Hochbetrieb auf dem Flughafen Berlin-Tempelhof: Etliche Flugzeuge starteten am Donnerstag zu Rundflügen über die Stadt, bevor um Mitternacht der Flugbetrieb für immer eingestellt wird. Mehrere Hundert Menschen kamen trotz des Regens noch ein letztes Mal, bevor der älteste Flughafen nach 85 Jahren endgültig den Betrieb aufgibt. Viele stellten Kerzen auf und machten Fotos. Ein Airbus A319 landete mit Gästen aus Köln, eine Sondermaschine kam aus Riga, wie ein Flughafensprecher berichtete.
Am späten Donnerstagnachmittag hingen allerdings noch drei Kleinflugzeuge wegen andauernden Regens und niedriger Temperaturen fest. Drei Piloten hätten die Witterungslage als schwierig eingeschätzt, sagte der Sprecher der Flughafengesellschaft, Eberhard Elie.
Die Online-Ausgabe des Berliner „Tagesspiegel“ hatte zuvor gemeldet, der Flughafen werde möglicherweise doch nicht wie geplant am Donnerstag seinen Betrieb einstellen können – wegen der Wetterlage hätten am Nachmittag noch immer „rund 30 kleine Maschinen“ auf dem Flugfeld gestanden. Der Sprecher dementierte diese Zahl. Er sagte, es bleibe abzuwarten, ob sich die Wetterlage noch bessere und die Maschinen im Laufe des Abends abheben könnten. Sollten die Piloten nicht mehr vor Mitternacht von Tempelhof abfliegen können, müssten sie „wahrscheinlich auf dem Landwege“ das Flughafengelände verlassen. Ob gegebenenfalls eine Ausnahmegenehmigung für einen Start am Freitag erteilt werde, konnte Elie zunächst nicht sagen.
Vor den vergitterten Eingängen zur Haupthalle hatten sich den ganzen Tag über große Menschentrauben gebildet. Wegen des Aufbaus der Bühne für die Abschiedsfeier durften nur Passagiere und Personal das Herzstück des Flughafens betreten. Wer noch ein letztes Foto vom Innern des einst größten Gebäudes der Welt schießen wollte, musste sich mit einem Bild aus der Ferne begnügen. Bei vielen der extra angereisten Besucher löste diese Entscheidung der Flughafenleitung Unverständnis und Enttäuschung aus.
Morgenpost Online ist am letzten Tag der Ära Flughafen Tempelhof dabei:
5 Uhr : Etwa 100 Helfer bereiten die große Abschlussfeier vor, zu der am Abend 800 Gäste erwartet werden. Bis dahin müssen Kabel verlegt, Lautsprecher und eine Videowand platziert werden. Techniker sollen eine große Bühne in der Haupthalle und eine kleinere draußen am Rollfeld aufbauen. Mitarbeiter der Agentur „First Class Events“ sind schon seit gestern im Einsatz. „Es wird eine schöne Feier für die geladenen Gäste werden“, sagt Philipp Raasch (25). Er ist verantwortlich dafür, dass alles rechtzeitig fertig wird.
6 Uhr : Langsam trudeln die ersten Fluggäste der letzten Flüge ein, die in Berlin-Tempelhof starten.
6.10 Uhr: Auf 105’5 Spreeradio läuft bei „Jochen am Morgen“ eine Sendung, in der Berliner von ihren persönlichen Tempelhof-Erinnerungen erzählen. Im Zusammenschnitt sagt eine Männerstimme traurig: „2005 bin ich das erste Mal als Privat-Pilot mit einer Cessna in Tempelhof gelandet – das war die Krönung überhaupt. Und, tja, wie traurig ich bin, kann sich jeder vorstellen.“ Dann erzählt eine ältere Dame: „Wir waren Kinder in Tempelhof…jede Nacht Punkt zwölf Uhr flog über unser Haus das Postflugzeug. Man konnte die Uhr danach stellen.“
7 Uhr: Zum letzten Mal öffnen die Check-In-Schalter, um die Passagiere der Linie Cirrus Airlines abzufertigen. Auch der Ticket-Schalter der Linie wird zum letzten Mal öffnen. Über den Tag verteilt werden 114 Passagiere mit Cirrus Airlines von Tempelhof abfliegen, 115 weitere sollen landen, bevor der Flughafen schließt.
