Zwölf Stunden

„Haus am Waldsee“ - Videorausch im Grünen

| Lesedauer: 6 Minuten
Kirsten Schiekiera

Foto: Sergej Glanze / Glanze

Das „Haus am Waldsee“ in Zehlendorf hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Da wird ein Besuch auch zum Blick in die Vergangenheit - momentan bei der Ausstellung „Too much change is not enough“.

08:30 Sonnenstrahlen dringen durch abgetönte Scheiben, von draußen ist Vogelgezwitscher zu hören. Ansonsten aber passiert in den Ausstellungsräumen des Hauses am Waldsee: nichts. Keine Menschen, keine Kunst sind zu sehen. Nur versteckte Projektoren, zwei einsame Kopfhörer und Schilder deuten darauf hin, dass es sich hier keineswegs um leer geräumte Wohnräume handelt.

09:05 Ioan Dornauers Tag beginnt in idyllischer Umgebung. Beim Schneiden der Büsche blickt der Hausmeister auf den See und auf eine Skulptur mit dem Namen „Flügelsäule“. Der Künstler Hans Hartung hat sie in den 60er-Jahren geschaffen. „Eigentlich erledige ich hier alle handwerklichen Aufgaben: Den Garten, kleinere Reparaturen und natürlich helfe ich auch beim Aufbau der Ausstellungen", sagt Ioan Dornauer.

10:25 Annette Kieselbach und Bernd Klatetzki bereiten den Eingangsbereich für die Öffnung der Ausstellung vor. Die beiden Mitarbeiter zählen das Wechselgeld in der Kasse, sortieren die Flyer und Prospekte, öffnen Jalousien. Bei einem Rundgang durch die Ausstellungsräume stellt Annette Kieselbach die Projektoren an. Und plötzlich erfüllt Kunst die Säle. Momentan ist die Ausstellung „Too much change is not enough“ mit Videoinstallationen des Künstlers Stefan Panhans im Haus. Es geht um Menschen im digitalen Zeitalter und um den Wandel, dem ihr Selbstbild unterworfen ist. Zu sehen sind filmische Endlosschleifen von Menschen, die Sport treiben und dabei elektronische Botschaften empfangen. Anspruchsvolle Kost und sicherlich nicht jedem zugänglich. Bernd Klatetzki, der viele Stunden bei der Ausstellung verbracht hat, erlebt sie nicht mehr als puren Kunstgenuss. Er findet die Installationen manchmal „ordentlich laut“.

10:40 Als Projekt-Koordinatorin sorgt Jenny Jakubik unter anderem dafür, dass Zeitpläne eingehalten und dass die Art und Weise, wie die Ausstellungsstücke in Szene gesetzt werden, den Künstlern gefallen. Im Moment, einige Wochen nach dem Start der aktuellen Ausstellung, ist sie mit der Organisation der nächsten beschäftigt. Der finnische Künstler Ola Kolehmainen wird ab Ende März sein Werk zeigen. Da nur zwölf Menschen in dem Haus arbeiten, fallen für sie auch ganz profane Arbeiten an. Deshalb wechselt Jenny Jakubik ein Plakat aus dem vergangenen Jahr aus, dass sie gerade im Flur entdeckt hat.

11:05 Katja Blomberg begrüßt die ersten Besucher des Tages: Es ist der Kunst-Leistungskurs des Werner-von-Siemens-Gymnasiums in Zehlendorf. Die Direktorin beginnt mit einem Exkurs über die Geschichte des Hauses, das 1923 als private Villa erbaut wurde. Die jüdischen Besitzer flüchteten vor den Nazis nach Argentinien, 1942 zogen Mitarbeiter von der UFA-Film ein. Den Krieg überstand das Haus ohne Schäden, 1946 wurde es, lange bevor die neue Nationalgalerie gebaut wurde, zur wichtigsten Ausstellungsstätte für moderne Kunst in Deutschland. Im Jahr darauf fand eine Ausstellung von Pablo Picasso statt, der damals noch längst nicht etabliert war. „Und das ist auch heute noch unser Ziel: Wir möchten den Besuchern interessante Künstler Jahre vor ihrem Durchbruch vorstellen“, sagt Katja Blomberg am Ende ihres Vortrags.

