Konstantin Baron von Bossner fühlt sich missverstanden. Mehr noch: Herabgewürdigt in den deutschen Medien, zur Karikatur des Protz-Russen verzerrt, der eine Schwäche hat für seinen Präsidenten, den sonst niemand gut findet. Jedenfalls nicht in Deutschland. Doch nach ein paar diplomatischen Verhandlungen empfängt Baron von Bossner, bürgerlich Konstantin Loskutnikov, dann doch zum chinesischen Tee in seinem Charlottenburger Büro. Der 59-Jährige ist ein kommunikativer Mann, nicht nur wegen seiner Liebe zu Zigarren. Menschen, die ihn kennen, haben ihn weiterempfohlen: Wer das russische Berlin verstehen wolle, müsse ihn sprechen.
Bossners Bürowände sind gepflastert mit Plakaten und Zertifikaten. Für Bossner-Zigarren, Bossner-Schokolade und georgischen Bossner-Wein. Der Baron lässt seine Waren selbst produzieren und exportiert sie rund um die Welt. Ein vielversprechender Markt ist momentan China. Anfangs ließ er dort Baumaschinen herstellen, inzwischen verläuft der Handelsweg auch anders herum. Neben Wein und Zigarren mögen wohlhabende Chinesen Bossners Schuhe. Er lächelt. Die Krokodilleder-Schuhe lässt er von Hand fertigen. In Berlin. Der russische Schuhmacher hat in Italien gelernt. Das Leder kommt aus Kolumbien. Die Berliner Kroko-Schuhe kosten im Einzelhandel um die 7000 Euro das Paar. Bislang hat sie Bossner gern bei Interviews getragen. Er ist stolz darauf. An diesem Tag trägt er schlichtes Schuhwerk in Schwarz.
Er will, dass man ihn richtig versteht. Ein Mitarbeiter übersetzt, ein weiterer filmt das Interview zur Kontrolle. Der Baron deutet auf die großen, gerahmten Ikonen, die an den Wänden lehnen. Keine Angeberei, sondern Geschenke. 15 Stück hat er malen lassen, für die neue russisch-orthodoxe Kirche in Marzahn. Sie ist noch im Bau, solange warten die Kunstwerke hier. Bossner fördert auch russische Wissenschaftler und bringt Luxuskataloge heraus, deren Anzeigenerlöse schwerkranken Kindern zugute kommen. Für seine Wohltätigkeit verlieh ihm vor einigen Jahren ein Nachfahre des letzten polnischen Königs den Titel, den er seitdem trägt: „Baron“. Was soll daran schlecht sein?
Ein deutscher Name erschien dem Neu-Berliner passend
Als Konstantin Loskutnikov vor knapp 23 Jahren nach Berlin flog, stand sein Entschluss fest, in Deutschland leben zu wollen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion sah er in Russland keine Zukunft. Er holte seine Familie nach. Die Mentalität der Deutschen, sagt er, sei der russischen einfach am nächsten. In Berlin entdeckte er den Namen seiner jüdischen Ururgroßmutter neu: Bossner hieß sie. Ihr Vater war zur Zeit von Katharina der Großen aus Bayern nach Russland emigriert. Ein deutscher Name erschien dem Neu-Berliner damals passend für sich und die Schokolade, die er als sein erstes Produkt in Deutschland herstellen ließ. Er blieb dabei.
Nach Berlin würde er, der inzwischen die ganze Welt kennt, jederzeit wieder ziehen. Auch wenn die deutsche Politik, die das russische Eingreifen in der Ukraine kritisiert, ihm momentan nicht gefällt. Für ihn als Geschäftsmann, sagt er, sei Politik aber selten ein Thema. „Und bisher hat niemand verlangt, dass ich mich für Putin rechtfertige.“ Seine Geschäftspartner seien im Gegenteil wie er der Ansicht, die russische Ukraine-Politik sei vollkommen richtig. „Putin ist ein Patriot und ein Staatsmann wie Helmut Kohl.“
Nur die Geschäfte, die laufen schlechter seit dem Konflikt. Gerade hat Bossner mit Geschäftsfreunden in der Ukraine telefoniert. „Alles steht still.“ Seit den Unruhen sind rund 40 Geschäfte und Restaurants, die Bossner-Zigarren und Wein im Angebot haben, geschlossen. In Kiew ist ein Geschäft komplett abgebrannt. Und die Händler ordern keine neue Ware, weil der Euro im Verhältnis zur Landeswährung um ein Vielfaches gestiegen ist. Das, sagt Bossner, bereite ihm Sorgen. Die Politik? Nun ja. Inzwischen würden die deutschen Töne moderater. „Es sieht aus, als würden die Politiker hier inzwischen auch die russische Seite sehen.“
Rund 300.000 Menschen in Berlin haben die russische Muttersprache. Knapp 18.000 davon besitzen einen russischen Pass, rund 9.000 einen ukrainischen. Zur den größten Gruppen zählen jüdische Flüchtlinge und Russlanddeutsche aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Die meisten leben in Bezirken wie Marzahn oder auch Charlottenburg, wo es möglich ist, ohne ein Wort deutsch durch den Alltag zu kommen. Russische Supermärkte machen es möglich, auf vielen Ämtern wird russisch gesprochen. Es gibt russische Kirchen, deutsch-russische Kitas und Schulen.
