Im Streit um die Bebauung des Spreeufers zwischen Friedrichshain und Kreuzberg haben die Gegner des Mediaspree-Projektes am Sonntag einen Sieg errungen. Am Bürgerentscheid über die Baupläne beteiligten sich 34.934 Berliner (19,1 Prozent) – weit mehr als die erforderlichen 27.389 Wahlberechtigten im Bezirk. Etwa 7000 davon gaben ihre Stimme per Briefwahl ab. Der Vorschlag der Gegner des Projektes bekam nach Angaben des Wahlleiters Heinrich Baasen 86,8 Prozent Ja-Stimmen, der des Bezirks 44,5 Prozent Ja-Stimmen.
Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) sagte, es habe ein eindeutiges Bürgervotum für die Ziele des Bürgerentscheids gegeben. Jetzt stünde der Bezirk nicht vor der Frage, ob die Projekte angegangen werden, sondern es ginge darum, „wie“ das Vorhaben umgesetzt werde. Er forderte auch den Senat auf, das Ergebnis des Bürgerentscheids zu akzeptieren. Mit den Investoren müsse jetzt darüber geredet werden, inwieweit sie bereit seien, die Forderungen des Bürgerentscheids zu übernehmen.
Das Bezirksamt will nun einen Sonderausschuss einrichten, der unter Mitwirkung von Vertretern der Initiative „Mediaspree versenken“ Spielräume für die Umsetzung des Bürgerentscheids ausloten soll. Rechtlich bindend ist das Votum der Bürger allerdings nicht. Seitens der Investoren hält man den Ausschuss ohnehin für ein „rechtlich zweifelhaftes“ Mittel und hofft auf Rückendeckung aus der Landesregierung.
Bei der Abstimmung konnten die Bürger drei Fragen beantworten. Bei der ersten Frage (A) ging es um das Ersuchen der Gegner des Mediaspree-Projektes. Ihr Vorschlag verlangt unter anderem, dass Neubauten nicht näher als 50 Meter an die Spree heranrücken dürfen. Außerdem sollen keine neuen Hochhäuser zwischen der S-Bahn auf Friedrichshainer Seite und der Köpenicker Straße auf Kreuzberger Seite gebaut werden. Statt einer Straßenbrücke soll nur ein Fußgänger- und Radfahrerweg über die Spree gebaut werden. Der Vorschlag bekam 86,8 Prozent Ja- und 13,2 Prozent Nein-Stimmen. Ungültig waren 1,7 Prozent.
Mehrheit gegen Mediaspree
Der Vorschlag der Bezirksverordnetenversammlung, der nur 44,5 Prozent Ja-, aber 55,5 Prozent Nein-Stimmen bekam, sieht unter anderem vor, auf eine Bebauung des Ufers auf einer Breite von 50 Metern nur zu verzichten, wenn dadurch keine Entschädigungen auf den Bezirkshaushalt zukommen. Auf der Kreuzberger Seite sollten demnach keine Hochhäuser gebaut werden, am Osthafen soll auf ein geplantes Hochhaus verzichtet werden. Eine neue Brücke soll für den öffentlichen Nahverkehr, Fußgänger und Radfahrer sein. Ungültig waren hier 4,3 Prozent der Stimmen.
Schließlich mussten die Wähler entscheiden (C), welcher Plan durchgesetzt werden soll, wenn beide Vorschläge mehr Ja- als Nein- Stimmen bekommen. Zwar kam die Frage nicht zum Tragen, aber auch bei der Frage C gab es laut Baasen mehr Ja-Stimmen für den Vorschlag der Mediaspree-Gegner.
Dabei sah es lange so aus, als würde die Initiative "Mediaspree versenken" scheitern. Bis um 16 Uhr hatten in Friedrichshain-Kreuzberg nach Angaben des Abstimmungsleiters nur 9,4 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Allerdings: Beim Bürgerentscheid über die Rudi-Dutschke-Straße vor eineinhalb Jahren habe die Wahlbeteiligung bis 16 Uhr auch nur bei 10,5 Prozent gelegen, erklärte Wahlleiter Heinrich Baasen. Zudem sei damals die Zahl der Briefwähler niedriger gewesen als diesmal. Trotz der insgesamt schwachen Beteiligung war im Januar 2007 das notwendige Quorum von 15 Prozent erreicht worden.
Gegner fordern Unterstützung vom Senat
Ein bisschen überrascht war Carsten Joost, Frontmann der Mediaspree-Gegner, dann doch über das Ergebnis. „Das sind ja fast sozialistische Verhältnisse“, freute er sich am Abend im Rathaus Kreuzberg, wo die Auszählung im BVV-Saal mitverfolgt werden konnte.
