Digitales Lernen

Erstes Land führt Bettermarks Mathe-Plattform ein

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René Gribnitz

Foto: Reto Klar

Durchbruch für Arndt Kwiatkowskis Start-up Bettermarks. Das digitale Lernsystem der Berliner für den Mathematik-Unterricht wird ab sofort von 300.000 Schülern in Uruguay genutzt.

Der Weg zur Zukunft der Schule endet an einer verschlossenen Tür. „Tür defekt“, steht auf einem Klebezettel. Darunter ein handgezeichneter Plan. Ein Pfeil weist den Weg um das lang gezogene Backsteingebäude an der Skalitzer Straße in Kreuzberg herum zum Hintereingang.

Der Umweg könnte auch symbolisch stehen für das 2008 von Arndt Kwiatkowski, Christophe Spéroni und Marianne Voigt in Berlin gegründete Start-up Bettermarks. Angetreten, den Mathematik-Unterricht an Schulen mit einem Online-Lernsystem zu vereinfachen und damit zu verbessern, sind die Gründer schnell in der deutschen Bildungsrealität angekommen. Obwohl mehrfach ausgezeichnet und „obwohl Studien die Wirksamkeit des Lernsystems bestätigen, hat das noch nicht dafür gesorgt, das Bettermarks flächendeckend an deutschen Schulen eingeführt werden kann“, sagt Kwiatkowski.

Bildungspolitik in Deutschland ist Ländersache, ist vor allem ideologisch geprägt – und technischen Neuerungen gegenüber nicht unbedingt aufgeschlossen. Der Einsatz von Lehr- und Lernmittel ist zudem strikt geregelt. Über Neuerungen wird jahrelang debattiert. In Deutschland arbeiten nur deshalb rund hundert Schulklassen mit Bettermarks, weil Direktoren oder Lehrer das System aus eigenem Antrieb als unterrichtsbegleitendes Lernmittel einsetzen. In Berlin sind das zum Beispiel Klassen an der 1. Gemeinschaftsschule (früher Rütli-Schule) und an der Heinrich-Mann-Schule in Neukölln.

„Mit der Digitalisierung wird Schule demokratisiert“

„Wir haben lernen müssen, dass die Entscheidungen in Industriestaaten lange dauern, für uns zu lange“, sagt Kwiatkowski und kommt schnell auf den Umweg zu sprechen: „Bettermarks wird jetzt in Uruguay als Mathe-Plattform eingeführt.“ Damit ist Bettermarks die erste digitale Lernplattform für Mathematik weltweit, die im öffentlichen Bildungssystem eines ganzen Landes verwendet wird.

Uruguay ist für Lateinamerika das, was Finnland für Europa ist: ein Bildungs-Musterland. Mehr als 500.000 Schüler des Landes wurden mit einem Laptop ausgerüstet, der Unterricht soll weitgehend digitalisiert werden. So soll Kindern aus allen sozialen Schichten der gleiche Zugang zu Bildung ermöglicht werden. „Mit der Digitalisierung wird Schule demokratisiert“, sagt Kwiatkowski: „Überall wo es einen Internetanschluss gibt, kann jeder Schüler individuell in seinem Tempo gefördert werden.“

Bettermarks ist wie ein lebendiges Mathe-Buch, voller Erklärungen, Rechenbeispielen und -hilfen. Macht der Schüler beim Lösen der Aufgabe einen Fehler, erklärt das System geduldig die Rechenschritte und analysiert damit zugleich die Wissenslücken. „Der Schüler lernt an seinen eigenen Fehlern“, sagt Peter Spanknebel, der das System seit diesem Schuljahr in einer 7. Klasse an der 1. Gemeinschaftsschule Neukölln einsetzt. Dort haben sich auch die Schüler der 10. Klassen mit Bettermarks auf den mittleren Schulabschluss in Mathematik vorbereitet.

