Vor allem in den Zukunftsbranchen entstehen in Berlin neue Firmen. Allerdings findet Wagniskapital aus dem Ausland nur langsam seinen Weg in die Stadt. Doch es bleibt spannend.

Die Wachstumskurve von HitFox als exponentiell zu bezeichnen, wäre ein wenig übertrieben. Aber nur ein wenig bei einem Plus von 600 Prozent in 2013. Die Unternehmensgruppe gilt als Muster-Start-up mit 75 Stellenangeboten. Bis Ende des laufenden Jahres wird HitFox in Berlin weitere 100 IT-Entwickler, Datenspezialisten und Business-Talente einstellen. Gründer Jan Beckers, 31, ist ein Paradebeispiel für die Dynamik von Technologie und Innovation „Made in Berlin“.

Beckers strotzt vor Optimismus: „Es fühlt sich an wie das Internet 1996: Alle großen Möglichkeiten sind unberührt. Gute Zeiten für Big-Data-Unternehmer, um Werte zu schaffen“, schreibt er in seinem Blog, Unternehmer, die riesige Datenmengen analysieren und für ihre Geschäftsmodelle nutzen. Von einer Erfolgsgeschichte wie der von Jan Beckers träumen viele Internet-Unternehmer. Er hat in Berlin knapp 500 Arbeitsplätze geschaffen.

Mit Anfang zwanzig gründet er während seines BWL-Studiums in Münster die Party-Plattform Studenta und eine Event-Agentur. 2007 startet er in Berlin die Jobbörse Absolventa. 2008 gründet er Madvertise und 2009 SponsorPay, die mit Anzeigen für Smartphones Geld verdienen. Im Mai 2011 folgt schließlich HitFox. Die Firma wächst über den internationalen Spielemarkt hinaus bis 2014 zu einer Holding von sieben Unternehmen mit insgesamt mehr als 200 Mitarbeitern, die sich alle um Spiele drehen.

Cool und global

Später will Beckers als Social Entrepreneur tätig sein und mit der Erfahrung aus seiner Tätigkeit Gutes tun. Seine Charity-Partys in Münster zugunsten eines von ihm initiierten nigerianischen Schulprojekts locken schon jetzt Tausende an.

„Um Weltklasseunternehmen aufzubauen, bauen wir nicht auf eine einzelne Idee, sondern darauf, die jeweils besten Teams für unsere Wachstumsmärkte aus der ganzen Welt zusammenzustellen“, sagt Beckers auf die Frage nach seiner Unternehmensphilosophie. „Unter den richtigen Rahmenbedingungen haben die schlausten Köpfe dann tausend Ideen, um einen solchen Markt erfolgreich zu erschließen.“

Mitarbeiter erhalten hohe Anteile

Gründer und Mitarbeiter halten bei HitFox hohe Anteile und haben viele Freiheiten. „Da unsere Töchter an ähnlichen Problemstellungen arbeiten, entstehen sowohl eine gemeinsame Lernkultur als auch viele Wachstumsmöglichkeiten für Talente innerhalb der Gruppe“, sagt Beckers. „Berlin bietet mittlerweile ein funktionierendes Ökosystem, das diesen Erfolg auch anderen Unternehmen ermöglicht.“

Diesen Trend belegt eine Studie der Investitionsbank (IBB). Jedes dritte in Berlin neu gegründete Unternehmen ist in Zukunftsbranchen angesiedelt – unter anderem in den Informations- und Kommunikationstechnologien, der Gesundheits- und der Mobilitätswirtschaft. Von den 2012 rund 8900 gegründeten Betrieben entstanden allein 2600 in einer dieser Branchen. Bis 2020 ergibt sich der IBB zufolge sogar ein Potenzial von mindestens 17.000 zusätzlichen Firmen in den Zukunftsfeldern Berlins, davon 9000 in den Kernbereichen, etwa der Gesundheitswirtschaft.

Innovation als Wirtschaftsfaktor

Die Innovationsbranchen gewinnen als Wirtschaftsfaktor an Bedeutung: So liegt dort der Umsatz pro Beschäftigtem um 45 Prozent über dem deutschen Durchschnitt. Berlin weist mit 79 Gründungen pro 10.000 Beschäftigten eine besonders hohe Gründungsintensität auf. Branchenkenner geben dem Start-up-Standort zudem gute Noten. „Berlin ist ein Ort großartiger Kreativität“, sagte Peter Thiel, Gründer des Bezahldienstes PayPal, bei einem Besuch in der Stadt. Verglichen mit anderen europäischen Metropolen sei die Akzeptanz, hier etwas Neues aufzubauen, am größten.

