Es ist ein kleines Wunder: Nach mehr als 20 Jahren sind in Deutschland wieder Sechslinge zur Welt gekommen. Kinder und Mutter sind wohlauf. Doch über den Berg sind die vier winzigen Mädchen und zwei Jungen noch nicht. Die Angehörigen bekommen derzeit Hilfe von einem Psychologen, um sie auf das Leben mit Sechslingen vorzubereiten.
Ein Dutzend Ärzte und sechs Schwestern hatten sich wochenlang auf diesen Tag vorbereitet. So etwas hatte noch keiner von ihnen erlebt. Erstmals kamen in der Berliner Charité am vergangenen Donnerstag Sechslinge auf die Welt. Nach einem Kaiserschnitt konnte das Team aufatmen. Mutter und Babys sind zwar wohlauf, doch ob die vier Mädchen und zwei Jungen überleben werden, können die behandelnden Ärzte vier Tage nach der Geburt nicht garantieren. „Erst am Tag der Entlassung wissen wir, ob die Babys wirklich über den Berg sind“, sagt Oberärztin Monika Berns. Die Zuversicht ist den Ärzten dennoch anzusehen.
Normalerweise sind Säuglinge ab der 24. Schwangerschaftswoche lebensfähig - die Berliner Sechslinge hatten drei Wochen länger Zeit, bevor die Ärzte sie auf die Welt holten. "Jeder Tag, den die Kinder in der Gebärmutter der Mutter bleiben konnten, hat ihre Überlebenschancen erhöht," sagte der leitende Oberarzt Wolfgang Henrich. Er hatte die Mutter hauptsächlich vor und während der Niederkunft betreut.
Noch können die gerade 800 bis 900 Gramm schweren Babys Saugen, Schlucken und Atmen nicht koordinieren. Zwölf Mal am Tag werden sie vorsichtig mit einem Milliliter abgepumpter Muttermilch gefüttert. In fünf Wochen, in der eigentlich 32. Schwangerschaftswoche, kann frühestens mit dem Stillen begonnen werden. Vorher sollen die winzigen Babys auch nicht aus der Klinik entlassen werden.
Doch die Gefahr, dass die Frühchen auch danach noch Entwicklungsstörungen zeigen, ist groß. Bis zu 30 Prozent aller Frühgeburten unter tausend Gramm entwickeln laut Berns chronische Lungenerkrankungen. Auch das Gehirn ist bei der Geburt noch nicht ganz ausgereift.
Unkomplizierte Geburt
Unter diesen Umständen würden viele Eltern eine Abtreibung in Erwägung ziehen, sagte Henrich. "Diese Frau hat sich trotz der bekannten Risiken für eine Geburt entschieden.“ Die Entbindung sei ungeachtet der schwierigen Voraussetzungen unkompliziert verlaufen. Die sehr intensive Betreuung im Krankenhaus und „die hohe Motivation der Mutter“ hätten dies möglich gemacht.
"Ein Kaiserschnitt dauert zwischen 20 und 30 Minuten – auch bei sechs Kindern, da diese im Minutentakt aus dem Mutterleib geholt werden“. Eine natürliche Geburt als Alternative zum Kaiserschnitt sei nicht in Frage gekommen, da dies „in den Bereich experimenteller Medizin“ gehöre: „Wenn ein Kind heraus will, heißt das nicht, dass die anderen auch wollen, deshalb ziehen sich natürliche Geburten meist hin. Das könnte Tage dauern“, so Henrich.
Bei der Geburt der Sechslinge habe auch das fortgeschrittene Stadium der Schwangerschaft gegen eine natürliche Niederkunft gesprochen. Mehrlinge können sich gravierend in Größe und Gewicht unterscheiden. „Das hängt von der Versorgung der Kleinen im Mutterleib ab“, so Henrich. In diesem Fall seien aber alle Frühchen zeitgerecht entwickelt.
Im Anschluss an die Operation waren 18 Ärzte und Geburtshelfer mit der Erstversorgung der Kleinen beschäftigt. Jeder der sechs Winzlinge bekam eine Dosis Zucker zur Anregung des Kreislaufs. In der Klinik hängen nun überall in der Station Notfallpläne, damit immer jemand für jedes der Kinder da ist.
