Zwölf Stunden

Im Volkspark Jungfernheide ist alles im grünen Bereich

| Lesedauer: 7 Minuten
Kirsten Schiekiera

Foto: Sergej Glanze / Glanze

Beherzte Lebensretter, mutige Kletterer und eine mysteriöse Tierwelt: Der Volkspark Jungfernheide in Charlottenburg ist nicht nur für Abenteuerlustige eine Entdeckung.

08:35 Uhr: Der Tag hat mit Regen und wenig verheißungsvollen Wetteraussichten begonnen, jetzt hängen noch einige dicke Wolken am Himmel. „Wir zwei sind wetterfest“, sagt Hundebesitzerin Ursula Kuhlmey. Seit ihrer Pensionierung verbringt sie täglich ein bis zwei Stunden mit ihrem Hund Mäxchen in der Jungfernheide. Der Park war bis ungefähr 1800 ein kurfürstliches Jagdrevier. Später wurde er zu einem Schieß- und Exerzierplatz. Im Jahr 1923 eröffnete der Volkspark nach den Entwürfen von Erwin Barth. Doch ein Hauch von Wildnis ist geblieben: Immer wieder werden Wildschweine gesichtet, Reiher ziehen über dem Teich ihre Bahnen, und ein Mäusebussard hat hier sein Revier. „Wenn man zwischen den hohen Bäumen entlang läuft, kann man sich doch kaum vorstellen, dass man sich mitten in einer Großstadt befindet“, sagt Ursula Kuhlmey.

10:00 Uhr: „19 Grad Wassertemperatur“ steht an der Tafel vor dem Freibad. „Dann ist das Wasser wärmer als die Luft“, sagt ein Jogger, der sein Rad an dem Ständer vor dem Bad anschließt und auf den dichten Wegen verschwindet. Dort ist jede Menge Platz, denn Badegäste sind nicht in Sicht. Der Rettungsschwimmer Adel Far öffnet die Metallgitter am Eingang. Eine Schwimmlehrerin und einige Jungen sind die ersten Besucher. Der kleinste von ihnen hält es nicht lange im Wasser aus. Nach fünf Minuten kommt er vor Kälte schnatternd ans Ufer. Sein Vater hüllt ihn in einen Bademantel und nimmt ihn auf den Arm. Die anderen Jungen ziehen tapfer weiter ihre Bahnen.

11:05 Uhr: Die Sonne ist unter der Wolkendecke hervorgekommen. Im Teich liegen einige Schildkröten reglos auf einem Ast. Niemand weiß, woher die Tiere kommen, niemand weiß, wo sie übernachten und ob sie sich bereits vermehren. „Wahrscheinlich haben ein paar vermeintliche Tierfreunde die Tierchen ausgesetzt“, sagt eine Anwohnerin. „Manchmal sitzen bis zu acht auf dem Ast. Gut, dass das nicht die gefährlichen Schnappschildkröten sind.“

12:15 Uhr: Nur drei Badegäste sind im Wasser. Sie sind mittleren Alters und wirken alles andere als unvernünftig. Adel Far beobachtet von seinem Rettungsschwimmer-Sitz aus die ruhige Szenerie. Doch nicht immer geht es hier beschaulich zu. An heißen Tagen ist das Strandbad sehr gut besucht. „Die Saison war ziemlich krass. Ich musste zehn oder zwölf Menschen aus dem Wasser holen“, sagt der Rettungsschwimmer. Woran erkennt man, dass ein Mensch in Not ist? „Das ist eine Mischung aus mehreren Eindrücken“, sagt Adel Far. „Man sieht, hört und spürt es.“ Wenn in wenigen Wochen die Badesaison endgültig vorbei ist, wird er den Winter über als Rettungssanitäter arbeiten. „Ich liebe beide Jobs.“