Eine Plattform für 300.000 Schüler

In Uruguay werden rund 300.000 Schüler auf der Plattform arbeiten. Für die Einführung hat das 90-köpfige Bettermarks-Team, das aus Pädagogen, Didaktikern, Mathematikern, Internet- und Software-Spezialisten besteht, das komplette System lokalisiert. Das heißt, die begleitenden Texte wurden ins Spanische übersetzt und die Inhalte an die Didaktik und die Lehrpläne angepasst.

Mehr als 20.000 Lehrer wurden überdies von einem Projektteam vor Ort geschult. Bettermarks ist zwar ein intuitives Lernsystem, das auch für die private Nachhilfe eingesetzt werden kann. Es soll aber den Lehrer nicht ersetzen. „Ganz im Gegenteil: Wir geben dem Lehrer ein Werkzeug in die Hand“, sagt Kwiatkowski: „Gerade in Schwellen- und Entwicklungsländern, wo Lehrer auf dem Land oft kein pädagogisches Studium absolviert haben, ist unser System eine echte und eben nicht teure Hilfe.“ Bettermarks verlangt pro Schüler und Jahr zehn Euro.

Für Bettermarks ist der Erfolg in Uruguay ein Meilenstein. „Was wir gebraucht hatten, war eine Regierung als Early Adopter.“ Kwiatkowski plant nun, den internationalen Bildungsmarkt zu erobern. Einer der potenziell lukrativsten Märkte überhaupt angesichts des Nachholbedarfs in den aufstrebenden Staaten Asiens, Lateinamerikas und Afrikas. Derzeit sind neben der deutschen Bettermarks-Version eine englischsprachige und die spanische verfügbar. Vermarktungsinitiativen in Indien und Mexiko laufen. Auf beiden Märkten kooperiert Bettermarks mit dem britischen Schulbuchverlag Macmillan, der zum deutschen Holtzbrinck-Verlag gehört.

20 Millionen Euro von Investoren

Holtzbrinck ist neben der Neuen Zürcher Zeitung und der Kreditanstalt für Wiederaufbau einer der größten Anteilseigner von Bettermarks. Daneben halten die Gründer Anteile. Insgesamt haben die Investoren bereits mehr als 20 Millionen Euro in den Aufbau des Unternehmens gepumpt. „Sollte es mit der bisherigen Geschwindigkeit weitergehen, bräuchten wir noch eine weitere Finanzierungsrunde“, sagt Marianne Voigt.

Bettermarks verlangt einen langen Atem, den Kwiatkowski hat. „Bei Immobilienscout haben wir auch mehrere Jahre und viel Geld gebraucht, bevor sich das Geschäft ausgezahlt hat“, sagt Kwiatkowski. Der heute 49-Jährige hatte 1997 zusammen mit Joachim Schoss in Berlin das Immobilienportal gegründet, zu einer Zeit, als nur ein Bruchteil der deutschen Haushalte ans Internet angeschlossen war und niemand an die Vermarktung von Häusern und Wohnungen im Internet glaubte. Bis zum Breakeven 2002 verbrauchte Immoscout mehr als 45 Millionen Euro, die die Gründer durch Anteilsverkäufe aufbrachten. Heute gehört das Immobilienportal zur Scout24-Gruppe der Deutschen Telekom und ist bis zu zwei Milliarden Euro wert.

Kwiatkowski hatte nach der Übernahme durch die Telekom 2007 noch ein Jahr für das Unternehmen gearbeitet. Im Frühjahr 2008 kündigte er dann und verkaufte seine restlichen Anteile, um etwas Neues zu machen. „Die größten Wachstumschancen hatten aus meiner Sicht Gesundheit und Bildung“, erzählt Kwiatkowski. „Gesundheit ist spannend, aber Bildung betrifft mich persönlich noch mehr.“

So entstand Bettermarks. Mit Spéroni (32), den er von Immobilienscout kannte, holte sich Kwiatkowski einen Programmier-Experten an die Seite, mit Marianne Voigt (47) die Frau für die Finanzen. „Unser Ziel ist es, im internationalen Maßstab das beste System zum Mathelernen zu entwickeln“, sagt Kwiatkowski. „Letztlich werden wir auch in Deutschland erfolgreich sein.“