30 Jahre Mauerfall: Peter Brinkmann, Walter Momper, Georg Schertz, Harald Jäger und Konrad Lorenzen prägten den 9.November.
Peter Brinkmann, der Journalist, stellte die entscheidende Frage
Im Internationalen Pressezentrum an der Mohrenstraße (Mitte) begann am 9. November um 18 Uhr in einem überfüllten Saal die Pressekonferenz zur Sitzung des ZK der SED. Dieses wollte an diesem Tag ein neues Reisegesetz beschließen. In der ersten Reihe wartete der Journalist Peter Brinkmann, wie alle Kollegen, auf Informationen dazu.
Doch Günter Schabowski, Sprecher des Politbüros, verlas erst auf die Nachfrage der Journalisten einen Zettel, den er kurz vor der Konferenz erhalten hatte: „Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen … beantragt werden … über alle Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD bzw. Berlin (West) ...“ Mehrere Journalisten riefen: „Ab wann?“, Peter Brinkmann rief noch lauter: „Ab sofort?“ Schabowski antwortete mit dem heute legendären, gestammelten Satz: „Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.“ Was er übersehen hatte: Die Regelung sollte erst am folgenden Morgen greifen.
Walter Momper, der Regierende, hieß alle willkommen

Walter Momper (SPD), damals Regierender Bürgermeister Berlins, erfuhr ausgerechnet bei der Berliner Morgenpost vom Mauerfall. Er war zu Gast bei einem Empfang im Axel-Springer-Verlag, in dem die Morgenpost damals erschien. „Der Chefredakteur zeigte mir die Aufzeichnung der Pressekonferenz, auf der Schabowski die berühmten Zeilen verlas“, berichtet der heute 74-Jährige. Zu dem Zeitpunkt habe er noch geglaubt, die neue Reiseregelung werde erst ab dem folgenden Tag gelten. „Aber ich habe ja selbst mit dafür gesorgt, dass es anders kam.“
Vom Empfang fuhr Momper mit Blaulicht zum Interview bei der „Abendschau“ (damals SFB). „Ich sagte, dies sei der Tag, auf den wir 28 Jahre lang gewartet hatten, und dass wir uns freuten, dass nun alle zu uns kommen könnten. Und dass es historische Stunden seien.“ Momper vermied, über offene Grenzen zu sprechen, aber er ahnte, was er auslösen würde. Erst gegen 23 Uhr kam er selbst an die Grenze. Am Übergang Invalidenstraße stauten sich fast 10.000 Menschen, die Situation war chaotisch. Schließlich kletterte der Regierende kurzerhand auf einen Tisch und rief per Megafon auf, Ruhe zu bewahren. Er habe in diesem Moment große Angst gehabt, die DDR-Grenzsoldaten könnten die Tore hinten schließen und auf die Menschen schießen. „Es war skurril. Die Grenzer waren auf einmal verschwunden. Ich fühlte mich buchstäblich allein mit zehntausend Menschen.“ Dass die Nacht friedlich blieb und wie sie verlief, sei für ihn bis heute einfach nur „Wahnsinn und ein Wunder“.
Georg Schertz, der Polizeipräsident, behielt die Nerven

