Vom Eigenheim bis zum Industriebetrieb: Auf 33 Quadratkilometern Stadtfläche ist die Gebäudesubstanz durch steigendes Grundwasser bedroht. Ein IHK-Gutachten listet betroffene Stadtgebiete auf.

Es riecht modrig, an den Kellerwänden zeichnen sich deutlich feuchte Zonen ab, in einigen Bereichen hat sich der Putz abgelöst, schwarze Flecken deuten auf Schimmelbefall hin. Nässe und Feuchtigkeit im Keller sind in Berlin ein Problem, das immer weitere Stadtgebiete erfasst. Ein Gutachten, das die Beratungsgesellschaft KWS Geotechnik und das Ingenieurbüro für Grundwasser (IGB) im Auftrag der Berliner Industrie- und Handelskammer erstellt haben, listet nun erstmals detailliert auf, welche Berliner Stadtgebiete betroffen sind.

200.000 Berliner betroffen

Das Ausmaß ist erschreckend: Im Jahr 2012, so das Ergebnis der Studie, ist eine Bebauungsfläche von bis zu 33 Quadratkilometer potenziell von sogenannten „Vernässungsschäden“ bedroht. Dies entspricht bis zu neun Prozent der gesamten Berliner Bebauungsflächen. „Das ist ein Gebiet, größer als der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg“, verdeutlicht IHK-Sprecher Christian Breitkreutz. In den besonders betroffenen Gebieten leben laut Studie insgesamt knapp 200.000 Berliner.

Die Grundwasserexperten haben zudem genau aufgeschlüsselt, wie viele Einfamilienhäuser, Mehrfamilienhäuser sowie Industrie- und Gewerbebauten und öffentliche Einrichtungen betroffen sind. Demnach sind Gebiete mit Einfamilienhäusern vor allem im Südosten und Nordwesten Berlins auf insgesamt rund zwölf Quadratkilometern betroffen. Die Schwerpunkte liegen in den Bezirken Spandau, Reinickendorf, Pankow, Treptow-Köpenick und Neukölln. Diese Gebiete stellen etwa ein Drittel der in Berlin potenziell betroffenen Bebauungsflächen, auf denen rund 50.000 Menschen leben.

Steigender Pegel bei16 Prozent von Gewerbe und Industrie

Mehrfamilienhäuser seien dagegen auf nur fünf Quadratkilometern von hohem Grundwasser betroffen. „Jedoch treffen die Grundwasserstände hier potenziell eine doppelt so große Einwohnerzahl von fast 122.000 in der Stadt“, so der Diplom-Geologe Manfred Schafhauser (KWS). Die betroffenen Flächen seien weit über die Innenstadtbereiche verteilt. Schwerpunktgebiete liegen in den Ortsteilen Karlshorst und Friedrichsfelde, Friedrichshain, Charlottenburg und Siemensstadt sowie Tiergarten.

Auch Industrie und Gewerbe sind nach den Berechnungen der Geologen potenziell auf knapp zehn Quadratmeter Bebauungsfläche der Stadt von Einschränkungen durch steigende Grundwasserstände betroffen. Besonders entlang der Spree und den Kanälen bedrohen demnach erhöhte Grundwasserstände Unterkellerungen von Unternehmen. Dies entspreche rund 16 Prozent der Gesamtfläche, die für Gewerbe und Industrie insgesamt zur Verfügung stehe.

Doch nicht nur Privateigentum, auch zahlreiche Gebäude in öffentlicher Hand sind vom steigenden Grundwasser auf etwa sechs Quadratkilometer Stadtfläche potenziell von Feuchtigkeitsschäden durch das steigende Grundwasser bedroht. „Dies sind sogar zwölf Prozent der in Berlin zur Verfügung stehenden Flächen“, so Geologe Schafhauser. Bekannte Beispiele wie die Staatsoper Unter den Linden oder das Gebäude des Bundesrats am Leipziger Platz hätten in den vergangenen Jahren durch die millionenschweren Auswirkungen für Aufmerksamkeit gesorgt. Bei historischen Großbauten, wie etwa dem Bundesratsgebäude an der Leipziger Straße beliefen sich die Kosten auf 24,4 Millionen Euro, um das Haus dauerhaft abzudichten.

Halber Meter Anstieg seit 1989

Das Gutachten im Auftrag der IHK zeigt zwischen 1989 und 2012 einen Grundwasseranstieg von mehr als einem halben Meter. Im Jahr 2012 unterschritt der Abstand des Grundwassers zur Geländeoberkante auf einer Fläche von mehr als 20 Prozent des Berliner Urstromtals die kritische Grenze von 2,5 Metern. Berlins Keller seien zwischen zwei und drei Meter tief, so die Experten. Grund für die steigenden Grundwasserstände ist der sinkende Verbrauch bei Industrie und Privathaushalten. „Was als ökologische Errungenschaft gefeiert wird, rächt sich an anderer Stelle“, so IGB-Geologe Stefan Schulze.

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt hatte aufgrund der Problematik 2012 zu einem Runden Tisch Grundwasser geladen, der sich an drei Terminen im Austausch zwischen Politik, Verwaltung und Betroffenen mit Auswirkungen und Handlungsmöglichkeiten befasste. „Eine Verständigung über gemeinsame Lösungsansätze gelang nicht, bedauert IHK-Sprecher Breitkreutz. Auch konnte zwischen Verwaltung, Betroffenen, Verbänden und Kammern kein Konsens über das Ausmaß der Probleme und die Verantwortung von öffentlicher Hand und Privaten hergestellt werden. Der Abschlussbericht sei bis heute nicht veröffentlicht worden.

Grundwasserkonferenz ohne Senat

Um so bedauerlicher, dass kein Vertreter des Senats der Einladung zur ersten Berliner Grundwasserkonferenz im Ludwig Erhard Haus gefolgt war. Dort informierten am Mittwoch die Veranstalter IHK Berlin, der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), der BFW Landesverband Berlin/Brandenburg, Haus & Grund Berlin und der Verband Deutscher Grundstücksnutzer (VDGN) über die Ergebnisse der Studie und präsentierten Lösungsansätze aus anderen Bundesländern.

Denn das fehlende Grundwassermanagement in Berlin sei kein individuelles Problem einzelner Grundstücksbesitzer, so Peter Ohm, Präsident des VDGN. „Nach unserer Auffassung ist es eine Aufgabe der staatlichen Daseinsvorsorge, die Berliner Gebäudesubstanz vor dem ansteigenden Grundwasser zu verteidigen“, so Ohm.