Sieben Auszeichnungen in neun Jahren, Nachahmerprojekte und Lob von allen Seiten: Die Stadtteilmütter gehören zu den Prestigeprojekten der Bundeshauptstadt. Ende dieses Jahres allerdings versiegt eine der wichtigsten Finanzierungsquellen des Integrationsprogramms. Allein in Neukölln, wo die arbeitslosen Frauen mit Migrationshintergrund 2005 erstmals losgeschickt wurden, sieht das Bezirksamt Neukölln die Zukunft von 55 der derzeit 93 Stadtteilmütter bedroht.
Zieht man offizielle Zahlen der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen heran, könnten sogar noch deutlich mehr der 30-Wochenstunden-Arbeitsstellen vor dem Aus stehen. Berlinweit werden demnach aktuell 381 Integrationshelfer aus Beschäftigungsfördertöpfen bezahlt. 197 erhalten Geld aus dem Bundesprogramm Bürgerarbeit, das die Jobcenter ausschütten. Dieses Programm läuft zum Jahresende 2014 aus. 115 Familienberater und damit gut doppelt so viele, wie vom Bezirksamt Neukölln befürchtet, würden folglich allein in Neukölln wegfallen. Einige müssten wegen des Auslaufens ihrer Beschäftigungsmaßnahme sogar schon vor dem Jahresende ihren Abschied nehmen.
„Stadtteilmütter“ ist eine geschützte Bezeichnung für das Pilotprojekt
Neukölln wäre damit von allen sechs Bezirken, in denen Tagesmütter vom Programm Bürgerarbeit profitieren, am stärksten vom Ende dieser Förderung betroffen. In Friedrichshain-Kreuzberg gäbe es für 29 Integrationshelfer, in Lichtenberg für 23 kein Geld mehr. Tempelhof-Schöneberg müsste um 15 und der Bezirk Mitte um 14 Stellen fürchten, in Marzahn-Hellersdorf gibt es eine entsprechende Kraft.
Die deutlich höheren Zahlen betroffener Stadtteilmütter in der Statistik der Landesverwaltung erklärt man dort mit verwirrenden Begrifflichkeiten: Die Bezeichnung „Stadtteilmütter“, welcher sich das Bezirksamt Neukölln bedient, bezieht sich ausschließlich auf das dort als Pilotvorhaben 2005 gestartete Integrationsprojekt. Den Namen hatte sich die Diakonie als Träger schützen lassen. „Daneben gibt es aber Kiezväter, Familienlotsen oder Integrationslotsen“, sagt Franziska Schönberner, Sprecherin von Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD). Diese sind laut der Definition der Senatsverwaltung Teil des Gesamtprojektes.
Neukölln wie die Landesregierung beteuern, sie wollten ein Auslaufen der Integrationsbemühungen nicht hinnehmen. Über eine Streichung des Bundesprogramms Bürgerarbeit sei auf Bundesebene noch nicht endgültig entschieden, versucht Schönberner zu beruhigen. Möglich sei auch, dass die Bundesregierung eine Alternative auflege. Schönberner: „Unser Haus hat sich dennoch auch mit dem Szenario befasst, dass diese Förderung gestrichen wird.“ Dann werde die Senatsverwaltung „dafür sorgen, dass möglichst viele Stellen weiter finanziert werden können“.
Neukölln kann Finanzierungslücke nicht schließen
In Neukölln ist man allerdings skeptisch. Vorerst, so kritisierte Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) auf eine Anfrage von SPD und Piraten in der Bezirksverordnetenversammlung im Februar, verbleibe „nach Wegfall der Bürgerarbeit noch eine Finanzierungsvakanz“ für mehr als die Hälfte der Stadtteilmütter. Neukölln beteiligt sich aus eigenen Mitteln mit 160.000 Euro pro Jahr an dem Projekt. Der Bezirk sei aber nicht in der Lage, die Finanzierungslücke selbst zu schließen.
Das Landesrahmenprogramm Integrationslotsen sieht Buschkowsky anders als die Landesregierung nicht als Lösung. Dieses gibt es seit Januar 2014, gespeist wird es aus dem Landeshaushalt. „Durch die erstmalige Regelfinanzierung und damit sozialversicherungspflichtige Beschäftigung der Lotsinnen und Lotsen selbst schaffen wir Kontinuität und sichern die Qualität“, hatte Senatorin Kolat zum aktiven Start der ersten Lotsen stolz verkündet. Buschkowskys Sorgen kann sie so nicht ausräumen.
Schließlich sind in ganz Berlin 96 Lotsen unterwegs, in Neukölln sind es zehn plus eine Koordinierungsstelle. „Das von der Integrationssenatorin so hoch gepriesene Landesrahmenprogramm trägt eben mitnichten zu einer Verstetigung des Projektes bei, sondern ist in dem ganzen Finanzierungsgefüge nur ein kleiner Mosaikstein“, klagte Buschkowsky in der Bezirksverordnetenversammlung.
Kritik an Senatorin Kolat
Die Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung bei der Lösung des Problems sei schlecht, resümiert Anna Hermanns, Projektkoordinatorin für die Stadtteilmütter im Bezirksamt Neukölln. Kritik kommt ebenfalls von Kolats Parteikollegen sowie Joschka Langenbrinck, Mitglied im Abgeordnetenhaus und selbst Neuköllner: „In das Landesrahmenprogramm Integrationslotsen sind von der Verwaltung je 2,2 Millionen für 2014 und 2015 eingestellt worden“, sagt er.
Darauf dürfe Kolat sich nicht „ausruhen: Im Ernstfall ist sie gefordert, eine Bundesratsinitiative auf den Weg zu bringen, damit es eine Anschlussförderung für die Bürgerarbeit gibt“. Ein Wegfall der Stellen wäre ein Desaster für die Integration in Problemvierteln, so Langenbrinck.