Russische Freunde wollen mit ihr nichts mehr zu tun haben
Im russischen Restaurant „Grüne Lampe“ an der Uhlandstraße in Wilmersdorf ist die „Amtssprache“ Deutsch. Der Ukraine-Konflikt ist auch hier bis an die Kochtöpfe herangerückt. Täglich werden hier russische Spezialitäten serviert. Die Gäste sind etwa zur Hälfte deutscher, zur Hälfte russischer Herkunft. Das Personal, Köche, Kellner und auch die Restaurant-Inhaberin Julia Gutsch selbst haben sich bisher alle einfach als „russisch“ bezeichnet, sagt diese. „Auch wenn die einen aus Georgien stammen, die anderen Wolgadeutsche sind, die nächsten aus der Ukraine kommen.“ Julia Gutsch, 50, stammt selbst aus St. Petersburg. Als sie vor neun Jahren ihr Restaurant gründete, stand die Idee im Vordergrund, den Gästen russische Küche und Kultur zu bieten. Inzwischen steht immer öfter auch die Politik im Vordergrund – und auch zwischen den Menschen.
Gerade hat eine ukrainische Aushilfe Julia Gutsch ihr Leid geklagt. Ihre russischen Freunde wollten mit ihr nichts mehr zu tun haben. Wegen der politischen Situation. Sie müsse doch einsehen, dass die Krim zu Russland gehöre. Und überhaupt seien die ukrainischen Politiker alle „Banderas“, Anhänger des umstrittenen Nationalhelden Stepan Bandera, der außerhalb der Ukraine vielen als Nazi-Kollaborateur gilt. Julia Gutsch hat der jungen Frau gesagt, dass nicht alle Russen so denken – sie selbst zum Beispiel auch nicht. Dann haben sie weitergearbeitet. „Es ist ein extrem schwieriges Thema.“
Julia Gutsch ist von Beruf eigentlich Kunsthistorikerin und Reisekauffrau, sie ist verheiratet mit einem Berliner. Sie hat jenen singenden Akzent, den Deutsche so mögen. Die „Grüne Lampe“ ist, wenn man so will, eine Zusammenführung all ihrer Passionen, eine Reise in die Kultur ihrer Heimat. Tagsüber kommen deutsche Reisegruppen. Viele interessieren sich nicht nur für köstlichen Borschtsch oder Pelmeni, sondern auch für russische Literatur und Kunst. Oder für das „Charlottengrad“ der 1920er-Jahre, als nach der russischen Revolution viele russische Künstler und Intellektuelle in das Viertel emigrierten – das ist Vergangenheit. Die russische Künstlerszene von heute trifft sich eher in Mitte. Oder kommt an Wochenenden und Feiertagen in die „Grünen Lampe“, dann gibt es traditionelle Musik und Tanz. Und gern auch erregte politische Debatten.
Diskussionen gehören zur Tradition, auf die das Restaurant sich beruft. Es ist benannt nach der „Seljonaja Lampa“, einem elitären Club im St. Petersburg des 19. Jahrhunderts, in dem sich auch Kritiker des Zarenregimes trafen. Damals waren die Fronten klar. Hier der Zar, dort Künstler wie der spätere Nationaldichter Alexander Puschkin, den der Zar zensieren und verbannen ließ. In der „Grünen Lampe“ 2014 sind die Dinge komplizierter.
