Jetzt ist sie offiziell und für alle erkennbar Mitglied im sogenannten Bitcoin-Kiez: Cassandra Wintgens klebt feierlich den blauen Sticker mit dem dicken gelben B auf die Scheibe der Eingangstür. „Bitcoin accepted here“ – hier kann man mit Bitcoins bezahlen, wissen nun die Gäste des Hostels in Kreuzberg.
Wintgens ist mit ihrem Gästehaus „Lekkerurlaub Notaufnahme“ neu in der Gruppe der sieben Unternehmer, die im Graefekiez die digitale Währung Bitcoin für alltägliche Geschäfte akzeptieren – um einen Kaffee im angeschlossenen Bistro zu bezahlen oder eben eine Übernachtung.
Das virtuelle Geld kursierte bis jetzt vor allem im Internet, in Berlin findet es seinen Weg in den herkömmlichen Handel. Eine Übernachtung im Lekkerurlaub kostet aktuell etwa 0,4 Bitcoins, umgerechnet 40 Euro, für eine Person.
Bisher gab es aber nur einen Kunden, der in der vergangenen Woche sein Essen mit Bitcoins bezahlt hat. „Ich finde es spannend. Banken brauchen wir für Bitcoins nicht. Die verarschen uns sowieso und tun nichts für uns als Kleinunternehmer“, sagt Wintgens über das Konzept.
Bitcoins gibt es seit 2009. Sie werden direkt zwischen Käufer und Verkäufer ausgetauscht. Erwerben kann man sie gegen echtes Geld auf Internet-Marktplätzen.
Im Room 77 wird seit zwei Jahren mit Bitcoins bezahlt
Überzeugt hat die Lekkerurlaub-Inhaberin ihr Nachbar Joerg Platzer. In seiner Bar Room 77, ein paar Häuser weiter in der Graefestraße, kann man schon seit zwei Jahren das Bier mit Bitcoins kaufen. „Das ist für mich als Geschäftsmann günstig, weil alles kostenlos ist und so schnell geht“, sagt Platzer. Bei Kreditkartenzahlungen würden dagegen Gebühren fällig.
Knapp hundert Leute passen in die Kneipe mit dem Tresen aus Beton und Glas, bis zu zehn Prozent der Zahlungen rechnet Platzer an einem Abend in Bitcoins ab. Das Smartphone wird beim Bezahlen unterwegs zum Geldbeutel: Eine App scannt ein Bildmuster, das die Kontonummer und manchmal auch den aktuellen Preis enthält und sendet die Zahlung direkt an ihn. Alle Bitcoin-Nutzer können die Zahlung online sehen, aber die Nutzer selbst bleiben anonym.
Bitcoins unterliegen keiner Kontrolle durch eine Zentralbank
Die Geldmenge ist im Bitcoin-System begrenzt. Wenn Angebot und Nachfrage stark schwanken, lässt das den Wert der Bitcoins hüpfen: wie Anfang April, als der Kurs von 266 Dollar auf unter 80 Dollar abstürzte. Gewöhnlich soll die Zentralbank in Währungssystemen für die Preisstabilität sorgen, aber die gibt es in der Bitcoin-Welt nicht.
Bedenken habe er wegen der Wertschwankungen nicht, sagt Platzer. Wer Angst habe, könne seine Bitcoins ja stets wieder in Euro zurücktauschen. Im Graefekiez werden die Bitcoins weiter den Handel im Alltag erobern, glaubt er. Demnächst wollten weitere Unternehmen dem Bitcoinkiez beitreten. „Bitcoins sind das Geld der Zukunft.“
Wertschwankungen führen zu Akzeptanzproblem
„Bei echten Produkten sind und bleiben Bitcoins die Ausnahme. Die werden an kleinen Stellen genutzt, aber nicht im großen Stil“, sagt Raúl Roja. Der gebürtige Mexikaner ist Professor für Künstliche Intelligenz an der FU Berlin und beschäftigt sich seit über einem Jahrzehnt mit digitalen Währungen.
Die Wertschwankungen sind nach Roja das Hauptproblem. Nur für Geldwäscher seien solche Verluste ein hinnehmbares Risiko. So wie im Fall des Internet-Bezahlsystems Liberty Reserve aus Costa Rica: Es soll die Basis für einen gigantischen Geldwäsche-Ring gewesen sein.