8.15 Uhr: Die Maschine vom Typ Dornier DO 328 mit der Flugnummer C9 1561 ist die erste, die das Rollfeld heute morgen in Richtung Mannheim verlässtl. Kurz vorher öffnet Barbara Wede ihren Imbiss „Air Snack“. In den letzten Tagen hatte sie so viel zu tun mit dem Verkauf von Bockwürstchen, kalten Getränken und Kaffee, dass sie kaum eine Minute Pause hatte. Sie weiß: Auch heute wird sie bis 21 Uhr hinter ihrer Theke stehen und Fluggäste bedienen.
9 Uhr: Wolfgang Witzke öffnet seinen Fliegerladen „Take Off“ am Tempelhofer Damm 2. Es wird alles wie immer sein. Nur wird er heute sein Funkgerät dabei haben. Wolfgang Witzke ist gegen die Schließung von Tempelhof, seit Wochen bereitet er sich auf diesen Tag vor.
9.30 Uhr: Der erste Rundflug des letzten Tages startet. Die dreimotorige Junkers Ju52/3m der Lufthansa, Flugnummer DLH8806, dreht mit einem Dutzend Passagieren ihre Runde über Tempelhof.
10 Uhr : Das nächste Flugzeug, eine Fokker 100 der Fluggesellschaft Germania, Flugnummer ST 2000, Ziel Memmingen, startet.
11 Uhr und 12.15 Uhr: Erneut starten Passagiere für einen Rundflug mit der „Tante Ju“ über Berlin-Tempelhof. Auch die Fluggesellschaft InterSky macht noch einen Rundflug über den Flughafen. Um 12.35 Uhr fliegt die DHC-8 Dash 8-300.
12.50 Uhr: Der letzte Airbus A319, Flugnummer 4U 2008 nach Köln-Bonn, verlässt Tempelhof.
15.30 Uhr: Während die Dornier DO 328 von Cirrus Airlines, Flugnummer C9 1565, nach Mannheim, abhebt, trifft sich Stefan Lippeck mit seinen Kollegen vom RBB-Fernsehen. Mit etwa 50 Mitarbeitern ist der Rundfunk Berlin-Brandenburg heute vor Ort – für den Themenabend „Goodbye Tempelhof“. Seit Wochen haben sich die Fernsehprofis vorbereitet, seit gestern ihr Equipment aufgebaut, mehr als 500 Meter Kabel verlegt. Fünf Kameras sollen während des Festakts am Abend in der Halle filmen, sechs weitere draußen auf dem Rollfeld. Der größte Übertragungswagen des Senders, der FÜ1, steht an der Nordseite des Gebäudes bereit, die erste Live-Schalte ist für 18 Uhr geplant.
15.40 Uhr: Air Baltic startet das letzte Mal in Tempelhof, mit einer Fokker 50. Fünf Minuten später wie auch um 17 Uhr ist wieder die „Tante Ju“ mit Rundflügen dran, und zwischendurch, um 16.30 Uhr, fliegt eine Dornier DO 328 der Cirrus Airlines in Richtung Mannheim.
16.40 Uhr: Die Sonne wird über Tempelhof untergehen.
18 Uhr: Wolfgang Witzke will mit einer Laterne und seinem Funkgerät auf dem Platz der Luftbrücke stehen und auf die anderen warten. Er hofft auf viele Tausend Demonstranten, die ein letztes Mal ihre Meinung zur Schließung von Tempelhof kundtun. Eine lange Lichterkette soll vor dem für die Öffentlichkeit schon geschlossenen Flughafengebäude entstehen. Wolfgang Witzke wird den Sprechfunk mithören, er will wissen, was Tower und Piloten sagen. Die letzten Worte für alle dokumentieren.