Angst vor einer Rückkehr zu sowjetischen Zeiten
„Die Ansichten prallen bei uns inzwischen oft hart aufeinander“, sagt Julia Gutsch. „Die einen Gäste finden, Putin habe doch gar keine andere Wahl, weil die Nato zu nah an der Ukraine steht. Andere freuen sich, dass Putin endlich wieder Macht zeigt und das Land zum Erfolg bringt. Wieder andere haben Angst vor weiteren Annexionen, vor Gewalt und einer Rückkehr zu sowjetischen Zeiten.“ Zu letzteren zählt auch die Gastgeberin selbst. „Ich habe große Furcht. Wenn es zu einem Bürgerkrieg kommt, trennt uns davon nur eine Luftlinie von 800 Kilometern. Wenn man Putin jetzt nicht stoppt, kann das zu einer sehr gefährlichen Situation führen.“
In den sozialen Netzwerken im Internet fiel ihr zuerst auf, wie groß die neue Kluft zwischen den Menschen ist. „Überall zerbrechen Freundschaften aus politischen Gründen.“ Auch ihr selbst passierte das. Nachdem sie auf Facebook Kritik an der russischen Krim-Politik gepostet hatte, bekam sie einen besorgten Anruf aus Moskau. „Eine gute Freundin, sie ist Schriftstellerin, rief mich an.“ Sie finde, Putin mache alles richtig, sagte die Freundin, „und wenn du mich nicht mehr sehen willst, musst du es nur sagen!“ Julia Gutsch schüttelt den Kopf. Eine Freundschaft aufkündigen wegen Putin? Sie sind Freundinnen geblieben, „bis jetzt jedenfalls“. Sie schaut sorgenvoll.
Wenn Julia Gutsch mit Landsleuten spricht, versucht sie ihnen zu erklären, dass sie vorsichtig sein sollen mit dem, was im russischen Fernsehen berichtet wird. Sie selbst informiert sich lieber im Internet. Das russische Fernsehen macht sie wütend, sagt sie, „dort werden inzwischen wieder die alten sowjetischen Spielfilme gezeigt, es wird Nostalgie geschürt, Hass auf den Westen wie in alten Zeiten.“
„Ich wollte frei sein, frei wählen und reisen dürfen“
Sie selbst ist zu genau jenen Sowjetzeiten aus Russland geflohen. Mit ihrem kleinen Sohn, als jüdische „Kontingentflüchtlinge“. Später kam ihre Mutter nach. Eigentlich, sagt Julia Gutsch, hätten sie in ihrer Heimatstadt gut gelebt, die damals noch Leningrad hieß. „Aber ich wollte frei sein, frei wählen und reisen dürfen, wohin ich will.“ Das heutige Russland sieht sie kritisch. „Es ist eine ungerechte Gesellschaft, in der nur Reichtum und gute Beziehungen zählen.
Wie kann es weitergehen, in der Ukraine und auch zwischen den vielfältigen „Russen“ in Berlin? Sie weiß es nicht. „Wie auch, wenn selbst Frau Merkel keinen Ausweg sieht?“ Merkels Politik des Abwartens, sagt Julia Gutsch, sei momentan vielleicht die beste Lösung.
Natalija Yefimkina wohnt in Mitte, sie ist 30 und arbeitet beim Film. Als sie zwölf war, zog sie aus der Ukraine zu ihrer Mutter nach Deutschland. Eigentlich wäre sie auch jetzt wieder in ihrem Heimatland – als Regisseurin, um einen Dokumentarfilm in Donezk zu drehen. Der Titel ihres Films stand schon fest, „Der Jesus von Donezk“, alles war geplant, aber dann wurde die Produktion abgesagt. Die Stadt, inzwischen beherrscht von Separatisten, ist zu gefährlich für Dreharbeiten. Die Hauptfigur ihres Films ist ein ehemaliger Krimineller, der sich hat bekehren lassen und heute jungen Straftätern zurück auf den rechten Weg hilft. „Andere soziale Hilfen gibt es in der Ukraine nicht“, sagt die Regisseurin. „Die Kirche ist im Moment die letzte Hoffnung, so bitter das klingt“.