„Die Botschaft ist klar. Das war eine beeindruckende basisdemokratische Meinungsäußerung“, sagte Bürgermeister Franz Schulz (Grüne). Auch in seiner Partei hatte der Protest durchaus Befürworter gefunden. „Da dürften auch einige Ja-Stimmen für den Vorschlag der Initiatoren des Entscheids dabei gewesen sein, vermutete der Grünen-Fraktionsvorsitzende in der BVV, Manuel Sahib.
Die Grünen hatten bereits am frühen Abend in einer Pressemitteilung den Senat aufgefordert, auf landeseigenen oder unter Planungshoheit des Landes liegenden Grundstücken wie dem Friedrichshainer Spreegrundstück östlich der Schillingbrücke oder dem Freigelände an der Kreuzberger Cuvrystraße Spielräume für Grünflächen zu nutzen. Der Bürgerwille dürfe nicht mißachtet werden, sagte Sahib. Es gibt Gerüchte, das Land könnte dem Bezirk die Zuständigkeit für den gesamten Spreeraum entziehen. Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) erwartet „sicherlich Konflikte mit dem Senat“.
Bezirk fürchtet Millionen-Forderungen
Auf Rückendeckung durch die Landesregierung setzen dagegen die Investoren, die auf ihre Planungssicherheit pochen. „Es war allen klar, dass sich durch den Entscheid Stadtplanung nicht aushebeln lässt“, sagte Christian Meyer, Geschäftsführer des Investorenzusammenschlusses Mediaspree e.V.. Der vom Bezirk geplante Sonderausschuss sei ein „rechtlich sehr zweifelhaftes Mittel“. „Die Investoren haben geltendes Baurecht. Auf ihre Entschädigungszahlungen würde im Ernstfall wohl keiner von ihnen verzichten“, so Meyer.
Das hatte Bezirksbürgermeister Schulz für das Bezirksamt errechnen lassen: Was würde es kosten, die bereits als Bauland ausgewiesene Fläche von etwa 224.000 Quadratmetern wieder umzuwidmen? Dabei kam die immense Summe von 164,7 Millionen Euro zusammen, die den Grundstückseigentümern als Entschädigung gezahlt werden müsste.
Nur etwa ein Drittel dieser Summe halten die Initiatoren des Bürgerentscheids für wahrscheinlich, Meyer dagegen geht von noch höheren Belastungen für den Bezirk aus, sollte das Bürgervotum realisiert werden. Die Zusage, zehn Meter des Uferstreifens für die Öffentlichkeit offen zu halten, bezeichnete er bereits als ein Entgegenkommen der Bauplaner. „Vielleicht haben wir das bisher in der Bevölkerung nicht ausreichend kommuniziert und den Gegnern zu sehr das Feld überlassen.“ Sollten die Planungen gestoppt und die Entschädigungen fällig werden, „wird nicht nur eine positive Entwicklung für den Bezirk und die Arbeitsplätze gestoppt, sondern die Brachen am Ufer bleiben dann auch Brachen. Und einen Uferweg gibt es gar nicht.“
Das Votum ist nicht bindend
Vor dem Wahlgang hatte Bürgermeister Schulz betont, dass das Votum nicht bindend ist: „Der Bürgerentscheid ist ein Ersuchen an das Bezirksamt.“ Egal, welche Variante gewinnt: „Das Bezirksamt wird den Entscheid sehr ernst nehmen müssen und Wege und Lösungen suchen, wie er umgesetzt werden kann.“ Viel jedoch, und daran lässt der Bürgermeister kaum Zweifel, wird das vermutlich nicht sein: „Zurzeit haben wir über unseren Haushalt keinerlei Möglichkeiten“, so Schulz.
Rund 187.500 Einwohner des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg waren aufgerufen, über die künftige Bebauung des Spreeufers zwischen Michael- und Elsenbrücke abzustimmen. Für die Gültigkeit des Bürgerentscheids war ein Anteil von mindestens 15 Prozent der zur Bezirksverordnetenversammlung (BVV) gehörenden Wahlberechtigten erforderlich, was rund 27.400 Stimmen entsprach.
Investitionen von zwei Milliarden Euro
Mediaspree sieht Investitionen von insgesamt zwei Milliarden Euro und 1,3 Millionen Quadratmeter Neubaufläche in verschiedenen Wohn-, Büro-, Hotel- und Amüsierquartieren vor. An vielen Stellen ist diese Vision schon erlebbar – etwa am Bürostandort Oberbaum City, an den Universal- und MTV-Studios sowie beim Modezentrum Labels Berlin 1 im alten Osthafen und bei der O2-Arena an der Mühlenstraße, die am 10. September öffnet.
Das Bürgerbegehren „Mediaspree versenken“ war mit über 16.000 eingereichten Unterschriften im März 2008 zustande gekommen. Mediaspree ist ein Netzwerk von Unternehmen zur Bebauung und kommerziellen Nutzung des Spreeufers zwischen der Elsen- und Jannowitzbrücke. Die Initiative will verhindern, dass diesen Vorhaben die vielen alternativen Clubs an der Spree weichen müssen.