Morgenpost Online: Frau Thimm, hier sitzt der Mann, dem sie das Rauchverbot zu verdanken haben. Sind Sie wütend auf Herrn Binding?
Sylvia Thimm: Das Rauchverbot bevormundet mündige Bürger. Weil immer mehr Raucher nun zu Hause bleiben, muss ich um meine Existenz fürchten. Eine kleine Kneipe wie meine lebt davon, dass die Gäste hier rauchen dürfen.
Lothar Binding: Vielleicht kommen die Gäste ja auch aus ganz anderen Gründen? Weil ihnen die Musik gefällt? Oder der Service?
Thimm: Und wo sollen die Raucher dann noch rauchen?
Binding: An der frischen Luft.
Thimm: Vor der Tür, wo Kinder vorbeigehen? Oder auf dem Kinderspielplatz? Wir müssen doch gerade die Kinder davon abhalten, mit dem Rauchen anzufangen.
Binding: Welcher Raucher denkt schon daran, dass Kinder in der Nähe sein könnten, wenn er sich eine Zigarette ansteckt? Wir haben ja sogar Vorbilder in der Politik, die im Fernsehen rauchen wie Altbundeskanzler Helmut Schmidt.
Thimm: Diese Schwäche macht ihn gerade sympathisch.
Binding: Ich war selbst einmal starker Raucher. Jetzt setze ich mich für Rauchverbote in öffentlichen Räumen ein, weil Tabakrauch die Gesundheit gefährdet.
Thimm: Der Staat will mir vorschreiben, wie ich mich in meiner Kneipe zu verhalten habe. Und gleichzeitig subventioniert die Europäische Union den Tabakanbau. Das passt doch nicht zusammen.
Binding: Konservative Kreise haben in Brüssel durchgesetzt, dass die Tabakbauern bis 2010 noch verstärkt gefördert werden. Das halte ich für einen schweren gesundheitspolitischen Fehler.
Morgenpost Online: Warum dürfen Wirte nicht selbst entscheiden, ob in ihrer Eckkneipe geraucht werden darf oder nicht?
Binding: Das würde die freie Wahl des Arbeitsplatzes einschränken und würde damit gegen die Verfassung verstoßen.
Thimm: Aber ich mache in meiner Kneipe doch alles allein.
Binding: Juristisch gesehen ist das ein potenzieller Arbeitsplatz. Und denken Sie an Ihre Lieferanten.
Thimm: Das ist mein Arbeitsplatz, den ich mir ausgesucht habe. Ich wollte genau diese Kneipe haben und kein Café mit Yogi-Tee. Meine Gäste trinken Bier und Wodka und rauchen dazu eine Zigarette. Ich bin mit meiner Kneipe auch ein Wirtschaftsfaktor. Wollen Sie, dass alle Raucher aufhören? Dann würden die Steuereinnahmen sinken.
Binding: Sie haben Recht, dass der Staat etwa 14 Milliarden Euro Steuern einnimmt, weil Menschen rauchen. Sie haben aber auch Unrecht, weil die Kosten des Rauchens mit etwa 40 Milliarden Euro um ein Vielfaches höher sind.
Morgenpost Online: Machen Sie sich denn gar keine Sorgen um die Gesundheit Ihrer Gäste, Frau Thimm?
Thimm: Dann müssten wir auch Fast-Food-Ketten verbieten. Immer mehr Deutsche haben Übergewicht. Auch das macht krank und verursacht hohe Kosten.
Binding: Wer zu viel isst oder Alkohol trinkt, schädigt aber seine Mitmenschen nicht. Das ist beim Tabak anders. Nicht nur aktives Rauchen, sondern auch unfreiwilliges Passivrauchen gefährdet die Gesundheit.
Thimm: Zu mir kommen viele Nichtraucher, weil es hier vor allem auch im Winter warm und gemütlich ist. Der Rauch stört sie nicht.
Binding: Die Tabakindustrie versucht mit ihrer Werbung, Rauchen gerade mit diesem Attribut der Gemütlichkeit zu verbinden.
Thimm: Für mich ist eine Zigarette ein Genuss. Und das will ich mir als mündiger Bürger einfach nicht verbieten lassen. Und wenn es jemandem hier nicht gefällt, hat er die Freiheit, woanders hinzugehen.
Morgenpost Online: Warum wollen Sie den Rauchern die Freiheit nehmen, selbst zu entscheiden, wann und wo sie rauchen wollen, Herr Binding?