Im Internet zugeschaut, was in Kiew geschah
Die Proteste auf dem Majdan hat sie zunächst in Berlin begeistert verfolgt, ebenso wie all ihre Freunde. Nächtelang haben sie im Internet zugeschaut, was in Kiew geschah. „Schließlich bin ich im Januar selbst hingefahren, ich habe es nicht mehr ausgehalten, ich wollte dabei sein.“ Natalija Yefimkina traf die Stadt noch vor den blutigen Zusammenstößen an. „Es lag eine unglaubliche Energie in der Luft, es war faszinierend.“ Als die Krim eingenommen wurde, war für sie klar, dass Russland sich unrechtmäßig in die Angelegenheiten der Ukraine einmischt. „Jeder kann das sehen – es sei denn, er schaut ausschließlich russisches Fernsehen.“
Die ukrainische Fotografin Mila Teshaieva, 40, kam 2010 nach Berlin. Seit Jahren bereist sie für Reportagen die ehemaligen GUS-Staaten bis hin zum Kaukasus. Sie wohnt in Mitte, ihr Freundeskreis sei international, sagt sie. Auch sie erlebte während der Majdan-Proteste jene Welle der Begeisterung und Unterstützung. Nachdem Janukowitsch abgesetzt war, sagt Mila Teshaieva, „sah es einen Moment lang so aus, als würden die europäischen Werte wie Demokratie, Bürgerrechte und Meinungsfreiheit endlich auch für uns gelten.“ Dann zerstörte die russische Regierung diesen Traum.
Dennoch sei das Bild des bösen Russen in den westlichen Medien wenig hilfreich, sagt die Fotografin. Ebenso wie die umgekehrte Propaganda. Sie erlebte, wie ukrainische Freunde plötzlich sehr empfindlich reagierten, wenn ukrainische Volkshelden mit Nazi-Verbrechen in Verbindung gebracht wurden. Sie sagt: Einerseits könne sie nachvollziehen, warum viele Russen Präsident Putin unterstützten. „Die andere Frage ist, ob man es als Normalität akzeptieren kann, wenn Menschen psychisch und physisch unterdrückt werden.“
Die Hoffnungslosigkeit der Menschen erschütterte sie
Demnächst wird in der Ukraine gewählt. Vor den letzten Wahlen reiste Mila Teshaieva für eine große Reportage durch die Ost-Ukraine. Was sie damals am meisten erschütterte, sagt sie, sei die komplette Hoffnungslosigkeit der Menschen gewesen. Für sie liegt diese Tragödie im Erbe der langen Jahrzehnte sowjetischer Erziehung begründet. „Die ganze Gesellschaft baute auf Ideologie auf, auf Stolz, dem Sieg im Zweiten Weltkrieg und auf starken Feindbildern.“
Elena Budinstein, 37, hat ihr Büro in Mitte, in einer Seitenstraße am einstigen Mauerstreifen. Da, wo sich die Welt im Kalten Krieg in Ost und West teilte. Eigentlich ein passender Ort für das, was ihre Aufgabe ist: kulturelle Gräben zu überwinden. Sie ist Kommunikationsberaterin und Trainerin für interkulturelle Kompetenzen. Ihr Schwerpunkt sind die ehemaligen GUS-Staaten. Auf ihrem Schreibtisch läuft lautlos eine Nachrichtensendung auf dem Computer. Der Sprecher berichtet über eine Umfrage, der Bericht ist unterlegt mit Filmbildern aus der Ukraine: Ein Drittel der Russen sei der Ansicht, Russland befinde sich bereits im Krieg mit der Ukraine. Ob die Angaben des regierungskritischen russischen Fernsehsenders TV Rain stimmen, könne sie natürlich nicht überprüfen, sagt Elena Budinstein, „aber die Berichte sind differenzierter als die der staatstreuen Medien“. Sie gibt über die Tastatur einen Befehl ein. Die brennenden Barrikaden verschwinden vom Bildschirm. Durch die offene Tür dringt das Vogelgezwitscher des Berliner Frühlings. Eine friedliche Gegenwelt.
Mit einer Kollegin aus Düsseldorf führt Elena Budinstein eine PR-Agentur. Ihre Kunden sind große deutsche Modemarken wie Escada, Strenesse oder Daniel Hechter, denen sie vermittelt, wie ihre Heimat „tickt“. Bisher ging es meist um die Besonderheiten im russischen Arbeitsalltag. Zum Beispiel um das aus deutscher Sicht skurrile Zeitverständnis in Russland, wo immer für alles Zeit ist und trotzdem alle alles sofort haben wollen. Oder um die Frage, warum das Private bei der Arbeit dort eine größere Rolle spiele als hier. Doch inzwischen ist immer öfter Politik das Thema.
