs, das hier an der Kantstraße, aber vor allem auch am Institut für Jüdische Studien der Universität von Potsdam Rabbiner ausbildet.
1999 wurde das Kolleg gegründet, die Ordination der ersten drei Studenten erfolgte vor zwei Jahren. So lange ist es eigentlich auch schon her, dass die finanzielle Schieflage des Abraham-Geiger-Kollegs begann, die nun zum beherrschenden Thema geworden ist. Grund für die Eskalation ist der Beginn der weltweiten Finanzkrise, etwa 250.000 Euro Spenden weniger sind in diesem Jahr eingegangen. Gerade erst ist auch eine Bitte an den Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann ungehört verhallt, sich nicht aus der Unterstützung des Kollegs zurückzuziehen. Der Konzern hatte in den vergangenen acht Jahren 250.000 Euro für Stipendien beigesteuert.
Die Verantwortlichen sind in Sorge, aber auch die Studenten, die um ihre Stipendien fürchten müssen. Rund eine Million Euro benötigt die Einrichtung, um die Ausbildung der momentan 18 Rabbiner- und vier Kantorenstudenten sicherstellen zu können. „Momentan bekommen wir 300.000 Euro vom Bund, 50.000 Euro vom Land Brandenburg und 150.000 Euro vom Zentralrat der Juden in Deutschland“, erklärt Professor Homolka. „Damit ist also erst die Hälfte des Haushaltes gedeckt.“
"Historische Verantwortung"
Um die Lücke zu schließen, hoffe man auf eine zusätzliche Förderung durch alle Bundesländer von 250.000 Euro, die eigentlich schon vor zwei Jahren angedacht worden sei. Am Dienstag dieser Woche hatte das Kulturministerium in Potsdam mitgeteilt, dass eine Entscheidung bereits am 4. Dezember bei der Kultusministerkonferenz in Bonn fallen könnte. „Das, was wir hier tun, ist nicht nur für Brandenburg wichtig“, so Homolka. „Unsere Studenten sind Botschafter eines modernen Deutschlands.“
Dort, wo mit viel Engagement daran gearbeitet wird, wissensdurstigen Studenten zwischen 25 und 68 aus Deutschland, der Ukraine, Weißrussland oder den USA all das zu vermitteln, was sie später in der Gemeindearbeit benötigen, wird in diesen Tagen vor allem eines: gerechnet. Am 3. November hat man bei Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) einen Antrag auf Erhöhung der Länderförderung um 50.000 gestellt. Weitere 40.000 Euro sollen vom Zentralrat kommen, müssten laut Homolka sogar: „Am 16. Oktober gab es einen Bundestagsbeschluss, nach dem der Zentralrat statt drei nun fünf Millionen Euro bekommen soll. Alle Fraktionen gehen davon aus, dass wir an diesen Mitteln partizipieren werden.“
Blieben immer noch 160.000 Euro, von denen man den größeren Teil selbst sammeln und den Rest bei verschiedenen Stiftungen einwerben möchte. Schon jetzt musste eine Dozentenstelle gestrichen werden. „Wenn wir 800.000 Euro sicher hätten, wären wir nicht auf Rosen gebettet, aber wüssten, dass es sich lohnt weiterzumachen.“
Ein Trauerspiel, findet der Rabbiner, gerade im Vorfeld des 9. November. Schließlich gehe es bei der Ausbildung der Rabbiner auch um eine historische Verantwortung.
Der 36-jährige Paul Strasko, geboren in Montana, ist einer der internationalen Studenten. Seit sechs Wochen ist er in Berlin – und weiß jetzt schon, dass er bleiben will. „Dieses Kolleg ist so bedeutsam für die liberale jüdische Geschichte“ – und spielt damit auf die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin an, an deren Gründung Abraham Geiger maßgeblich beteiligt war. Man spürt seinen Enthusiasmus: „Es ist eine wichtige Aufgabe, hier am Aufbau jüdischer Gemeinden mitzuarbeiten.“