Unschuldig im Gefängnis

Justizsenatorin fordert höhere Haftentschädigung

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Jens Anker

Wer zu unrecht ins Gefängnis kommt, bekommt elf Euro Entschädigung pro Tag und muss noch für seine Zellen-Unterkunft bezahlen. So sieht es das Gesetz vor. Berlins Justizsenatorin unterstützt nun einer Forderung von Berliner Anwälten, den Entschädigungssatz zu erhöhen, auch wenn so höhere Kosten auf das Land zukämen.

Der Berliner Anwaltsverein hat Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) aufgefordert, sich im Bund für eine deutliche Erhöhung der Entschädigung für unschuldig Inhaftierte einzusetzen. Derzeit erhalten Häftlinge, die zu Unrecht in Untersuchungshaft kommen, elf Euro je Tag. Davon müssen die Betroffenen jedoch bis zu sieben Euro je Tag für das erhaltene Essen und die Zellenunterkunft abgeben, so dass am Ende vier Euro je Hafttag übrig bleiben.

Der Vorsitzende des Anwaltvereins, Ulrich Schellenberg, kritisiert die gegenwärtige Regelung. „Dieser Entschädigungsbetrag ist in keiner Weise geeignet, auch nur im entferntesten einen angemessenen Ausgleich für die erlittene Freiheitsentziehung zu geben“, sagte Schellenberg. Der Betrag von vier Euro zeige, „wie schäbig unser Rechtsstaat mit seinen Opfern umgeht“. Der Anwaltverein fordert daher mindestens eine Verzehnfachung des gegenwärtigen Betrages. „Ab 100 Euro pro Tag können wir über eine angemessene Entschädigung reden“, sagte Schellenberg. „Ein Tag in Freiheit ist nicht zu bezahlen.“

Justizsenatorin von der Aue unterstützt die Forderung der Anwälte. „Ich werde mich auf der nächsten Justizministerkonferenz für eine Änderung einsetzen“, sagte von der Aue am Donnerstag am Rande der Abgeordnetenhaussitzung. Berlin könne sich mit einer Bundesratsinitiative an die Spitze der Entwicklung stellen. Dabei ließ von der Aue offen, ob sie sich für eine entsprechende Anhebung des Entschädigungsbetrages einsetzt. „Sinnvoll ist auch eine Regelung wie in Österreich, wo der Gesetzgeber eine angemessene Entschädigung vorschreibt“, sagte von der Aue.

Berlinerin erhielt 3600 Euro für 888 Tage unschuldig in Haft

Anlass für die Initiative des Anwaltvereins ist der Fall einer Berlinerin, die insgesamt 888 Tage unschuldig in Untersuchungshaft saß. Zwischenzeitlich war sie zu lebenslanger Haft wegen Mordes an ihrem Vater verurteilt worden. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil auf.

Im Frühjahr dieses Jahres erhielt sie einen lupenreinen Freispruch. Nach Abzug des Essens- und Unterbringungsbetrages erhielt die Frau demnach am Ende für fast zweieinhalb Jahre Untersuchungshaft insgesamt 3600 Euro.

Nach Angaben der Justizsenatorin dürfte eine Erhöhung der Entschädigung nicht an den Finanzen scheitern. In den vergangenen Jahren zahlte das Land jeweils weniger als 100.000 Euro jährlich für unschuldig Inhaftierte. Im vergangenen Jahr lag die Summe bei insgesamt 95.000 Euro.

"Für die Freiheit eines Menschen ist uns nichts zu teuer"

Der Anwaltsverein unterstreicht seine Forderung mit Schadenersatzzahlungen in anderen Fällen. So hat ein Gericht einen von einem Kaufhausdetektiv festgehaltenen vermeintlichen Dieb 175 Euro Schadenersatz zugesprochen, wobei die Freiheitsentziehung weniger als eine Stunde gedauert hat. In einem anderen Fall sprach das Gericht einem Tankstellenpächter, der zu Unrecht etwa 35 Minuten festgehalten worden war, insgesamt 250 Euro Schmerzensgeld zu.

Die Regelung über die Zahlung einer Entschädigung bei zu Unrecht erlittener U-Haft besteht seit 1971. 16 Jahre später wurde der Betrag von zehn D-Mark auf 20 D-Mark erhöht. Im Jahr 2001 wurde der Betrag auf elf Euro umgestellt. Seit sechs Jahren laufen vereinzelte Bestrebungen, eine Neuregelung zu finden. Derzeit hat das Bundesministerium der Justiz Stellungnahmen von allen Bundesländern angefordert, wie sie sich eine Neufassung des Gesetzes vorstellen. Einige Länder haben bislang einer moderaten Erhöhung zugestimmt, andere Länder lehnen die befürchteten Mehrausgaben ab. Das Land Berlin unterstützt eine deutliche Anhebung der Entschädigungssätze und lässt fiskalische Bedenken nicht gelten. „Für die Freiheit eines Menschen ist uns nichts zu teuer“, sagte Justizstaatsekretär Hasso Lieber (SPD).