30 Jahre Mauerfall

Die Einheit Berlins ist noch nicht fertig - ein Überblick

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Isabell Jürgens
Steht bei Touristen aus aller Welt ganz oben auf der Besichtigungsliste: der ehemalige Grenzübergang „Checkpoint Charlie“ an der Kreuzung Zimmer- und Friedrichstraße. Die als Soldaten verkleidete Schausteller dürfen nach Beschwerden beim Bezirksamt nicht mehr für Touristen posieren.

Steht bei Touristen aus aller Welt ganz oben auf der Besichtigungsliste: der ehemalige Grenzübergang „Checkpoint Charlie“ an der Kreuzung Zimmer- und Friedrichstraße. Die als Soldaten verkleidete Schausteller dürfen nach Beschwerden beim Bezirksamt nicht mehr für Touristen posieren.

Foto: Foto: Fabian Sommer / ZB

Das Zusammenwachsen des geteilten Berlin ist ein zäher und häufig konfliktreicher Prozess. Ein Überblick von Mediaspree bis Tram.

Berlin. Potsdamer Platz, Regierungsviertel, Brandenburger Tor, Bernauer Straße: Die Liste der Orte, die sich in den vergangenen 30 Jahren so stark verändert haben, dass sie kaum mehr wieder zu erkennen sind, ist schier endlos. Wo der Abriss der Grenzanlagen riesige Brachen hinterließ, sind neue Wohn- und Büroviertel entstanden, Einkaufszentren und Hotels emporgewachsen. Doch auch wenn der einstige Mauerverlauf kaum mehr zu erkennen ist, Geisterbahnhöfe längst reaktiviert wurden und Brückenbauwerke einst gekappte Verkehrswege wieder verbinden, offenbart doch der genauere Blick, dass zumindest in einigen Bereichen die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Und nicht nur das: Mancherorts ist die Diskussion gerade wieder neu entbrannt, wie diese wenigen Orte, an denen Trennung Berlins in Ost und West noch spürbar ist, gestaltet werden sollen.

Checkpoint-Charlie: 28 Jahre Teilung, 30 Jahre Stillstand

Beispielhaft für diesen Prozess steht der Umgang mit dem Bauvorhaben am Checkpoint Charlie. Nach dem Mauerfall hatte das Land Berlin die Grundstücke des berühmtesten Grenzübergangs zwischen Kreuzberg und Mitte verkauft. Damals war es der ausgesprochene Wunsch des Senats, aber auch der Bevölkerung, dass die Spuren der 28-jährigen Trennung möglichst schnell verschwinden.

Doch statt der vorgesehenen fünf Gebäudeblöcke wurden nur drei gebaut, die restlichen Baugrundstücke landeten beim Insolvenzverwalter. Der private Entwickler Trockland erwarb die auf den Flächen lastenden Grundschulden von rund 90 Millionen Euro. Vier Jahre lang stimmten der Investor und der Senat das Bauvorhaben miteinander ab, man war sich weitgehend einig über den Bau eines Hotels, von Wohnungen und Gewerbe sowie eines in ein Gebäude integriertes Museums des Kalten Krieges.

Interaktive Anwendung: Wissen Sie noch, wo die Mauer Berlin teilte?

Nach Protesten interessierter Bürger distanzierte sich Berlin dann von den Plänen und arbeitet an einem neuen Bebauungsplan. Die künftige Bebauung beiderseits der Friedrichstraße soll nun sowohl auf der Ost- als auch auf der Westseite den Blick auf die unter Denkmalschutz stehenden Brandwände ermöglichen. Auf der Ost-Seite soll ein Museum des Kalten Krieges entstehen. Kein Gebäude darf höher werden als 28 Meter. Ein Hotel ist genauso ausgeschlossen wie ein Hochhaus. Inzwischen drängt die Zeit, wenn der Senat den Plan in den kommenden Wochen nicht beschließt, verfällt die Veränderungssperre auf den Grundstücken und der Investor darf den gesamten Block bebauen – ohne Museum und mit Hotel. Wann das Buden-Provisorium am Checkpoint Charlie der Vergangenheit angehören wird, ist weiter völlig offen. Schon heute dauert das Gezerre um den so wichtigen Ort der Berliner Geschichte 30 Jahre – und damit bereits zwei Jahre länger als die Teilung Berlins.

Grenzrasthof Dreilinden:Viele Ideen scheiterten

Auch am Stadtrand lassen sich Bereiche finden, die nach dem Fall der Mauer geradezu in eine Art Schockstarre gefallen zu sein scheinen. Während der Checkpoint Bravo Dreilinden, ein Autobahn-Kontrollpunkt der US-Amerikaner an der Grenze zwischen Berlin-Zehlendorf und Brandenburg, heute als Europarc Dreilinden von Online-Unternehmen wie Ebay, Paypal und Mobile gut genutzt wird, liegt der einstig Grenzrasthof Dreilinden seit 2002 brach. Dabei mangelte es nicht an Ideen für eine Nachnutzung des Gebäudes und des großen Parkplatzes. Doch ob Showroom für chinesische Steine, Baumaschinen oder Oldtimer: Nichts davon ließ sich realisieren. Nun hat der aktuelle Eigentümer eine Bauvoranfrage für ein Hotel am und ein Restaurant in dem roten Pop-Art-Rundbau an der Autobahn A 115 gestellt. Das 1973 eröffnete Gebäude steht als Erinnerungsort deutsch-deutscher Teilung allerdings unter Denkmalschutz – Eingriffe in das gesamte Erscheinungsbild von Dreilinden als „Tor nach Berlin“ – also Neu- oder Anbauten – sind damit schwierig bis ausgeschlossen. Noch ist offen, wie es an diesem Geschichtsort weitergeht. Der Bezirk hat noch nicht entschieden.

