Hochschulen

Moocs – das neue Bildungsfernsehen aus der Uni

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Jürgen Stüber

Foto: iversity / Iversity

Das Start-up iversity.org bringt die Lehre ins Netz: Die Online-Vorlesungen, sogenannte Moocs, sind weltweit verfügbar, kostenfrei und kollaborativ. Moocs sollen den Lehrbetrieb revolutionieren.

Marcus Riecke plant eine Revolution. Er will mit seinem Start-up den deutschen Universitätsbetrieb umkrempeln. Mit Revolutionen kennt er sich aus: Er hat den Deutschen das Internet-Surfen beigebracht (als Mitglied der Geschäftsführung von AOL Europe: „Ich bin drin“), den Online-Handel mit gebrauchten Gegenständen (als Mitglied des Europavorstandes von eBay) und die Vorzüge von sozialen Netzwerken (als Geschäftsführer von Studi-VZ). Und jetzt sind Professoren und Studenten dran.

Ein Trend aus den USA begeistert ihn: Moocs. Dieses Akronym steht für „Massive Open Online Courses“, was übersetzt so viel heißt wie „Gratis-Vorlesungen für alle“. Und das will Riecke mit der bereits 2011 von Jonas Liepmann und Hannes Klöpper gegründeten Plattform iversity.org nun auch in Deutschland etablieren. Mit dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft hat er einen renommierten Partner gefunden und mit der Deutschen Telekom einen potenten Investor. Nun muss er nur noch die deutschen Hochschullehrer überzeugen.

Dabei hat er einen prominenten Gewährsmann: den deutschstämmigen Professor für künstliche Intelligenz, Sebastian Thrun, der an der renommierten Stanford University in den USA lehrte. Der hatte im Herbst 2011 die Idee, seine Vorlesung „Einführung in die künstliche Intelligenz“ frei zugänglich im Internet anzubieten. Mehr als 160.000 Studierende aus mehr als 190 Ländern schrieben sich für dieses Angebot ein, 23.000 erwarben im Anschluss das erforderliche Zertifikat. Dieser Erfolg motivierte Thrun, das Start-up „Udacity“ zu gründen, das seitdem online Lehrveranstaltungen anbietet. Geldgeber ließen nicht lange auf sich warten: Andreessen Horowitz investierte im Oktober vergangenen Jahres 15 Millionen US-Dollar in das Projekt.

Mehr als abgefilmte Vorlesungen

Diese Kurse sind keine abgefilmten Vorlesungen, wie es sie als Video-Podcasts schon seit Jahren im Internet gibt. Es sind vielmehr in kleine Häppchen zerlegte Vorlesungen, die mit einem Quiz enden. Hat der Zuschauer die Fragen richtig beantwortet, folgt die nächste Wissenseinheit. Die Studierenden haben die Gelegenheit, sich wie in einem sozialen Netzwerk online auszutauschen, Fragen zu stellen und Antworten zu finden. Am Ende des Semesters folgt ein Online-Examen mit Multiple-Choice-Fragen, bei dem die Kursteilnehmer ein Zertifikat erwerben können.

Diese Art des Lernens breitet sich in den USA rasant aus. Immer neue Universitäten versuchen sich auf diesem Feld. Thomas L. Friedman, Kolumnist der New York Times, bezeichnet Moocs als eine Revolution, die Universitäten erfasst. Sein Kollege David Brooks spricht gar von einem Campus-Tsunami.

Münchner Hochschulen nutzen Moocs

Dessen Ausläufer haben Deutschland bereits erreicht. Die Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) kündigte kürzlich für den nächsten Sommer die ersten vier Moocs an. Für LMU-Rektor Bernd Huber sind solche Kurse eine „wahrhaft revolutionäre Idee“, die eine barrierefreie Universität schaffen. Die LMU arbeitet bei ihren Online-Kursen mit „Coursera“ zusammen, einem wie „Udacity“ an der Standford University entstandenen Internetunternehmen. An „Coursera“-Vorlesungen haben inzwischen 2,5 Millionen Studierende teilgenommen.