19 Uhr: Der Mitarbeiter von Cirrus Airlines schließt seinen Ticketschalter, zur gleichen Zeit erwartet Eventmanager Philipp Raasch die ersten Gäste der Abschlussfeier in der Haupthalle.
20.15 Uhr: Nach der Abendschau läuft im RBB eine Sondersendung, der Countdown wird eingeblendet. Barbara Wede wird noch einen kurzen Blick auf die hübschen Kleider der Damen der Festgesellschaft werfen und um 21 Uhr dann ihren Imbiss schließen.
21.50 Uhr: Mit den Flugnummern C9 1569 und LH 9523 soll die Dornier DO 328 der Cirrus Airlines in Richtung Mannheim starten. Es ist der letzte Linienflug.
23.55 Uhr: Auf dem Rollfeld sollen die beiden historischen Maschinen bereit stehen, die als letzte von Tempelhof starten. In den Cockpits werden Georg Kohne und Steffen Wardin sitzen. Wardin lernte das Segelfliegen als Jugendlicher bei der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) in der DDR. 1994 flog der heute 47-Jährige erstmals ab Tempelhof, die letzten Wochen ließ er in Khaki-Hose und dunkler Lederjacke für Touristen und Berliner in seiner historischen DC 3 wieder Luftbrücken-Atmosphäre aufkommen. Sein Kollege Georg Kohne findet, dass Tempelhof aus der Luft aussieht „wie ein Körper, der die Arme öffnet und den Gast willkommen heißt.“ Mitte der 90er-Jahre lernte der Emsländer den Berliner Flughafen kennen. Seitdem fliegt der heute 51-Jährige für die Berlin-Stiftung der Lufthansa die legendäre „Tante Ju“. Kohne und Wardin wollen ihre Maschinen gleichzeitig starten.
Im Tower wird Bruce Christie Dienst haben. Der 47-jährige gebürtige US-Amerikaner ist Fluglotse bei der Deutschen Flugsicherung. Seit 1985 arbeitet er in Berlin-Tempelhof, anfangs noch für die US Air Force. In den vergangenen Wochen hatten er und seine Kollegen besonders viel zu tun. Sie kontrollieren nicht nur die Starts und Landungen in Tempelhof, sondern alle Flüge, die über Berlin gehen. So musste Bruce Christie an manchen Tagen bis zu 400 Flieger abfertigen.
Um 15 Uhr wird der Fluglotse seine letzte Schicht im Tempelhofer Tower beginnen. Um Mitternacht wird Feierabend sein. Für immer. Bevor Christie in seinen Urlaub startet, um in ein paar Wochen dann in Tegel weiter zu arbeiten, muss er noch die letzten beiden Flüge, die DC 3 mit der Registrierungsnummer DCXXX und die „Tante Ju“ mit der Nummer DCDLH, freigeben.
23.59 Uhr: Wolfgang Witzke und die anderen Demonstranten werden vor dem Flughafengebäude stehen und über Funk mithören. Sie werden die beiden letzten Tempelhof-Piloten hören, wie sie ihren letzten Satz an den Tower in Tempelhof richten: „Ready for departure.“ Dann wird Fluglotse Bruce Christie zu hören sein. „Delta-Charlie-Triple X-Ray, Delta Charlie Delta Lima Hotel…“ Dann wird er Windrichtung und –stärke sowie die Startbahn durchgeben. Vielleicht sagt er noch etwas Persönliches, „etwas, das spontan und von Herzen kommt.“ Und dann wird er die letzten Worte sprechen, die über den Tower in Tempelhof gefunkt werden: „Clear for take-off.“