2. Tag

Papst trifft sich in Erfurt mit Missbrauchsopfern

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Matthias Kamann
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Papst feiert Open-Air-Messe im Eichsfeld

Die rund 90.000 Gläubigen bereiteten dem 84-Jährigen in Thüringen einen begeisterten Empfang. Mit Benedikt XVI. besucht erstmals ein Papst die neuen Bundesländer.

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Am zweiten Tag seiner Deutschland-Visite hat sich Papst Benedikt XVI. in Erfurt überraschend mit fünf Opfern sexuellen Missbrauchs getroffen. Zuvor dämpfte er beim Ökumene-Gipfel Hoffnungen auf eine rasche Annäherung zwischen Protestanten und Katholiken.

Am Abend tat er es dann doch: Unter äußerster Diskretion und ohne vorherige Ankündigung traf der Papst im Erfurter Priesterseminar mit Opfern sexuellen Missbrauchs zusammen. Der Ort für das Treffen war gut gewählt: Das Erfurter Priesterseminar ist weiträumig abgesperrt, denn hier übernachtet der Papst – und hier traf er den drei Männern und zwei Frauen zusammen, die von Priestern und kirchlichen Mitarbeitern sexuell missbraucht worden waren. „Bewegt und erschüttert“ sei Benedikt XVI. hinterher gewesen, hieß es in einer Erklärung des Vatikan. Er habe sein „tiefes Mitgefühl und Bedauern“ bekundet für alles, was ihnen und ihren Familien angetan worden sei. Zudem habe er versichert, den Verantwortlichen in der Kirche sei an der Aufarbeitung aller Missbrauchsdelikte gelegen. Sie bemühten sich, „wirksame Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen zu fördern“.

Es war der – politische – Höhepunkt eines langen Tags, der mit Bewegungslust angefangen hatte. Vor der Tür, durch die der Papst die Erfurter Augustinerkirche betreten sollte, machten Bläser aus dem Kirchenlied „Von Gott will ich nicht lassen“ einen kunstvollen Tango. Die geladenen Gäste in der Kirche des einstigen Klosters von Martin Luther begannen mit den Beinen zu wippen.

Doch mit der Bewegung wurde es nichts. Keine einzige Erwartung an konkrete Veränderungen im ökumenischen Verhältnis zwischen katholischer und evangelischer Kirche wurde bei diesem als so historisch empfundenen Besuch des Papstes an der Wirkungsstätte des Reformators erfüllt. Keinerlei Entgegenkommen signalisierte Benedikt beim Verständnis des geistlichen Amts, beim Ringen um ein gemeinsames Abendmahl oder bei dem Problem konfessionsverschiedener Eheleute, nicht gemeinsam zum Abendmahl oder zur Eucharistie gehen zu können.

In aller Härte war dieser Stillstand schon am Vormittag bei der vertraulichen Begegnung zweier größerer Kirchendelegationen rund um den Papst und den EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider deutlich geworden. Und Benedikt sagte dann in seiner Predigt während des ökumenischen Wortgottesdienstes in der Augustinerkirche: „Im Vorfeld des Papstbesuches war verschiedentlich von einem ökumenischen Gastgeschenk die Rede, das man sich von diesem Besuch erwarte. Dazu möchte ich sagen, dass dies ein politisches Missverständnis des Glaubens und der Ökumene darstellt. Der Glaube ist nicht etwas, was wir ausdenken oder aushandeln.“

„Nichts, gar nichts ist von ihm gekommen“, sagte nachher ein Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Die peinliche Situation zu retten versuchte EKD-Präses Schneider, indem er fast während des gesamten Gottesdienstes aufrecht sitzend lächelte, während neben ihm der Papst versunken vor sich hinschaute. Ja, Schneider ging nach Benedikts Predigt sogar auf diesen zu und umarmte ihn. Was tut man nicht alles, um Einvernehmen zu demonstrieren. Allerdings ist das Bild, das so entstand– die Protestanten bemühen sich, während der Papst aus Glaubensgründen extrem zurückhaltend bleibt – nicht richtig. Gewiss zwar, die evangelische Seite drängt, und sie drängte gerade in Erfurt. Vom Überwinden des „Eigen-Sinns“ sprach Schneider bei dem Delegationentreffen.

Auch die Präses der EKD-Synode, Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt, sprach mit Verweis auf den katholischen Bundespräsidenten Christian Wulff und seine erkrankte evangelische Ehefrau jene Paare an und entwarf gar das Bild der Mahlgemeinschaft: „Zum richtigen Zeitpunkt werden wir am hellsten und besten Ort des Hauses gemeinsam und füreinander den Tisch decken, an den ER uns einlädt.“

Der Papst wirkte demgegenüber wie ein standhafter Verteidiger des für theologisch richtig Erachteten, wie ein Vorkämpfer eines viel wichtigeren Einsatzes: „Das Notwendigste für die Ökumene“, so Benedikt, „ist zunächst einmal, dass wir nicht unter dem Säkularisierungsdruck die großen Gemeinsamkeiten fast unvermerkt verlieren, die uns überhaupt zu Christen machen und die uns als Gabe und Auftrag geblieben sind.“ Nach dem Motto: Wir müssen das Christentum offensiv bekennen, statt wohlbegründete Lehrmeinungen in Kompromissformeln aufzuweichen.

Präses Schneider verglich während der vom Bemühen um Gesichtswahrung geprägten Pressekonferenz die Ökumene mit einer steilen Treppe. Einige Stufen habe man nach früheren Konfessionskriegen bereits erklommen. „Jetzt stehen wir auf einem Treppenabsatz und müssen versuchen, das Niveau zu halten.“ Das ließ sich natürlich als Beschwichtigung nach dem Verpassen einer scheinbar günstigen Gelegenheit interpretieren. Man könnte es freilich auch anders sehen: Auf protestantischer Seite wächst die bei den Katholiken sowieso vorhandene Einsicht, dass beide Kirchen sich einander im Konkreten nicht weiter annähern können. Zumal die Protestanten könnte dies von dem auf Dauer peinlichen Betteln und Bitten um ökumenische Signale der anderen Seite entlasten.

Immerhin sind beide Seiten bereit, sich zum Reformationsjubiläum 2017 neu mit Luther zu beschäftigen. Dessen „Frage nach Gott“, so Benedikt, „trifft mich immer neu“. Schneider lud den Papst in nur geringer Verklausulierung ein, 2017 das Reformationsjubiläum zusammen mit der evangelischen Kirche zu begehen. Das Abendmahl freilich wird auch dann noch jede Kirche für sich feiern.