Oper - das ist großer Bahnhof. Tolle Roben, Spitzen der Gesellschaft. Glamour satt, auf der Bühne wie im Publikum. So war es einmal. Längst freilich treiben sich die vorgeblichen Society-Leuchttürme lieber auf Sommerfesten, Produktpräsentationen und Vernissagen herum, wo es stets nur um sie selbst geht. Wenn die Mitwirkenden auf dem Jahrmarkt medialer Eitelkeit mal frei haben, dann lümmeln sie mit DVD-Bedienung und Popcorn-Eimer in der stylishen Sitzlandschaft. Zu Hause. Auch bei Staatsbesuchen ist der obligatorische Opernabend als Schrecken des diplomatischen Corps inzwischen repräsentatives Relikt einer Vergangenheit ohne Hochsicherheitsbedingungen. Der kreative Aufwand in den Theatertempeln hält sich - zumindest im teutonischen Regietheaterland - mit grauen Bühnenkisten und Humana-Kostümen zudem meist in engen Geschmacksgrenzen, die nicht unbedingt mehrheitsfähig sind.
Schrille Damen, schreiende Herren
Das muss nicht sein. Schließlich bietet keine Kunstform so viel Live-Glanz auf wie die Oper. Schrille Damen und markant schreiende Herren, viele, die orchesterspielen, viele, die chorsingen und dazu noch Statisten. Nur bei olympischen Eröffnungsfeiern ist der Aufwand an Menschen und Maschinen größer. Und selbst unsere sonst so prosaisch-pragmatisch-praktische Gesellschaft liebt es, sich zu inszenieren. Schließlich steckt in jedem ein Märchenprinz, der wachgeküsst werden will. Wo lässt sich das besser ausleben als in einem der strengen protokollarischen Hierarchie des Absolutismus geschuldeten Logenrund?
Die Oper hat lange genug als PR-Aschenputtel in der Schmuddelecke gewartet, hat ohnmächtig zugesehen, wie Filmfestivitäten und Videoclip-Awards ihr die Schau gestohlen haben. Dabei heißt die größte Show der Welt noch immer "Der Ring des Nibelungen". Das lehrten nicht nur die crossmedial aufgeschäumten Bayreuther Dynastie-Walkürenritte.
In den letzten Jahrzehnten, in einer saturierten, einigermaßen gebildeten Gesellschaft konnte sie sich auf Inhalte beschränken, wer sich für diese interessierte, wurde bestens bedient, vokal gefüttert und intellektuell bereichert. Doch das Geld ist knapp, und gestrichen wurde immer mehr am Außenauftritt, der öffentlichen Performance eines Hauses, sowie den Premieren. Das war der falsche Weg. Damit wurde die Oper auch für ihre Liebhaber immer entbehrlicher.
Draußen Public Viewing, drinnen spätfeudalistischer Glanz
Länger schon besinnt man sich eines Neuen, nicht immer zum Wohle der Kunstform, aber im Diskurs ist die Oper damit allemal. Das lässt sich besonders gut in Berlin mit seinen drei konkurrierenden Musiktheatermanufakturen studieren. Man setzt auf fachfremde, aber berühmte Regisseure, macht in Jugend, das kommt immer gut und veranstaltet neuerdings Charity-Ballettgalas zum Saisonauftakt, wo die nicht eben als "Schwanensee"affin bekannte Ute Ohoven als Ehrendame präsidiert.
Eine andere Zauberformel heißt Public Viewing, eigentlich ein Unwort, das im Englischen für öffentliche Aufbahrung steht. Da kann man sich nun trefflich streiten, ob das künstlerisch Sinn ergibt, ob Oper mit Kinderschreien, Autohupen, Flugzeuglärmen und Bratwurstduft noch jenes "Kraftwerk der Gefühle" ist, auf das selbst Puristen pochen. Aber die Leute haben offenbar, umsonst und draußen, Spaß damit.
45.000 Besucher nahmen so an zwei sonnigen Spätsommertagen den Bebelplatz vor der Staatsoper zu deren Saisonauftakt mit "Fidelio" und Beethovens 9. Sinfonie in Picknickbesitz. Es schien das hochkulturwillige Fußvolk gar nicht zu stören, dass der sponsernde Autobauer drinnen in der Lindenoper spätfeudalistischen Glanz für die Happy Few von der Gästeliste zelebrierte.
In New York kommen die Kostüme schon von Lacroix
Die Opernhäuser haben von den Ausstellungshäusern mit ihren jahrmarktartigen Museums- und Schlössernächten gelernt. Die Deutsche Oper Berlin beispielsweise startet nicht nur mit Tag der offenen Tür und Kinderschminken in die neue Spielzeit. Da wird eine Podiumsdiskussion zur "Schönheitskonferenz" geadelt. Und die Premieren hat man sich schon mal vorab von André Rival werblich durchfotografieren lassen, der gleich noch die opernliebende Nadja Auermann als Model zum Selbstkostenpreis mitbrachte. Bei der Glanzpapierpresse füllten die Bilder ganze Fotostrecken aus; dumm nur, dass die "Turandot"-Premiere am Sonnabend längst nicht so opulent besetzt ist, wie es die Fotos suggerieren.
Das Berliner Staatsballett wirbt - für alle Tütühasser - seit Neuestem auf allen Litfaßsäulen mit monochrom eingefärbten Landschaften und esoterisch unterfütterten Sprüchen. Und während die Lindenoper auf den Namen Daniel Barenboim als Programm setzt, konzentriert sich die Komische Oper, im Vollgefühl ihres künstlerischen Erfolges bei der Kritik, ganz altmodisch auf Inhalte: Mozarts Requiem, verknüpft mit dem Schauspiel "In der Schlangengrube" von Armin Petras und Jan Kauenhowen, für das die beiden Patienten von Sterbehospizen interviewt haben, inszeniert von Sebastian Baumgarten, dirigiert von Markus Poschner, das dürfte zu den ambitioniertesten Opernouvertüren der Saison gehören.
Den Gipfel des Glamours bietet die Metropolitan Opera: die Soprandiva Renée Fleming singt dort (und in 600 Lichtspielhäusern) in der Eröffnungsgala einen Akt aus "La Traviata" und "Manon" sowie die "Capriccio"-Schlussszene, jeweils in eigens kreierten Kostümen von Christian Lacroix, Karl Lagerfeld und John Galliano. Außerdem wird an diesem 22. September der Duft des in einem Altar eingeschlossenen "La Voce by Renée Fleming" entkorkt: Passionsfrucht, ein Akkord von weißem Trüffel, Jasmin, Wildlilie, schwarzes Schokoladenmousse und Ebenholz. Auf dass man die Oper jetzt auch riechen kann.