„republica“

Wie mit Zetsche die alte auf die neue Welt trifft

| Lesedauer: 7 Minuten
Jürgen Stüber

Foto: Sergej Glanze

Am zweiten Tag der „republica“ sprach Daimler-Chef auf der Netzkonferenz - natürlich über Autos. Sein Auftritt wurde zur Parabel für die Begegnungen zwischen Dax-Konzern und Internetszene.

Die Nerven liegen blank am Dienstag am Stand der Daimler AG auf der Netzkonferenz „republica“. Der wohl prominenteste Redner des Web-Events wird erwartet: der Vorstandschef der Daimler AG, Dieter Zetsche. Der Journalist steht vor einer Mauer des Schweigens: Kommt er durch den Haupteingang? Besucht er den Stand seines Unternehmens? Gibt er Interviews? Kein Kommentar. Die alte Welt des Weltkonzerns trifft auf die neue Welt der Internetszene. Kann das gut gehen? Ja, es kann, wie sich später zeigen wird. Zetsche soll zum Thema „Das vernetzte Auto – wie verändert sich unsere Mobilität“ sprechen.

Einzig die Information, dass Zetsche wenig Zeit haben werde, sickert durch. Er sollte um 13 Uhr in Berlin landen, um 13.45 Uhr sprechen und eine Stunde später zum nächsten Termin wieder abreisen. Er werde durch den Hintereingang kommen, heißt es. „Aus Sicherheitsgründen“, sagt jemand hinter vorgehaltener Hand. Dort will man keine Fotos. Da sehe es nicht schön aus, sagt eine Sprecherin.

Ein Zeichen von Mobilität

Dann kommt alles anders als erwartet. Plötzlich steht Zetsche am Daimler-Stand. Er trägt graue Leinenschuhe, schwarze Jeans, ein graues Jackett, keinen Schlips. Zetsche begrüßt gut gelaunt seine Crew, macht Small Talk, schüttelt Hände. Ein Zeichen von Mobilität. Die Fahrt vom Flughafen nach Kreuzberg war zügiger als erwartet, und er wollte sich trotz der knappen Zeit die Präsentation seines Unternehmens auf der Netzkonferenz ansehen.

Der Automobilkonzern Daimler ist mit einem Stand direkt am Eingang des Veranstaltungsgeländes vertreten. Eine graffitiartige Dekoration der Wände vermittelt Modernität, Szenenähe, Aufbruchstimmung. Hier können Besucher die Mobilitäts-App „Moovel“ testen und mit einem Visual Recorder spielen, der Sprache in Bilder übersetzt. Junge Leute erklären bereitwillig die Funktionen der Programme. Der Stand selbst ist kaum größer als der mittelständischer Internetunternehmen.

Zwischen dem Stand und der Halle, wo der Daimler-Chef sprechen soll, sind es einige Hundert Meter. Zetsche, ein Referent und eine Messemitarbeiterin bahnen sich den Weg durchs Getümmel. Die „republica“ zählt an diesem Tag mehrere Tausend Besucher. Einige erkennen den Topmanager mit dem markanten grauen Schnauzbart, doch niemand spricht ihn an. Zetsche geht in die Halle eins, legt bei keinem ausstellenden Start-up-Stand eine Pause ein.

Dann verschwindet er im Backstage-Bereich der Vortragssaals. In der Halle hämmern bereits Beats, ein Video läuft auf den Bildschirmen, der Saal füllt sich. Die Stühle reichen nicht. Viele sitzen auf dem Fußboden. Kein Zweifel: Der Daimler-Chef ist in der Netzgemeinde mindestens so populär wie Web-Ikone Sascha Lobo, der am Vortag das Publikum anzog.

Parabel für Begegnungen zwischen Dax-Konzern und Internetszene

Daimler ist ein Hauptsponsor der „republica“. Der Konzern verspricht sich von dieser Beteiligung Inspiration – Ideen, die nicht im Elfenbeinturm eines Weltkonzerns geboren werden. Ideen von der Straße – im doppelten Wortsinn. Mobilität sei viel mehr als nur räumliche Flexibilität – mobil zu sein bedeute auch, geistig flexibel zu sein und in Alternativen zu denken.

