08:00 Vor der Reiterstatue des Heiligen Georg steht Virginia Dominguez, die mit ihrer Kamera das beste Motiv sucht. „Mir gefällt es hier sehr gut. Es ist ja ganz schön kalt in Berlin. Aber es fällt schon auf, wie sauber es ist in diesem Viertel“, sagt die Spanierin, die für 15 Tage aus Gran Canaria angereist ist. Zwischen Rathausstraße, Spreeufer, Spandauer Straße und Mühlendamm gelegen, ist das Nikolaiviertel in Mitte ein wichtiger Stopp bei Touristenführungen. So sind auch an diesem Morgen bereits Städte-Urlauber wie Virginia Dominguez unterwegs.
10:00 Im Nikolaiviertel liegen die Sehenswürdigkeiten dicht beieinander. Im Knoblauch-Haus treffen die ersten Besucher ein. Es werden Eindrücke vom Berliner Leben des Biedermeier-Zeitalters vermittelt, insbesondere der Familie Knoblauch, die das Haus neben der Nikolaikirche fast 170 Jahre als Wohn- und Geschäftssitz nutzte. „In der damaligen Wohnkultur gab es viele Durchgangszimmer und wenig Privatsphäre“, erklärt Möbel-Kuratorin Elisabet Bartel. Das Bild vornehmer Zurückhaltung prägt die sachlich-nüchterne Einrichtung mit Schreibsekretären, ovalen Tischen und schlichten Stühlen.
10:15 Fanna Kolarova hat die Türen der Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus in Berlin geöffnet. Die Bibliothek schräg gegenüber dem Knoblauchhaus umfasst über 12.000 Werke, unter anderem zur Sozialismusforschung, zu den Themen Opposition und Widerstand sowie den Verbrechen in Folge des Stalinismus. Zudem ist dort die Dauerausstellung „Utopie und Terror“ zu sehen, die sich mit den Werken der russischen Schriftsteller Alja Rachmanowa und Alexander Solschenizyn auseinandersetzt.
Schüler wollen das alte West-Berlin sehen
11:20 Eine Gruppe Schüler will ein Berlin kennen lernen, das rund ein Jahrzehnt vor ihrer Geburt verschwand. Ungefähr ein halbes Jahrhundert vor dem Biedermeier-Zeitalter wurde das Ephraim-Palais gebaut. Heutzutage zeigt das Stadtmuseum Sonderausstellungen zu Geschichte und Kultur Berlins. Noch bis zum 28. Juni 2015 ist dort „West:Berlin – Eine Insel auf der Suche nach Festland“ zu sehen. Die Schau spürt den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungen, aber auch der besonderen Atmosphäre der Halbstadt nach und spannt dabei den zeitlichen Bogen von 1945 bis 1990. Die Ausstellung ist nicht nur wegen ihrer inhaltlichen Dichte, sondern vor allem wegen ihrer visuellen Aufbereitung mit vielen großformatigen Plakaten und Bildern sehenswert. Lange bleiben die Schüler davor stehen.
12:05 Am Mühlendamm an der Ostseite des Nikolaiviertels befindet sich ein weiteres Museum. Dieses widmet sich nicht der Kunst, sondern voll und ganz der Hanfpflanze. „Wir wollen die Menschen aufklären, damit Hanf nicht nur als Droge wahrgenommen wird“, sagt Mitarbeiter Steffen Geyer. Das Museum setzt sich dafür ein, alle Facetten und Nutzungsmöglichkeiten der Pflanze aufzuzeigen. So wird Hanf als Kulturpflanze präsentiert, die bis ins 19. Jahrhundert zur Herstellung von Kleidung, Treibstoff oder Papier verwendet wurde und heute etwa als Dämmstoff beim Autobau genutzt wird.
13:30 Um die Ecke, an der Spandauer Straße, befindet sich ein sehr spezieller Laden. Im „Minilibris“ gibt es Miniaturbücher zu kaufen, also kleine Bücher, die nicht größer als zehn mal zehn Zentimeter sind. Die passen in fast jede Taschen, es sind gefragte Mitbringsel. Laut Mitarbeiter Falk Thielicke ist „Minilibris“ das einzige Geschäft in ganz Europa, das ausschließlich mit Miniaturbüchern handelt. Dabei besitzen die kleinen Schriften eine lange Geschichte: „Der früheste Titel ist ein 4000 Jahre altes und zwei mal zwei Zentimeter kleines Täfelchen aus Ton, das mit Keilschrift beschrieben wurde“, erzählt Thielicke.
14:00 Seit der Mittagszeit sind die meisten Gaststätten des Viertels gut besetzt. Alt-Berliner Küche, deftig und ohne Rücksicht auf Kalorien. Wer keinen Platz mehr findet, lässt sich durch ein Fenster aus der Wirtschaft „Zum Nußbaum“ einfach ein schnelles Luken-Bier für zwischendurch auf die Straße reichen. „Im Sommer gebe ich meistens Eis, im Winter dann Glühwein durch die Luke“, sagt Mitarbeiterin Silvia Hommann.
15:30 Gegenüber der Luke, vor dem Restaurant „Bei Bolte“, heizt Küchenleiter Robert Domzel das Feuer unter dem Glühweinkessel an. „Für einen Euro kann sich jeder Passant selbst einen Glühwein einschenken“, erklärt Geschäftsführerin Monika Karge. Bezahlt wird auf Vertrauensbasis in eine Dose, die hinter dem Kessel steht.
16:00 Ihre neogotische Doppelturmanlage prägt das Bild des Viertels. Mit jährlich mehr als 56.000 Besuchern ist die Nikolaikirche der beliebteste Ort unter Touristen. Dabei ist es das älteste erhaltene Bauwerk Berlins. „Früher suchte die Bevölkerung hier Schutz vor Katastrophen und Bränden“, sagt Albrecht Henkys, Kurator der Kirche. Inzwischen können Besucher historische Exponate besichtigen, die Kirche mit Audioguides erkunden und die Geschichte des ganzen Nikolaiviertels an interaktiven Medienstationen erforschen.
17:15 Heidrun Preußer hastet in ihrem „Theater im Nikolaiviertel“ umher und trifft letzte Vorbereitungen für das Stück „Zille sein Milljöh“. In gut zwei Stunden wird die Leiterin des kleinen Theaters in die Hauptrolle schlüpfen und den Zuschauern einen musikalisch-szenischen Spaziergang durch Heinrich Zilles Berlin darbieten. Da das Stück nur von zwei Schauspielern und einem Pianisten auf einer winzigen Bühne gespielt wird, gibt es direkt vor den Augen des Publikums rasende Kostüm- und Rollenwechsel.
18:00 Stephan Lengemann schließt die Pforten seiner „Puppenstube“. Im Laden gegenüber der Nikolaikirche verkauft er neben Souvenirs, Geschenken und Accessoires hauptsächlich Künstlerpuppen der Marken „Käthe Kruse“ und „Schildkröt“. „300 bis 800 Euro zahlen Liebhaber für solche Puppen“, sagt Lengemann.
20:00 Nach einem Tag voll Museen und Sehenswürdigkeiten machen es sich Besucher am Wappenbrunnen im Herzen des Viertels bequem. Mit einem Take-Away-Coffee oder Gebäck aus einer der Konditoreien. Ein Stück weiter lädt ein Reisebus eine Gruppe Touristen ein. Für sie geht es weiter zum nächsten historischen Ort der Stadt.