Eltern bleiben vorerst anonym
Über das Alter und die Herkunft von Mutter und Vater geben die Ärzte keine Auskunft „Wir bitten um Verständnis, dass Kinder und Mutter jetzt Ruhe brauchen“, sagt der ärztliche Direktor der Charité Ulrich Frei. Mit Verweis auf die Privatsphäre der Familie lehnte die Klinik deshalb weitere Stellungnahmen ab.
Auch über die Art der Befruchtung äußerte sich Henrich ausweichend. In Deutschland sei es nicht erlaubt, mehr als zwei Embryos einzupflanzen, wenn die Eizelle außerhalb des Körpers der Mutter befruchtet worden sei. Frei erklärte: "Wir sind stolz darauf, dass wir das geschafft haben.“
Seit Frauen mit Hilfe von Hormonen und In-vitro-Befruchtungen schwanger werden können – was besonders ältere Frauen wahrnehmen – steigt auch die Wahrscheinlichkeit für Mehrlingsgeburten. Die Zeitung "Bild" hatte berichtet, die Mutter habe sich vor der Schwangerschaft einer Hormonbehandlung unterzogen, weil ihr Kinderwunsch bis dahin unerfüllt geblieben war.
Es ist immer noch offen, ob es sich bei den Berliner Sechslingen um eineiige oder mehreiige Babys handelt. Das zu bestimmen sei komplizierter als allgemein angenommen, erklärt Henrich. Folgerichtig gibt es auch keine Vorhersagen: „Schon im Mutterleib waren sie während der Ultraschalluntersuchungen nur schwer zu unterscheiden.“
Risikoreiche Mehrlingsschwangerschaften
"Bei Mehrlingsschwangerschaften ist die Gefahr von Fehlgeburten erhöht“, sagt Henrich. Deshalb würden sie oft abgebrochen. Ein weiterer Grund gegen eine Austragung sei die spätere Belastung. Spätestens in der siebten Schwangerschaftswoche sei erkennbar, wie viele Kinder die werdende Mutter erwartet. Die Mutter der Sechslinge hat sich gegen Abtreibung entschieden und das Wagnis der Schwangerschaft auf sich genommen.
Und es gibt noch mehr Probleme: „Die Schwangeren leiden üblicherweise unter enormen Eisen- und Blutmangel, die Gebärmutter wird überdehnt und die Wehen setzen frühzeitig ein“, sagt Henrich. Eine mehrwöchige Liegezeit vor der Geburt sei deshalb normal.
Wowereit gratuliert
In Berlin sind die Kleinen schon berühmt. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) gratulierte der Familie der Sechslinge: „Ich hoffe, dass die Kinder das Krankenhaus gesund verlassen werden, und wünsche der Familie von ganzem Herzen alles Gute“, sagte Wowereit. Alle Berliner drückten die Daumen, dass die vier Mädchen und zwei Jungen die kommenden Wochen gut überstehen.
In den 1980er-Jahren kam es in Deutschland besonders häufig zu Mehrlingsgeburten. Die Behandlung von Frauen mit Hormonen für eine künstliche Befruchtung sei damals noch nicht so ausgereift gewesen wie heute, erläutert Henrich. Anfänglich seien daher oft drei befruchtete Eizellen in die Gebärmutter eingepflanzt worden. Heute werden in Deutschland höchstens zwei Zellen implantiert. In Spanien und Polen dagegen wird in Kauf genommen, dass mehr als drei Kinder im Mutterleib heranwachsen.
Etwa 2500 Kinder werden pro Jahr in der Charité entbunden. „Bis zu 150 Zwillinge, bis zu zehn Drillinge und maximal fünf Vierlinge sind darunter“, sagt Henrich. Die natürliche Geburt von Sechslingen ist äußerst selten, eine kommt auf 4,7 Milliarden Geburten. Zwischen 1950 bis 1998 hat es nur fünf Sechslingsgeburten gegeben. Die Berliner Sechslinge sind die ersten in Deutschland seit 1986. Im März 1986 kamen in München Sechslinge zur Welt. Die Mutter und ein Sohn starben kurz nach der Geburt. Die übrigen Kinder gewähren heute im Internet einen kleinen Einblick in ihr Leben: http://www.mooser-sechlinge.de .
Die Angehörigen der sechs Berliner Babys befinden sich derzeit in psychologischer Betreuung und bereiten sich auf ihr künftiges Leben vor.
has/sh/mim