„Jede Industrie überlebt im Wettbewerb nur, wenn sie sich erneuert.“ Eine eher einfache Erkenntnis aus der Wirtschaftstheorie, die der Mann in Maßanzug und Ringelsocken vorn auf dem Podium gerade gesagt hat.
Aber es ist nicht irgendeiner der an diesem Nachmittag im Audimax der Technischen Universität (TU) sitzt, es ist Satya Nadella, Chef von Microsoft. Und der allgemeine Satz steht auch ein bisschen für das, was er recht zügig umsetzen muss: den größten Software-Konzern der Welt runderneuern.
Seit neun Monaten leitet der gebürtige Inder das Unternehmen aus Redmont im US-Staat Washington. Inzwischen hat er angekündigt, 18.000 der 130.000 Stellen streichen zu wollen, das Management zu verschlanken und – das wichtigste – eine neue Version des Computerbetriebssystems Windows auf den Markt bringen zu wollen, eines der Kernprodukte des Unternehmens.
„Fundamentaler Sprung in neue Generation“
Für den Erfolg sind besonders die Entwickler wichtig, jene Spezialisten, die Programme zum Beispiel für Smartphones oder Tablets schreiben – oder für klassische PC. „Windows 10 ist nicht einfach ein neues Betriebssystem, sondern ein fundamentaler Sprung in eine neue Generation“, sagt Nadella in Berlin. Und die Entwickler will er treffen. Er ist auf Europareise aus London in die Hauptstadt gekommen, um die neue Entwicklerkonferenz des Konzerns in Deutschland zu eröffnen und ein bisschen über das neue Microsoft und auch das neue Windows zu sprechen. Rund 800 Entwickler und IT-Profis sind für drei Tage zum Technical Summit in ein Hotel in Moabit gekommen. Es ist die größte deutschsprachige Veranstaltung des Konzerns dieser Art. Echte Einzelheiten über das neue Betriebssystem hat Nadella indes nicht verraten, außer dass es ein System für alle Geräte geben soll. Bisher gibt es unterschiedliche Versionen für Tablets, Smartphones, Desktop-PC.
Berlin ist für den Konzern seit ziemlich genau einem Jahr ein wichtiger Standort. Die Deutschlandzentrale steht in Unterschleißheim bei München, doch der boomenden Gründerszene der Hauptstadt konnte sich der US-Konzern nicht mehr entziehen. Anfang November 2013 eröffnete er in einem Eckhaus Unter den Linden/Charlottenstraße seine Berliner Dependance. Es gibt ein Restaurant, in dem Microsoft-Produkte wie das Tablet Surface getestet werden können.
Und der Bau ist auch ein sogenannter Accelerator, eine Art Durchlauferhitzer für noch junge Unternehmen. Microsoft fördert jeweils neun Start-ups für vier Monate, stellt Räume und Kontakte zur Verfügung. Der Berliner Standort ist einer von acht weltweit.
Zeit für Lyrik und Literatur
Wie wichtig Microsoft den Standort nahm, zeigte, dass Steve Ballmer, damals Microsoft-Chef eigens dafür anreiste. Und auch Nadella, der den Posten im Februar von Ballmer übernommen hat, wählte für seinen ersten offiziellen Deutschland-Besuch Berlin. Nach der Entwicklerkonferenz kam er dann für eine Fragerunde mit TU-Professor Manfred Hauswirth, gleichzeitig Direktor des Fraunhofer-Instituts für offene Kommunikationssysteme, in die Uni. Rund 1200 Studenten begrüßten den 47-jährigen Topmanager, der dann erklärte, wie er Zeit findet, neben seinem Job, Microsoft zu erneuern, noch Lyrik und Literatur zu lesen („Wenn Du liebst, was du machst, findest du auch immer Zeit dafür.“). Er spricht auch über Perfektion: „Existiert eigentlich nur in Büchern. Wir machen Fehler, ich habe viele gemacht, wichtig ist, dass ich daraus lernen kann.“ Und er berichtet von seiner Tochter, die im September befand, Microsoft sei jetzt endlich cool – kurz zuvor hatte der Konzern angekündigt, den Entwickler des schwedischen Kultspiels Minecraft für 2,5 Milliarden Dollar (zwei Milliarden Euro) zu kaufen.
Die Studenten erleben einen recht entspannten Konzernchef, der sagt, es rege ihn immer an, vor Studenten zu sprechen. Allerdings sind Fragen von ihnen nicht vorgesehen. Nadella schwärmt davon, wie jahrelange Forschung an Spracherkennung und Computerstimmen jetzt zu Skype Translator geführt haben: Ein Programm, dass zum Beispiel gesprochenes Deutsch simultan in Englisch übersetzt. Microsoft testet gerade eine Betaversion. Nach 37 Minuten mit wenig Erkenntnisgewinn ist Schluss. Nadella reist am Abend nach Zürich. Windows 10 kommt vermutlich mit Mitte 2015 auf den Markt.