Mediaspree – bauen oder versenken?

Wie sich im Laufe von 30 Jahren der Blick auf das, was als erhaltenswert gilt oder auch das, was wegkann, ändert, das zeigt auch der Streit um die Bebauung entlang des ehemaligen Mauerstreifens an der Spree zwischen Kreuzberg und Friedrichshain.Mediaspree nannte sich eines der größten Investorenprojekte in Berlin gleich nach der Wiedervereinigung. Auf dem nach dem Fall der Mauer von zahlreichen Clubs zwischengenutzten ehemaligen Todesstreifen auf der Friedrichshainer Seite der Spree sollten Bürogebäude, Lofts und Hotels entstehen. Umgesetzt wurde aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage zunächst nur ein Teil der Projekte. Doch als die Zeiten wieder besser wurden, wuchs auch der Widerstand: Die Initiative „Mediaspree versenken“ führte vor elf Jahren einen Bürgerentscheid herbei. In diesem sprach sich die Mehrheit der Wähler in Friedrichshain-Kreuzberg dafür aus, dass das Spreeufer auf einer Breite von 50 Metern frei von einer Bebauung bleiben muss. Besonders der bis dahin noch unbebaute Abschnitt des Spreeufers hinter der weltbekannten East Side Gallery, dem 1,3 Kilometer langen erhaltenen Teilstück der Berliner Mauer, geriet nun in den Blick.

Gerade im Bau ist dort der 120 Meter langer Gebäuderiegel „Pier 61/63“ an der Mühlenstraße 61 bis 63, ein Komplex mit Hotel und 75 Wohnungen, Shops und Bistros direkt an der Uferpromenade. 2021 soll das Gebäude fertig sein. Direkt neben der „Pier“-Baustelle steht das umstrittene, 63 Meter hohe Luxus-Wohnhochhaus „Living Levels“. Für den Bau des Hochhauses war bereits ein Loch in die East Side Gallery gerissen worden – für den Bau von Pier 61/63 wurde es wurde es im vergangenen Jahr sogar noch erweitert.

Die von mehr als 40.000 Unterstützern unterschriebene Onlinepetition „East Side Gallery retten“ kam zu spät. Die Maueröffnung war durch eine Baugenehmigung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung aus dem Jahr 2014 gedeckt. Immerhin: Im Mai 2018 hat das Abgeordnetenhaus die East Side Gallery in die Verantwortung der Stiftung Berliner Mauer beschlossen. Die Stiftung Berliner Mauer hat damit das Mandat für den baulichen Unterhalt des Denkmals East Side Gallery.

Straßenbahn noch immer ein Verkehrsmittel des Ostens

So kommt es, dass die einstige Nahtstelle zwischen Ost und West in der Innenstadt durch neu errichtete Gebäude heute kaum mehr zu erkennen ist. Auch der Sanierungszustand der Häuser gibt kaum noch einen Hinweis, auf welcher Seite der ehemaligen Mauer man sich befindet. Ein nahezu unfehlbares Indiz gibt es aber immer noch: Fährt die Straßenbahn, ist man ziemlich sicher im ehemaligen Ost-Teil der Stadt. In West-Berlin hatten die damaligen Verkehrsplaner den Betrieb bereits 1967 eingestellt.

Nach dem Fall der Mauer gab es sogleich große Pläne, das vergleichsweise kostengünstige Verkehrsmittel auch in den Westen rollen zu lassen. Doch in den 30 Jahren seit der Wiedervereinigung ist dies gerade einmal an drei Stellen geschehen: 1995 wurden Gleise über die Bösebrücke von Prenzlauer Berg nach Wedding verlegt, zudem Gleise auf der Bernauer Straße Richtung Nordbahnhof. 2006 folgte schließlich auch die Anbindung an den Hauptbahnhof. 2014 wurde eine neue Straßenbahnstrecke vom U-Bahnhof Naturkundemuseum durch die Invalidenstraße zum Hauptbahnhof mit der Endhaltestelle Lüneburger Straße. Inzwischen hat Rot-Rot-Grün Grün eine „Legislaturperiode der Straßenbahn“ ausgerufen. Mehr als 20 Strecken sollen bis 2021 wenigstens vorbereitet werden – die meisten davon im Westen. Sollte es mit dem Bauen schneller gehen als bisher, könnte auch dieses Unterscheidungsmerkmal zwischen Ost und West in weiteren 30 Jahren verschwunden sein.

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