Riecke muss sich also beeilen, wenn er auf den bereits mit beachtlicher Geschwindigkeit fahrenden Zug springen und das deutschsprachige Mooc-Portal am Markt positionieren will. Die neue Iversity-Website wird am heutigen Montag gelauncht und dann werden Riecke und seine Mitstreiter beginnen, die deutsche Professorenschaft zu überzeugen. In einem gemeinsam mit dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft ausgeschriebenen Wettbewerb mit einem Preisgeld von 250.000 Euro sollen die zehn besten Moocs ausgezeichnet werden. Im Wintersemester werden die Angebote dann online zur Verfügung stehen.

Die Zukunft der Hochschullehre

„Hochschulen können die digitalen Möglichkeiten für die Entwicklung ihrer Lehre besser nutzen. Wir möchten mit dem Wettbewerb hierzu einen Impuls geben“, sagt Volker Meyer-Guckel, Vize-Generalsekretär des Stifterverbandes. „Unser Ziel ist es zu zeigen, dass Online-Kurse für die Zukunft der Hochschullehre diesseits des Atlantiks ebenso bedeutend sind wie in den USA, wo Moocs im vergangenen Jahr für Furore gesorgt haben“, ergänzt Marcus Riecke. Er sieht in dieser neuen Art der Vorlesungen eine „Revolution der Universitäten, ein Stanford für Alle“. Moocs böten Studierenden die Möglichkeit, frei ihre Wahlfächer zu kombinieren. „Das Neigungsstudium ist in Europa nicht ausgeprägt“, beklagt Riecke. Moocs böten eine neue Form der Selbstfindung und seien damit „eine Lebensverbesserungsplattform“ – für Studenten und für Professoren.

Plattformen wie „Udacity“ und „Coursera“ lebten zwar zunächst von ihrer Popularität und schöpfen ihren Wert aus der daraus resultierenden Reichweite. Doch es lässt sich damit auch Geld verdienen. Marcus Riecke ist davon überzeugt und präsentiert ein Geschäftsmodell.

Bezahlt wird nur das Examen

Die Massive Open Online Courses sind zwar kostenfrei buchbar. Für die Abschlussexamen fallen aber Gebühren an, die von den Studierenden zu entrichten sind. Ferner geht er davon aus, dass sich Kurse lizenzieren lassen. Riecke hält es für eine Verschwendung intellektueller Ressourcen, dass Scharen von Professoren vielerorts in überfüllten Hörsälen immer wieder die gleichen Einführungsvorlesungen halten, statt diese Zeit für Forschung und Fortgeschrittenenlehre zu verwenden. Eine Hochschule könnte also die beste Online-Einführungsvorlesung einkaufen und ihren Studierenden im Internet anbieten. Und die Professoren hätten ihren Kopf frei für wichtigere Dinge.

Ein dritter Geschäftszweig ist das Recruiting, also die Vermittlung von Absolventen. „Herkömmliche Recruiting-Agenturen haben es schwer aus einer Flut von Bewerbungen die drei Leute herauszufiltern, die relevante Qualifikationen haben“, sagt Riecke. Für Mooc-Anbieter ist diese Auswahl nur ein paar Mausklicks entfernt. „Denn sie kennen die weltweit besten Leute zum Beispiel in Altgriechisch. Das ist für Unternehmen, die Altgriechisch-Experten einstellen wollen, eine relevante Information“, sagt Riecke.

„In der Internetwirtschaft gibt es viele Souflées, sagt Riecke. „Wenn sie aus dem Ofen kommen, sehen sie gut aus. Und dann fallen sie plötzlich zusammen.“ Er ist überzeugt, dass Iversity ein solches Souflée nicht wird.