„Berlin hat gut ausgebildete Ingenieure, coole Unternehmer, Berlin ist international und global“, sagte Martin Varsavsky, der Erfinder des Social-WiFi-Netzwerks Fon, als er kürzlich in Berlin seinen neuen Musikplayer Gramofon vorstellte. Doch er sieht auch Defizite. „Was aber Berlin im Gegensatz zum Silicon Valley fehlt, ist eine Sand Hill Road – die Straße, an der größten Risikokapitalgeber der Welt wie Kleiner-Perkins und Sequoia sitzen.“ Er rät Berliner Gründer zu einer globalen Strategie: „Sie sollten sich international aufstellen und nicht auf Kapital aus Deutschland warten.“

Warten auf die Erfolgsgeschichte

Varsavsky weiß das aus eigener Erfahrung. „Fon war das erste europäische Unternehmen, in das Google investiert hat.“ Er empfiehlt die Strategie von SoundCloud: „Ins Silicon Valley gehen und sich dort Kapital beschaffen“. Der Berliner Musikdienst holte sich dort zuletzt 60 Millionen Dollar (44 Millionen Euro). Dieses Kapital-Defizit sah auch Thiel: „Was Berlin am meisten fehlt, ist eine außergewöhnliche Erfolgsgeschichte“, sagt er. Damit meinte er einen Unternehmensverkauf für eine hohe Summe oder einen Börsengang.

Dabei gibt es durchaus Kapital: Als Microsoft-Gründer Bill Gates vor einem Jahr 35 Millionen Dollar in das Berliner Start-up ResearchGate investierte, gab das der Berliner Gründerszene einen Motivationsschub. ResearchGate ist ein soziales Netzwerk für Forscher mit knapp drei Millionen Mitgliedern – ein Facebook für Wissenschaftler. Gründer Ijad Madisch hatte damit wie zuvor schon SoundCloud bewiesen, dass auch ein Berliner Start-up in der internationalen Liga spielen kann.

Das deckt sich mit den Erfahrungen von Lucas von Cranach, dem Gründer der mit mehr als zwölf Millionen Downloads erfolgreichen Fußball-App Onefootball (früher iLiga). Wer ein gutes Produkt, ein funktionierendes Team und eine globale Vision glaubwürdig in den USA präsentiere, bekomme auch Kapital, schrieb er über die Klage der Berliner Start-up-Szene wegen der knappen Kapitalausstattung. Auch er hat das vorgemacht und mit Union Square Ventures einen der Top-Investoren aus den USA für sein Projekt begeistert. Sieben Millionen Dollar investierten die New Yorker schließlich in das Unternehmen.

Private Technologiezentren

Berlin braucht nicht nur Ideen, sondern auch Plätze, um diese umzusetzen. Einer davon wird die Factory sein, der neue Start-up-Campus an der Grenze zwischen Mitte und Wedding. Simon Schaefer und Udo Schloemer investieren dort mit Unterstützung des US-Konzerns Google 20 Millionen Euro in den Umbau eines alten Brauereigebäudes. Auf 16.000 Quadratmetern Nutzfläche sollen dort Büros für Gründer entstehen. SoundCloud, Mozilla, 6Wunderkinder sind ihre prominentesten Mieter.

„Was uns in Berlin am meisten fehlt, sind nicht Ideen, sondern Start-ups, die Umsätze generieren“, sagt Schaefer. Es gebe noch nicht genug signifikante Geschäftsmodelle. „Die Investoren werden kommen, wenn die Voraussetzungen dafür geschaffen wurden“, sagte Schaefer. Den Factory-Campus, der im Juni offiziell eröffnet wird, sieht er als einen Meilenstein auf diesem Weg.

Zukunftsprojekte gibt es in Berlin zuhauf: Neue, kleine Start-ups wie den anonymen Nachrichtendienst TellM, der gerade in den USA abhebt, oder den Videomessenger TapTalk aus der Factory. Und große, die allerdings noch im Verborgenen arbeiten, wie Number 4, das App-Paket für kleine Unternehmen, des Serienerfinders Marco Börries. Es bleibt also spannend.