Angebot des Senats

Enttäuschung und Wut bei Flüchtlingen am Oranienplatz

| Lesedauer: 5 Minuten
Laura Réthy und Lorenz Vossen

Foto: Wolfgang Kumm / dpa

Die Lösung von Berlins Integrationssenatorin Kolat hat unter den Flüchtlingen im Protestcamp keineswegs breite Zustimmung gefunden. Sie werfen dem Senat vor, eine Entzweiungspolitik zu betreiben.

Einem der Flüchtlinge, der sich Patrick nennt, reicht es. „Wir sollten dieses Blabla mit den Medien sein lassen“, ruft er. „Was soll das? Es gibt keine Lösung.“ Er verschwindet zwischen den selbst gezimmerten Hütten.

Seit mehr als einer Stunde stehen an diesem Nachmittag Journalisten, Fotografen und Kameraleute in dem Protestcamp auf dem Oranienplatz. Die Flüchtlinge haben ein öffentliches Statement angekündigt, sie sitzen auf Bierbänken, ihnen gegenüber die wartenden Medienvertreter. Am Mittag hatte Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) bekannt gegeben, man habe gemeinsam mit den Flüchtlingen eine Lösung gefunden, wie das Camp friedlich geräumt werden kann.

80 Prozent der Bewohner sollen die Einigung für eine friedliche Räumung unterschrieben haben. Aber diese Menschen sind nicht sichtbar. Mehr noch: Von einer anstehenden Räumung ist keine Spur. Zelte, gezimmerte Hütten, gemalte Plakate – alles steht an seinem Platz, zuvor wurde an einigen Holzhütten sogar noch gearbeitet. Von einer gemeinsamen Lösung, so der Eindruck, hat man hier im Camp offenbar noch nichts gehört.

„Wir werden bleiben“

„Sie hat versprochen, die Probleme der meisten Bewohner des Camps zu lösen“, sagte ein Vertreter des Flüchtlingsrats über die Gespräche mit der Senatorin. In Wahrheit gelte das Angebot aber nur für die sogenannten Lampedusa-Flüchtling - jene, die in Italien Papiere bekommen haben und mit diesen nach Deutschland gekommen sind. Nur ihnen habe Kolat eine Duldung angeboten.

Senatorin Kolat hatte eingeräumt, Flüchtlingen, die über Lampedusa einreisten und bereits in einem anderen Bundesland Asylanträge gestellt hätten, habe sie keine Lösung anbieten können. Laut Senat sei aber mit mehreren Flüchtlingsgruppen ein Papier beschlossen worden. Demnach werden nach dem Abzug vom Oranienplatz Einzelfall-Lösungen für Aufenthaltsgenehmigungen und Asylanträge geprüft. Auch Unterkünfte stellt das Land demnach zur Verfügung. Im Gegenzug organisieren die Flüchtlinge den Abbau ihrer Zelte selbst. Ein Info-Zelt zum politischen Protest soll stehenbleiben. Eine Frist zur Räumung gebe es nicht, die Bewohner sollen nach und nach in neue Unterkünfte umziehen.

>> Einen Kommentar zum Angebot des Senats an die Flüchtlinge lesen Sie HIER. <<

Das klingt nach Ruhe. Aber die Stimmung auf dem Oranienplatz ist in Wahrheit eher hitzig. „Was für eine Duldung soll das sein?“, ruft ein Mann in der Menge. Und tatsächlich: Duldung schützt nicht vor Abschiebung. Sie kann jederzeit aufgehoben werden. Außerdem machen die Lampedusa-Flüchtlinge nur etwa zwanzig Prozent der Camp-Bewohner aus. „Wir werden das nicht akzeptieren“, sagt ein Mann mit Namen Ali. „Wir werden bleiben.“

Mangelhafte Informationspolitik

Viele der Flüchtlinge und Aktivisten hier sind enttäuscht, sie fühlen sich von Dilek Kolat betrogen. Und sie haben Angst, dass die Politik des Senats sie entzweien könnte.

„Wir auf dem O-Platz sind alle eins“, sagt Patrick. Aber wenn man jetzt für einen Teil der Flüchtlinge eine Lösung präsentiere und sich für die anderen nicht zuständig fühle, teile das die Gruppe. „Kolat versucht, die Gruppe zu spalten. Aber das ist doch kein Schachspiel“, sagt ein Flüchtling.

Dieser Vorwurf zeigt aber auch: Informationen fließen nicht geregelt am Oranienplatz. Und immer wieder ist zu vernehmen, dass die Vertreter, die seit Wochen mit Kolat verhandeln, die Ergebnisse nicht in vollem Umfang und an alle weitergeben.

Es wirkt, als habe Kolat dies ausgenutzt. „Sie kann ihre Lösung nicht als Gesamtlösung kommunizieren“, sagt Dirk Stegemann, Linksaktivist und Unterstützer der ersten Stunde. Das Problem, dass die Gruppe der Flüchtlinge sehr heterogen sei, habe die Senatorin nicht berücksichtigt. Und: „Ich rechne mit einer polizeilichen Räumung.“ Von mehr als 400 Unterschriften unter dem Lösungsentwurf war die Rede. Doch im Camp erzählen die Flüchtlinge, diese Liste hätte nichts mit der am Dienstagmittag präsentierten Lösung zu tun. Sie hätten die Liste unterschrieben, weil man ihnen gesagt hätte, für die Einzelfallprüfung brauche man alle Namen.

Runder Tisch am Mittwoch

Was passiert, wenn die Flüchtlinge bleiben, ist offen. Aber erstmals zeigen sich die Politiker verschiedener Parteien einig, dass das Camp nicht weiter bestehen wird. „Der Ball liegt jetzt beim Oranienplatz, die Einigung umzusetzen“, sagte Innensenator Frank Henkel (CDU). Das Angebot verfalle, wenn es nicht angenommen werde, sagte der Regierende Klaus Wowereit (SPD). Auch Kreuzbergs Bürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) kündigte an, der Bezirk werde keine Neubesetzungen dulden. Herrmann empfahl den Flüchtlingen, das Angebot anzunehmen. „Mehr war nicht drin.“

Kurt Wansner (CDU), Abgeordneter für Friedrichshain-Kreuzberg, der das Camp auf dem Oranienplatz von Anfang an kritisiert hatte, droht: „Sollte auch jetzt seitens der Besetzer kein endgültiger Abbau und Auszug umgesetzt werden, bleibt die Räumung zur Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände das letzte Mittel.“

Zuversichtlich ist dagegen Thomas Gleißner, Sprecher der Caritas. Er wertet die vermeintliche Einigung als gutes Signal: „Wir freuen uns, dass es eine friedliche Lösung gibt“, sagte Gleißner der Morgenpost, allerdings gebe es noch viele Fragen bezüglich der zukünftigen Unterbringung und Begleitung der Flüchtlinge. Für Mittwoch haben die Organisationen die verantwortlichen Akteure zum Runden Tisch eingeladen. Bekannt ist, dass die rund 30 Unterkünfte für Flüchtlinge in Berlin schon jetzt überfüllt sind.