12:35 Die ersten Schüler verlassen das Haus. Einige von ihnen müssen sich beeilen, um pünktlich zum Sportunterricht zu kommen. Carlotta und Michele aber haben noch eine Freistunde und betrachten die Videoinstallationen interessiert, aber auch ein wenig ratlos. „Einiges versteht man nur schwer, weil es kaum Erklärungen zu den Werken gibt“, sagt Carlotta. „Außerdem wäre es nett, wenn man sich hinsetzen könnte, um die Installationen in Ruhe auf sich wirken zu lassen.“

13:15 Im Café im Erdgeschoss hängen gerahmte Plakate, die an die Tradition des Hauses erinnern. Auch die Werke von Henry Moore, Georges Braque und Ernst-Ludwig Kirchner waren hier einst zu sehen. Das Café selbst existiert erst seit drei Jahren und ist, wie die Pächterin Jutta Goller erzählt, bei schönem Wetter voll. Jetzt aber ist noch nicht viel vom Kulturtrubel zu spüren: Lediglich ein halbes Dutzend Stammgäste aus Zehlendorf widmet sich den Tageszeitungen und nippt am Kaffee. „Spannend ist, dass das Publikum mit jeder Ausstellung wechselt: Mal sind es vorwiegend japanische Gäste, die einen Künstler aus ihrer Heimat sehen möchten, mal kommen die Mitte-Nerds“, erzählt Jutta Goller.

14:40 Direktorin Katja Blomberg sitzt in der Sonne vor dem Haus und telefoniert. Sie wartet auf einen Künstler, dem sie die Ausstellungsflächen und den Skulpturengarten zeigen will. „Das Gebäude war früher ein Privathaus, das macht es als Ausstellungsort einzigartig“, sagt sie. „Diese intime Atmosphäre kommt unseren Künstlergesprächen zugute, die wir regelmäßig anbieten.“ Die Talks für interessierte Besucher finden meist in der Mitte der Ausstellungsphase statt. Die Plätze sind sehr begehrt.

15:45 Direkt am See, ein wenig hinter Bäumen versteckt, steht der „Loft Cube“ des deutschen Designers Werner Aisslinger. Das futuristische Mini-Haus hat schon ein wenig Moos und Patina angesetzt und sieht jetzt aus wie ein Ufo, das vor langer Zeit gelandet ist. Wer den „Loft Cube“ betreten will, muss sich vorher anmelden. Laura Groschopp, die für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, begleitet eine Design-Dozentin aus Holland in das Ein-Zimmer-Haus. „Seit 2005 steht das Gebäude hier, leider wird es in diesem Jahr oder im nächsten Jahr abgebaut und an einem anderen Ort zu sehen sein“, erklärt Laura Groschopp.

17:00 Geschäftsführer Konstantin Bercht widmet einmal mehr seinen Tag den Kostenplänen. Er rechnet die Unkosten längst vergangener Ausstellungen ab und plant die finanzielle Ausstattung von Projekten, die erst im nächsten Jahr stattfinden sollen. Die Sache scheint ziemlich kompliziert zu sein. „Die aktuelle Ausstellung wird unter anderem gefördert vom Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf, vom Hauptstadtkulturfonds und vom Kulturamt Steglitz-Zehlendorf“, sagt er. Bei der nächsten geplanten Ausstellung sind die „Freunde und Förderer des Hauses am Waldsee“ die alleinigen Geldgeber. Da dürfte die Kalkulation etwas simpler ausfallen.

18:05 Die Besucher haben die Ausstellungsräume verlassen. Bernd Klatetzki stellt die Projektoren ab, das Videorauschen verklingt. Schlagartig wird es ruhig im Haus am Waldsee.