13:20 Uhr: Im nördlichen Bereich der Jungfernheide befindet sich eine Baumschule, die man durch einen Zaun sehen kann. Junge Bäume stehen dort in Reih und Glied, hohes Gras wächst zwischen ihren schmalen Stämmen. Seltsam aber sind die vielen bunten geschnitzten Holzfiguren, die sich dort befinden. Quietschgrüne Krokodile sind dabei, Märchenfiguren und mannshohe Dinosaurier. Auf dem Weg, der dort entlang führt, sind viele Jogger und Nordic Walker unterwegs. „Wir sind mindestens einmal pro Woche hier“, sagt Bianka, die mit ihrem Mann Silvio läuft. Sohn Noel fährt vor den beiden mit seinem Fahrrad vorneweg. „Manchmal joggt er auch mit uns“, sagt Silvio. „Aber er hat heute noch Fußball-Training, da läuft er später noch genug.“

14:00 Uhr: Neben dem Strandbad befindet sich das Restaurant „Teichterrassen“, das Markus Assemacher vor fünf Jahren übernommen hat. Die Spezialität des Hauses sind Burger, die auf großen Platten serviert werden. „Früher hieß das Restaurant ,Seeterrassen’. Aber das ist hier nun mal kein See, sondern ein künstlich angelegter Teich. Deshalb habe ich es gleich umbenannt“, sagt er und schaut zufrieden aufs Wasser. Zwei Wespen surren um ihn herum und stören die Idylle beträchtlich. „Also diese Viecher nerven im Moment sehr“, seufzt er.

15:10 Uhr: Eine Flasche Sekt steht auf dem Tisch vor den Umkleidekabinen. „Wir feiern das Ende unserer Saison. Heute fand der letzte Schwimmkurs statt“, sagt Michael Geerdts. Der Förderschullehrer engagiert sich bereits seit 25 Jahren ehrenamtlich für die Ferienschwimmkurse. In den Sommerferien hält er gemeinsam mit Lehrerkollegen Kurse, außerdem bildet er neue Schwimmlehrer aus. „Trau Dich, geh ins Wasser – lerne schwimmen!“ so lautet das Motto der Ferien-Schwimmkurse. „Für mich ist Schwimmen ein Kulturgut, genau wie Lesen, Schreiben und Rechnen“, sagt Michael Geerdts.

16:05 Uhr: Von der tiefenentspannten Atmosphäre, die im Freibad herrscht, ist im Waldhochseilgarten auf der anderen Seite des Areals nichts zu spüren. Wer den Garten sucht, bekommt von Anwohnern und Hundebesitzern meist die Antwort: „Gehen Sie in Richtung Wasserturm, dann hören Sie es schon.“ Und das stimmt. Durch die Bäume dringen plötzlich lautes Lachen, spitze Schreie und ermunternde Rufe wie „Guck nicht nach unten, geh einfach weiter“. Dutzende von Menschen balancieren über Hängebrücken und seilen sich von Bäumen ab. Am Eingang herrscht dichtes Gedrängel. Dort wartet Mirhan mit seinen Eltern und Freunden auf den Start der nächsten Klettertour, die seine Eltern zu seinem Geburtstag organisiert haben.

17:10 Uhr: Roland Baumann, Kontaktbereichsbeamter im Gebiet Jungfernheide und Jakob-Kaiser-Platz, mischt sich unter die Spaziergänger. „Es gefällt vielen Anwohnern, wenn die Polizei in Parks Präsenz zeigt“, sagt er. Die meisten Passanten sind ins Gespräch vertieft oder spielen mit ihren Hunden. „Natürlich haben wir auch manchmal Probleme mit randalierenden Jugendlichen. Und Drogen wurden hier auch verkauft“, sagt er. „Aber im Vergleich zu anderen Bezirken geht es ruhig zu.“

18:25 Uhr: Am Biergarten neben dem Wasserturm herrscht Betrieb. Zwischen den Beats ist eine laute Stimme zu hören. „Eine Margherita, eine Salami“, ruft eine Frau aus der Küche, doch keiner der Gäste rührt sich. Für Heike und ihre Tochter Sandra ist es der erste Besuch im Biergarten. „Wir haben in der Nähe einen Garten und waren hier früher oft“, sagt Heike. „Eigentlich sollten wir öfter kommen. Das Einzige, was uns fehlt, ist ein bisschen Sonnenschein.“