Der Auftritt von Zetsche ist damit eine Parabel für die Begegnungen zwischen alter und neuer Welt – zwischen Dax-Konzern und Internetszene. Der Autohersteller unternimmt Annäherungsversuche. Am 1. Januar 2013 wurde das Tochterunternehmen Daimler Mobility Services gegründet. Es bemüht sich nach Kräften, Brücken zu Start-ups zu schlagen und neue Technologien zu fördern. Das Unternehmen hat „Moovel“ entwickelt. Das ist eine App, die dem Nutzer anzeigt, mit welchem Verkehrsmittel er am schnellsten von seinem Standort ans Ziel gelangt, und mit der er Verkehrsmittel buchen kann. Der Konzern hat eine Minderheitsbeteiligung an der Parkplatz-App „GottaPark“ aus San Francisco erworben, die Autofahrern per Smartphone 300.000 Stellplätze in den USA vermittelt. Daimler unterstützt mit einem fünfstelligen Betrag das „Startupbootcamp“, eine europaweite Initiative (unter anderem in Berlin), die Erfolg versprechende Gründer fördert.

Daimler will die Mobilität neu erfinden

Vor allem ist Daimler aber der Erfinder der Carsharing-Plattform „Car2Go“, die der Autokonzern BMW und der Vermieter Sixt unter der Marke „Drive Now“ kopiert haben. Carsharing sei ein Geschäftsmodell, sagt Zetsche, während er entspannt auf der Bühne sitzt und Kennzahlen der neuen Plattform herunterrasselt. „Für das gesamte Unternehmen ist das ein Nullsummenspiel.“ Leute kaufen nicht weniger Autos, wenn sie diese teilen. Dass andere das Geschäftsmodell kopiert haben – „bis auf den Cent-Betrag der Mietpreise“ –, zeigt ihm, dass Daimler auf dem richtigen Weg ist.

Daimler will die Mobilität neu erfinden. „Wir existieren seit 126 Jahren und müssen darauf achten, dass wir am Quartalsende keine Prügel von den Finanzmärkten bekommen. Aber wir wollen auch die nächsten 150 Jahre leben“, sagt der Firmenchef, der sich inzwischen das Jackett ausgezogen hat. „Wenn Mobilität durch Teilen bestimmt wird, haben wir ein Interesse, dazu einen Beitrag zu liefern und mit dabei zu sein.“ In einigen Jahren wolle Daimler eine Milliarde Euro Umsatz mit neuen Mobilitätskonzepten machen, gibt er die Marschroute vor und ergänzt: „Wir sind kein Wohlfahrtsverein, aber wir denken langfristig.“ Dann zieht er den Vergleich zu dem Computerhersteller IBM, der mit seinen Produkten in den 90er-Jahren in die Krise geriet. „IBM ist heute so erfolgreich wie früher – aber mit anderen Geschäftsmodellen“, sagt Zetsche.

Daimler als Teil der Veränderung

Er lässt keinen Zweifel daran, dass das Auto der Zukunft weniger eine Frage von Stahl und Eisen als vielmehr eine Frage von Technologie und Innovation sei. Und da gehe Daimler schrittweise vor: Die neue E-Klasse verfüge bereits über einen Stop&Go-Assistenten, der dem Fahrer das Anfahren und Bremsen abnehme. Für das selbst fahrende Auto von Google hat er dagegen nur Spott übrig: „Das sieht aus wie eine Mondlandefähre. Wir wollen ein Auto bauen, das sich verkauft.“

Martin Randelhoff, der Autor des Blogs „Zukunft Mobilität“, das sich mit aktuellen Entwicklungen im Verkehrsbereich auseinandersetzt, befragt den Daimler-Chef. Randelhoff fasst seinen Gesprächspartner mit Samthandschuhen an. Zetsche parierte routiniert. Kritische Fragen gibt es erst in der letzten Viertelstunde aus dem Publikum. Auch da blieb Zetsche keine Antwort schuldig. Bei Twitter hagelt es später Häme für den Moderator und Lob für den Daimler-Chef.

Nach 60 Minuten geht Zetsche, über dessen Beziehungs-Aus mit der Schauspielerin Desirée Nosbusch am Dienstag nicht nur auf der „republica“ getuschelt – diesmal durch den Hintereingang.