Zwölf Stunden

Das pure Leben wie vor 800 Jahren

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Raimon Klein

Foto: Marion / Marion Hunger

Im Museumsdorf Düppel können Berliner täglich den Alltag ihrer Vorfahren bestaunen. Hobby-Handwerker und Freizeitbauern arbeiten dort wie vor 800 Jahren.

06:30 An diesem Morgen hängen dunkle Wolken über Berlins Südwesten. „So ein paar Tropfen machen einem nichts aus, wenn man in einem Freilichtmuseum arbeitet“, sagt Gisela Möbius, die im Museumsdorf Düppel für Aufsicht und Kasse verantwortlich ist. In ein paar Stunden werden bei ihr die ersten Gäste erwartet, daher stellt sie schon mal das Absperrgitter vor ihr Kassenhäuschen. „Bei dem schlechten Wetter kommen vielleicht nicht so viele Besucher, das Bezahlen sollen sie aber trotzdem nicht vergessen“, sagt sie und lacht.

07:40 Thomas Lüffe ist auf seinem morgendlichen Rundgang, um die Tiere zu füttern. Im Dorf gibt es neben den beiden Ochsen Max und Moritz auch alte Schweinerassen und 21 Skudden, das sind mittelalterliche Schafe. „Dank spezieller Rückzüchtungen wissen wir, wie damals die Tiere ausgesehen haben“, sagt Tierpfleger Lüffe. So ist das Düppeler Weideschwein kurzrückig, marschfähig, hat lange Ohren und kurze Beine, womit es sehr nahe am Wildschweintypus liegt.

08:55 Thorben Stupps besorgter Blick geht Richtung Himmel, von wo es weiterhin schüttet. „Als Freilichtmuseum sind wir abhängig vom Wetter“, sagt der studierte Archäologe. Da Düppel von Juli bis Oktober nur an den Wochenende geöffnet hat, führt Stupp an Wochentagen Schulklassen durch das Museumsdorf. „Wir erfüllen damit einen wichtigen Bildungsauftrag für viele Stadtkinder“, meint Stupp. Erster Stopp ist dabei die ständige Ausstellung, die sich direkt am Haupteingang befindet. In einem großen Raum wird das ganze Dorf mittels gläsernen Schaukästen und Informationstafeln dargestellt.

10:25 Roswitha Betzold hastet aber schon durch ihre Küche, um das mittelalterliche Brot zu backen und das heutige Tagesgericht „Grüne Erbsen in Butter gedünstet mit frischen Kräutern“ vorzubereiten. „Wir kochen ausschließlich nach historischen Rezepten“, sagt Betzold.

11:15 Auf dem weiteren Weg passiert man die Palisade, die als befestigter Zugang ins eigentliche Dorf dient. Tritt man durch das Eingangstor, fällt der Blick auf den großen Dorfplatz, auf dem es geschäftig zugeht. Brigitte Freudenberg, Eva-Marie Heinze sowie Gabriele und Jonas Spilger betätigen sich an der mittelalterlichen Kunst des Bänderwebens, Brettchenwebens und Kammwebens. „Beim Brettchenweben laufen die Fäden durch eine Reihe kleiner Brettchen, die jeweils vier Löcher haben. So werden etwa Bänder, Tragegurte und Gürtel angefertigt, die dann im Museumsshop zu kaufen sind“, sagt Freudenberg.

11:35 Vor dem Haus nebenan steht Annelies Goldmann am Gewichtswebstuhl und arbeitet an einem Kleidungsstück für die Bewohner. „Ich verwende nur Wolle von unseren Skudden, damit könnten wir das halbe Dorf anziehen“, sagt Goldmann.

12:00 In der mittelalterlichen Esse des örtlichen Schmieds brennt kein Feuer, da der dafür notwendige Blasebalg vor kurzem kaputt gegangen ist. Dafür steht Christoph Arbeiter an einer modernen Feldesse und schmiedet ein Messer. „Wir stellen hauptsächlich mittelalterliche Werkzeuge her, die ein Bauer damals gebraucht hätte“, sagt Arbeiter. Die Sichel diente zum Getreideernten, die Schere zur Verarbeitung von Wolle und das Messer zum Essen.

13:10 In unmittelbarer Nähe zum Schmied gehen normalerweise Töpfer, Bronzegießer und Drechsler ihren altertümlichen Handwerken nach. Doch der Drechsler weilt im Sommerurlaub auf Zypern, der Bronzegießer liegt krank im Bett und die Töpferin ist wegen des schlechten Wetters gleich ganz Zuhause geblieben. „Da unsere Mitarbeiter so gut wie alle Ehrenamtlich tätig sind, können wir sie nicht zwingen zu erscheinen“, sagt Thorben Stupp. Gut für die Ochsen Max und Moritz, dass Tierpfleger Thomas Lüffe einer der wenigen Festangestellten ist und ihnen jetzt Heu zum Fressen gibt. Korbflechterin Jasmine Kunze hilft ihm heute dabei.

14:00 Ein fester Programmpunkt ist Dieter Totenhaupts Vortrag über Teerherstellung im Mittelalter. In der Teerschwele erzählt er, mit welchem Verfahren aus Holz Teer und Pech gewonnen wurden und wie es zum Schiffsbau als Klebe- und Schmiermittel verwendet wurde. „Holzteer hat drei herausragende Eigenschaften: Es ist klebend, desinfizierend und brennbar“, sagt Totenhaupt. Die Besucher bekommen ein Stück Pech in die Hände und wundern sich darüber, dass es sehr klebt aber keine Farbrückstände bleiben.

14:30 Die Living History Gruppe IG Wolf in Düppel zu Gast, um mittelalterliche Musik, Spiele und Tänze vorzuführen. Unter dem großen Baum in der Mitte des Dorfplatzes gibt es bei der Mittelalter-Truppe eine klare Rollenverteilung: Die Frauen sind für Glockenspiel und Gesang zuständig, während sie die beiden Männer auf Trommeln begleiten. Die Besucher bekommen dann kleine Handglocken, Trommeln und Herzmuscheln gereicht. Beim nächsten Lied wird kräftig getrommelt, was den Kindern sichtlich Freude bereitet.

15:05 So viel Interaktion macht hungrig. Wer es etwas deftiger mag als Grüne Erbsen kommt zu Eugen Reiner. Der gebürtige Schwabe mit elsässischen Wurzeln steht am Ofen und backt Flammkuchen. Neben der klassischen Variante mit Speck und Zwiebeln bietet er für Vegetarier auch süßen Flammkuchen mit Äpfeln, Rosinen, Pfirsichen und Birnen an.

16:25 Am Brunnen Nummer acht steht Paul Amthur und lässt per Kurbel den Eimer herunter. „Wir wollten raus in die Natur und sind jetzt ganz begeistert über die Anlage und die Darstellung des Lebens im Mittelalter“, sagt seine Mutter Wiebke. Der Brunnen ist von historischer Bedeutung für Düppel, da er das erste exakte Entstehungsdatum für das Dorf lieferte. Eine erhaltene Bohle aus Eichenholz konnte mit Hilfe der Jahresringforschung in die Zeit zwischen 1197 und 1208 datiert werden.

18:30 Die erschöpften Bauern und Handwerker treten ihren verdienten Heimweg an. Rund einen Monat läuft die Saison im mittelalterlichen Dorf noch, die mit dem Markt- und Erntetag am 5. Oktober ihren feierlichen Abschluss findet.