Binding: Als die Gurtpflicht eingeführt wurde, fühlten sich die Autofahrer auch in ihrer Freiheit eingeschränkt. Die Zahl der Verkehrstoten wurde inzwischen von 15.000 auf 5000 reduziert. An den Folgen des Tabakkonsums aber sterben jedes Jahr 140.000 Menschen; 3300 allein durch Passivrauchen.
Thimm: Wenn die Gäste in meine Kneipe kommen, ist ihnen für einen Abend die Gesundheit egal. Dann wollen sie einfach Spaß haben.
Binding: Jeder Raucher glaubt natürlich, dass er gesund bleibt. Aber wenn er dann erfährt, an Lungenkrebs erkrankt zu sein, wünscht er sich zurück in eine Phase, wo er noch einmal entscheiden könnte, nicht zu rauchen. Das habe ich in Gesprächen mit Krebspatienten immer wieder gehört.
Morgenpost Online: Haben Sie auch manchmal Angst, zu erkranken, Frau Thimm?
Thimm: Rauchen ist ein Laster, und zu dem stehe ich. Wenn ich erkranken sollte, dann trage ich allein die Verantwortung dafür. Mir geht es um die Freiheit, selbst zu entscheiden. Ich will mir nicht vorschreiben lassen, wie ich mein Leben zu führen habe. Wir leben in einer Demokratie, und die wird jetzt sukzessive beschnitten.
Binding: Woran denken Sie da?
Thimm: Bald wird noch das Rauchen in Mietwohnungen verboten.
Binding: Es ist auch eine beliebte Strategie der Werbung, mit solchen Übertreibungen ein ernstes Thema ins Lächerliche zu ziehen.
Thimm: Herr Binding, das Bier ist teurer geworden, aber ich habe den Preis nicht erhöht. Das ist meine freie Entscheidung.
Binding: Diese unternehmerische Freiheit haben Sie.
Thimm: Genau. Und warum habe ich dann nicht die unternehmerische Freiheit zu entscheiden, eine Raucherkneipe zu führen?
Binding: Rechtsnormen lassen sich nicht entlang der individuellen Situation festlegen. Es gibt andere Wirte, die andere Interessen haben, die dann auch berücksichtigt werden müssten.
Thimm: Und wo bleibt dann meine unternehmerische Freiheit?
Morgenpost Online: Sind Rauchverbote in kleinen Eckkneipen praktikabel, Herr Binding?
Binding: Die Probleme gibt es nur, weil es so viele Ausnahmen gibt. Die 16 Ländergesetze sind schlecht. Ich halte sie unter dem Aspekt der Gleichheit, Berufsfreiheit und Wettbewerbsverzerrung nicht für verfassungskonform. Ich rechne damit, dass die Richter in diese Richtung entscheiden werden.
Thimm: Ich wäre sogar bereit, etwas dafür zu zahlen, dass ich eine Raucherkneipe führen kann. Ich könnte einen bestimmten Anteil meines Jahresumsatzes für die Krebsforschung spenden. Oder ich investiere in eine bessere Lüftung.
Binding: Studien zeigen, dass dieser technische Nichtraucherschutz nicht funktioniert. Auch nach drei Stunden Lüftung ist die Luft in der Kneipe immer noch kontaminiert.
Morgenpost Online: Es geht also um die Abwägung zwischen Freiheit und Gesundheit?
Binding: Der Nichtraucher gewinnt durch das Rauchverbot in Gaststätten Freiheit hinzu.
Thimm: Und die Raucher verlieren ihre Freiheit. Wenn ich hier mit meinen Gästen sitze und eine Zigarette rauche, fühle ich mich wohl. Das ist eine Lebensart.
Binding: Das blendet den Gesundheitsaspekt aber völlig aus.
Thimm: Wenn Gäste in meine Kneipe kommen, wollen sie nicht gesund leben. Verstehen Sie?
Binding: Ziel des Gesetzes ist aber der Gesundheitsschutz.
Thimm: Ich will meine Kneipe als Raucherkneipe weiterführen. Dafür kämpfe ich in Karlsruhe.
Binding: Ich hoffe, dass die gesetzlichen Rauchverbote der Länder überarbeitet werden müssen oder besser noch eine bundeseinheitliche Regelung kommt.
Thimm: Sie wissen, was das heißt? Das würde ein Rauchverbot für alle Gaststätten bedeuten.
Binding: Ohne die vielen Ausnahmen würde es keine Wettbewerbsverzerrungen mehr geben.
Thimm: Wenn es beim Rauchverbot bleibt, muss es ausnahmslos für alle Gaststätten gelten.
Binding: Da bin ich ganz Ihrer Meinung, Frau Thimm.
Thimm: Dann haben wir ja doch eine Gemeinsamkeit gefunden.