Als Polizeipräsident Georg Schertz sich am Morgen des 9. November von seinem Haus an der Havel auf den Weg ins Polizeipräsidium machte, hatte er nicht die geringste Vorahnung. Ruhige Lage, kein Anzeichen, dass etwas passieren könnte. Also beschloss er, am Abend der Einladung zum 50. Geburtstag des Filmregisseurs Ulrich Schamoni zu folgen. Um 20.15 Uhr kam sein Fahrer in den Saal mit der Nachricht, dass es eine größere Menschenansammlung am Grenzübergang Bornholmer Straße gebe. „Da war mir klar, da braut sich was zusammen“, erinnert sich der heute 84-Jährige.
Mit Reiseerleichterungen habe man intern schon seit September gerechnet. Aber dass diese so schnell umgesetzt werden sollten? Da war der DDR wohl was aus dem Ruder gelaufen, so seine Vermutung. Schertz wies den Lagedienst an, regelmäßig Meldung zu machen und ging um 22 Uhr zu einer eilig einberufenen Sondersitzung in der Senatskanzlei. Gegen 23.30 Uhr fuhr er zur Invalidenstraße – die Grenze war schon offen. Ein West-Berliner Polizist stand unmittelbar vor der Mauer und ein Hauptmann der DDR-Grenztruppen auf der Mauer. Ein ungewöhnliches Bild. Ihm wurde erklärt, das gehe schon in Ordnung, „wir machen das hier gemeinsam und unbürokratisch“.
Die Lage am Brandenburger Tor hielt die Polizei noch zwei Tage in Atem. Am 10. November waren etwa 3000 Menschen von West-Berliner Seite auf die Mauer geklettert. Sie schossen Feuerwerkskörper, warfen Flaschen. Nicht wenige waren alkoholisiert. Wenn es an diesem Ort nur einen Toten gibt, so seine Befürchtungen, hätte die DDR ihren Vorwand, massiv einzugreifen und so die Dinge rückgängig zu machen. Als die DDR Wasserwerfer einsetzen wollte, bat Schertz darum, nicht mit dem harten Strahl auf die Menschen zu zielen. Sie wurden nur „beregnet“. Am Morgen des 11. November ließ er auf West-Berliner Seite Mannschaftswagen vor der Mauer auffahren. Keiner konnte mehr auf die Mauer klettern. Die Situation entschärfte sich, und die Lage am Brandenburger Tor war unter Kontrolle.
Harald Jäger, der Oberstleutnant, öffnete die Schranke

An seiner Person haben sich Biografen und Regisseure abgearbeitet, dabei wollte er eins auf keinen Fall sein – ein Held. Harald Jäger, heute 76 Jahre alt, war als Oberstleutnant stellvertretender Leiter der DDR-Grenzübergangsstelle Bornholmer Straße und öffnete am 9. November die erste Schranke. Gegen 20 Uhr sah er während seiner Pause die Nachrichten, sein Vorgesetzter meinte aber, die alten Regelungen gälten weiter. Als der Andrang am Grenzübergang immer größer, die Situation angespannter wurde, seine Vorgesetzten aber weiter schwiegen, beschloss Jäger gegen 23.30 Uhr, die Grenze im Alleingang zu öffnen. Über Jäger erschien eine Biografie („Der Mann, der die Mauer öffnete“) und ein Fernsehfilm („Bornholmer Straße“, 2014). Er selbst stellte sich seiner Geschichte als DDR-Grenzschützer auch in kritischem Licht und bekam dafür viel Respekt.
Konrad Lorenzen, der BVG-Chef, erwartete den Ansturm

Dass West-Berlin ein Besucheransturm ins Haus stehen würde, war dem damaligen BVG-Chef Konrad Lorenzen durchaus bewusst. Schon am 29. Oktober hatte nämlich Günter Schabowski West-Berliner Politikern und Beamten bei einem Treffen in Ost-Berlin eine neue Reiseregelung angekündigt. Sie sollte im Dezember greifen. Direkt nach diesem Treffen begannen die Vorbereitungen, berichtet Lorenzen. Wichtigstes Ziel: Die Besucher sollten möglichst nicht mit ihren stinkenden Zweitakt-Trabis und Wartburgs kommen, sondern mit den Öffentlichen. Da im Sommer gerade 200.000 Gäste zum Evangelischen Kirchentag in West-Berlin gewesen waren, sagt Lorenzen, fühlte die BVG sich gewappnet.
Doch die Grenzöffnung am 9. November überraschte alle. Lorenzen war auf Dienstreise in Rotterdam. Seine Führungskräfte wurden spätabends in die Senatskanzlei einbestellt und beauftragt, noch in der Nacht Kontakt mit den ÖPNV-Betrieben Ost-Berlins und Potsdams aufzunehmen. Die zwei West-Berliner S-Bahn-Linien fuhren die ganze Nacht durch, dann auch die U-Bahnen. Als Lorenzen am 10. November nach Berlin zurückkam, standen sich die Besucherströme Richtung Ost und West gegenseitig im Weg, U-Bahnhöfe im Westteil mussten wegen Überfüllung geschlossen werden. Die BVG „mobilisierte sämtliche Kräfte der Abteilung Oberflächenverkehr“, bereitete Umleitungen vor, druckte S-Bahn-Pläne, berichtet Lorenzen in seinem Buch „Wendezeit“ (Selbstverlag). Und schon in der Nacht zum 11. November kamen die Direktoren des Ost-Berliner Verkehrskombinats BVB in seinem Büro, um die Wiedervereinigung von Berlins öffentlichem Nahverkehr zu organisieren.
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uk/kla