Der Bundestagsabgeordnete und Geheimdienstexperte Christian Ströbele hat von Beginn an eine umfassende Aufklärung des NSU-Terrors gefordert. Jetzt zieht der Grünen-Politiker eine Zwischenbilanz.

Berliner Morgenpost: Herr Ströbele, wie bewerten Sie den Verlauf des NSU-Prozesses?

Christian Ströbele: Soweit ich das beurteilen kann, ist der Prozess wichtig und verläuft erfolgreich. Er hat viele Facetten neu beleuchtet und neue Erkenntnisse geliefert, die wir im parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Bundestages nicht hatten. Das hängt auch mit dem zeitlichen Abstand zusammen, mit dem Bundestag und Gericht ermittelten. Das Gericht hat auch andere Aufgaben als der Untersuchungsausschuss. Wir wollten das Versagen der Behörden aufklären, das Gericht muss die Tatbeteiligung der Angeklagten klären.

Welche Erkenntnis hat Sie überrascht?

Das ist eine Erkenntnis, die parallel zum Gerichtsverfahren herausgekommen ist. Dabei handelt es sich um einen weiteren V-Mann mit dem Tarnnamen „Tarif“, mit dem ich mich im Zusammenhang mit dem NSU-Komplex intensiv befasst habe. Dieser V-Mann war sehr nah am NSU-Trio dran und hätte es nach dem Abtauchen des Trios schnell aufdecken können. Dadurch hätten die Morde und die Überfälle vermieden werden können.

Welche Fragen sind noch ungeklärt?

Der ganze Bereich, den wir auch im Untersuchungsausschuss nicht klären konnten: Was wussten die V-Leute aus dem Umfeld des Terror-Trios genau und was haben sie ihren V-Mann-Führern mitgeteilt? Ich habe den Verdacht, dass es sehr viel mehr war, als sie uns bislang gesagt haben.

Was genau meinen Sie damit?

Wir wissen von den V-Leuten, vor allem aus Brandenburg und Thüringen, heute mehr, als wir zu Beginn der Ermittlungen wussten. Ich hoffe, dass das Gericht in der Beweisaufnahme mehr Licht in dieses Dunkel bringt.

Welche Konsequenzen sollten aus den bisherigen Erkenntnissen gezogen werden?

Alle Fraktionen haben nach dem Untersuchungsausschuss 50 Forderungen aufgestellt, die Grünen haben zusätzlich ein Sondervotum vorgelegt. Es muss sich bei Polizei und Verfassungsschutz unendlich viel ändern. Die, die so total versagt haben, dürfen im rechtsextremistischen Bereich nicht länger tätig sein. Dieser Verfassungsschutz muss in dieser Form aufgelöst werden und in einer anderen Form neugegründet werden. Das V-Mann-Wesen vor allem im Rechtsextremismus muss beendet werden. Es schadet mehr, als es nützt. In seiner gegenwärtigen Form wird nicht nur mit Staatsgeld der Rechtsextremismus unterstützt, sondern es wird auch Falschinformationen aus der Szene heraus Vorschub geleistet.

Es gibt Vorschläge, die einzelnen Verfassungsschutzbehörden abzuschaffen, weil sie teilweise dieselben V-Männer beschäftigen ...

Das ist genau das Problem. Einige V-Leute werden von verschiedenen Diensten geführt. Es ist zu befürchten, dass sie mehr wussten als sie mitgeteilt haben, oder dass die V-Mann-Führer die Hinweise nicht ernst genommen haben. Bei dem eben genannten V-Mann „Tarif“ war es zum Beispiel so, dass der V-Mann-Führer den Hinweisen nicht nachging, um die Quelle nicht auffliegen zu lassen. Hier wurden vollkommen falsche Prioritäten gesetzt.