Fotoband

Von Kriegsende bis Mauerfall - So war das Leben in West-Berlin

| Lesedauer: 3 Minuten
Annette Kuhn

Ein eindrucksvoller Fotoband dokumentiert die Geschichte West-Berlins mit Aufnahmen vom Kriegsende bis zum Mauerfall. 1000 Bilder, teils bislang unveröffentlicht, wurden dafür zusammengetragen.

Es war schon eine merkwürdige Insel, dieses West-Berlin. Ein bisschen anders lief hier manches als in der restlichen Bundesrepublik. Lebensfähig war die Teilstadt erst nur durch die Luftbrücke, später durch die Subventionen aus dem Westen. Wer hinaus- oder hineinwollte, musste sich seit dem Mauerbau in Geduld üben, doch im Alltag gewöhnten sich die Menschen daran, dass Straßen jäh endeten und sie nicht immer weiterkamen.

Ein großes Trotzdem lag über der Stadt. Trotz des Kalten Krieges ließ man sich nicht unterkriegen. Trotz des Abgeschnittenseins schaffte sich West-Berlin Gehör. Trotzdem boomte die Stadt. Trotzdem vergnügte man sich.

All das dokumentiert der großformatige Bildband „Leben in West-Berlin“, der jetzt im Elsengold Verlag erschienen ist. Insgesamt 1000 Fotos der Bildagentur Picture Alliance, teilweise bislang unveröffentlicht, wurden hier zusammengetragen. Er ist das Gegenstück zu dem Band „Leben in Ost-Berlin“, der bereits im Herbst 2013 erschienen ist.

Gezeigt werden die großen Momente

Die Geschichte der geteilten Stadt wird vor allem an den Menschen erzählt, und gerade das macht das opulente Werk so eindrucksvoll. Sortiert sind die Fotos in jeweils acht Kapitel, nach den Themen Mode, Bauen, Wohnen, Erziehung, Ausbildung und Freizeit.

Zu jedem dieser Kapitel hat der Publizist Günther Wessel Fotos aus den verschiedenen Jahrzehnten, von den 50er- bis zu den 80er-Jahren, zusammengestellt und kommentiert. Nur das erste Kapitel bildet eine Ausnahme: In „Ruinen und Rosinenbomber“ geht es um die Jahre nach Kriegsende und die schwierige Suche der Stadt und ihrer Bürger zurück in einen Alltag.

Gezeigt werden die großen Momente, die Berlin wieder zur Weltstadt werden lassen: West-Berlin wird in den 50er-Jahren zur Modestadt und schwelgt nach den Jahren der Einschränkung im Konsum. Die Siegerin der Miss-Germany-Wahl kommt 1950 aus Berlin, im selben Jahr eröffnet das KaDeWe. Glamour am Kudamm, das hebt das Selbstbewusstsein der West-Berliner und lässt sie die angespannte politische Lage oft vergessen. Man sucht nach Zerstreuung. 1951 finden die ersten Filmfestspiele statt, 1957 feiert das Strandbad Wannsee mit einer Modenschau sein Jubiläum, 1959 wird das neue Porsche-Modell in Berlin vorgestellt. Präsident John F. Kennedy besucht die Stadt.

Rührende Bilder von Begegnungen

Aber es sind vor allem die kleinen, alltäglichen Momente, die viel über die Geschichte und die Entwicklung der Stadt erzählen und das Buch so besonders machen. Sie zeigen auch, welchen Spagat die West-Berliner zwischen ihrem Wunsch nach Normalität und den Einschränkungen, die die politische Lage mit sich brachte, geleistet haben.

Überfüllte Gartenlokale und Freibäder in den 60er-Jahren sind zu sehen, weil die Menschen in der eingeschlossenen Stadt nur wenig Möglichkeiten hatten, ins Grüne zu kommen. Ein Kleingarten direkt an der Mauer wird gezeigt. Kinder, die an der Bernauer Straße, vor der Mauer, mit ihren Spielzeugwaffen spielen. Ein Schulbus, der in Richtung der Exklave Steinstücken 1967 den sowjetischen Sektor passieren muss. Für die Kinder im Bus war das irgendwann völlig normal.

Und zu sehen sind auch rührende Bilder von Begegnungen an den Sektorengrenzen. Menschen, die sich 1964 am Übergang treffen und trennen sowie Menschen, die sich am 11. November 1989 schließlich in den Armen liegen und einige Tage später schon damit beginnen, Brocken aus der einst so bedrohlichen Mauer herauszuklopfen.

Günther Wessel: „Leben in West-Berlin“, Alltag in Bildern, 1945-1990, Elsengold Verlag, 49,95 Euro