Berlin. Vor 81 Jahren kam es landesweit zu Pogromen gegen jüdische Mitbürger.

Es waren Tage der Gewalt, der Demütigung und der Ausgrenzung, vom Staat angeordnet, von der andersgläubigen Bevölkerung größtenteils unterstützt und geduldet. Wer heute vom 9. November spricht, sollte nicht von den Novemberpogromen des Jahres 1938 schweigen, für die die Zeitgenossen das noch Jahrzehnte nach dem Krieg gebräuchliche, verharmlosende Wort der „Reichskristallnacht“ prägten, benannt nach den Schaufensterscherben der jüdischen Einrichtungen und Geschäfte.

Zwischen dem 7. und dem 13. November wurden in Deutschland und Österreich etwa 800 Juden ermordet, allein 400 in der Nacht von der 9. auf den 10. November. Tausende Synagogen, Betstuben, Versammlungsräume, Geschäfte, Wohnungen und Friedhöfe wurden zerstört. Etwa 30.000 jüdische Deutsche wurden in die Konzentrationslager Buchenwald, Sachsenhausen und Dachau eingewiesen, wo mindestens 400 weitere ermordet wurden oder an den menschenunwürdigen Haftbedingungen starben. Der Vorwand des NS-Regimes für die neue Eskalationsstufe seiner antisemitischen Politik war ein Vorfall in Paris. Dort hatte der damals 17-jährige, aus Deutschland geflohene polnische Jude Herschel Grynszpan am 3. November von der Zwangsdeportation seiner Familie erfahren, in seiner Wut darüber die deutsche Botschaft aufgesucht und auf den Diplomaten Ernst vom Rath geschossen, der am 9. November seinen Verletzungen erlag. Für die NS-Führung war der Vorfall ein willkommener Anlass, um gegen die jüdische Bevölkerung zu mobilisieren – eine bereits beim Reichstagsbrand im Jahr 1933 angewendete Strategie. Zugleich fügten sich die Novemberpogrome in die großen Linien der antisemitischen Politik im Nationalsozialismus, die von alltäglicher Ausgrenzung, Schikanierung und Berufsverbot über Enteignung und Entrechtung bis hin zu Deportation und Ermordung reichte.

In Berlin gehörte der Schriftsteller Erich Kästner zu den Zeugen jener Nacht, die er am Kurfürstendamm erlebte. „Es waren SS-Leute“, schrieb er in sein Tagebuch, „in schwarzen Breeches und hohen Stiefeln, aber mit Ziviljacken und Hüten. Sie gingen gelassen und systematisch zu Werke. Jedem schienen vier, fünf Häuserfronten zugeteilt. Sie hoben die Stangen, schlugen mehrmals zu und rückten dann zum nächsten Schaufenster vor. Passanten waren nicht zu sehen.“ In Klammern gesetzt fügt er hinzu: „Erst später, hörte ich am folgenden Tag, seien Barfrauen, Nachtkellner und Straßenmädchen aufgetaucht und hätten die Auslagen geplündert.“

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