Ihren Kunden, sagt Elena Budinstein, macht der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine Sorgen. „Für den Export ist es schwierig, weil der Eurokurs in Russland so hoch ist. Und dazu kommt die Angst der Russen vor einem Krieg. Viele haben jetzt wenig Motivation, Geld auszugeben, schon gar nicht für Mode.“ Deshalb schaut Elena Budinstein Nachrichten, so oft es geht – und auf unterschiedlichen Sendern, um sich ein Bild zu machen.
„Mein Bruder könnte zum Militär eingezogen werden“
Doch auch persönlich macht ihr die Situation Sorgen. Sie selbst kam Mitte der 90er-Jahre als Studentin von St. Petersburg nach Berlin. „Eigentlich wollte ich nur Deutsch lernen“. Heute ist sie verheiratet mit dem Dirigenten Igor Budinstein, das Paar hat zwei Kinder. Ihre Eltern, die Großmutter und Geschwister leben nach wie vor in Russland. „Mein Bruder könnte zum Militär eingezogen werden.“
Sie telefonieren oft. „Mit meiner Mutter bespreche ich immer wieder die aktuelle Situation.“ Was nicht selbstverständlich sei. „In vielen Familien wird das Thema tunlichst vermieden, weil es so viele Streitpunkte gibt.“ Zwischen Russen, die im Ausland leben, und ihren Verwandten in der Heimat sei das oft so. Aber auch innerhalb Russlands. Schließlich gibt es kaum eine russische Familie, die nicht durch Vorfahren oder Verwandte mit der Ukraine verbunden ist. Und auch von befreundeten Ukrainern höre sie Ähnliches. „Alle sagen: wenn man sich nicht streiten möchte, vermeidet man das Thema.“
Elena Budinstein hat an der UDK in Berlin Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation studiert. Auch deshalb interessiert sie die aktuelle Entwicklung. Trotz der Kriegsangst gebe es große Zustimmung für den russischen Präsidenten – oder auch gerade deswegen. „80 Prozent stehen hinter ihm.“ Grund sei das Bedürfnis der russischen Bevölkerung nach einer Machtfigur. „Man hat sich lange unwichtig gefühlt, am Rande des Weltgeschehens. Mit Putin gibt es jetzt wieder einen Patriarchen, eine Vaterfigur, an der man sich festhalten kann.“ Viele Russen seien stolz, diese Macht zu spüren.
Deutsche fragen oft nach Werten wie Freiheit und Demokratie
Auch sie beklagt die Propaganda der Medien. „Dort werden die alten Klischees bedient, das westliche Ausland als Feind.“ Selbst viele Intellektuelle ließen sich davon beeinflussen. Aber sie kritisiert auch die Darstellung des Konflikts in den westlichen Medien. Gerade am Anfang seien auch in Deutschland viele falsche Akzente gesetzt worden. „Sowohl in der Berichterstattung als auch in der Politik gab es vorschnelle Kommentare, ohne sich ein Bild von der wirklichen Situation zu machen.“ Auch das habe dazu geführt, die Stimmung anzuheizen – gegen Wladimir Putin. „Er ist nicht die Personifizierung des Bösen, so wie er in Deutschland oft dargestellt wird.“ Überhaupt begegne sie auch im Westen oft Vorurteile. „Russland als unheimliche, dunkle Macht im Osten – es ist schade, dass dieses Bild immer wieder bedient wird.“ Solche Klischees seien auf das mangelnde Wissen im Westen über Russland und die russische Mentalität zurückzuführen.
Wenn Elena Budinstein mit Deutschen über Russland spricht, fragen die oft nach Werten wie Freiheit und Demokratie. „Sie stehen in Russland nicht so hoch im Kurs wie in westlichen Ländern – ein Erbe der sowjetischen Erziehung“. Das Bedürfnis nach Ideologie und der kollektive Gedanke seien immer noch stärker. „Das ist in allen ehemals sozialistischen Staaten so und übrigens auch im Osten Deutschlands.“ Erst die Generation, die in den 90er-Jahren aufgewachsen ist, könnte andere Werte entwickeln.
Was aber kann der Westen tun? Die Kommunikationstrainerin lächelt. „Miteinander reden.“ So, wie es zum Beispiel die Bundeskanzlerin mache. „Wenn ich lese, Frau Merkel hat mit Putin telefoniert, freue ich mich jedes Mal. Auch wenn ich gar nicht weiß, worum es ging und in welchem Ton sie miteinander gesprochen haben. Allein die Tatsache, dass die Kommunikation nicht aufhört, ist wichtig. Es ist das einzige, was die Kriegsgefahr noch abwenden kann.“