Berlins Polizei fasst nahezu alle Mörder. Gerade hat sie zwei Tatverdächtige im Fall eines getöteten 35-Jährigen in Neukölln festgenommen. Für die hohen Aufklärungsquoten gibt es gleich mehrere Gründe.
Tankstellenräuber agieren wie nahezu alle Räuber zumeist maskiert, um unerkannt zu bleiben. Die maskierten Männer, die am Dienstagabend um 21.15 Uhr wie aus dem Nichts kommend das Gelände einer Tankstelle an der Oranienstraße Ecke Lobeckstraße in Kreuzberg stürmten, hegten allerdings keinerlei kriminelle Absichten, ganz im Gegenteil.
Es waren Beamte eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) des Berliner Landeskriminalamts (LKA) angerückt, um zwei mutmaßliche Mörder festzunehmen. Can Ö. und Soner G. hielten sich gerade an der Tankstelle auf, als die Spezialkräfte zugriffen. Die beiden Männer stehen im dringenden Verdacht, an dem Mord vor zwei Wochen auf einem Parkplatz in Neukölln beteiligt gewesen zu sein. Dort wurde ein in seinem Auto sitzender 35-Jähriger getötet.
Am frühen Morgen des 10. Februar gegen drei Uhr verließ Selim Ö. eine Bar an der Braunschweiger Straße und ging zu seinem Wagen. Er hatte kaum im Fahrzeug Platz genommen, als eine oder zwei Personen auftauchten, von denen eine ohne Vorwarnung mehrere Schüsse auf den 35-Jährigen abgab. In Kopf und Oberkörper getroffen, starb Ö. noch am Tatort. Die 2. Mordkommission des LKA übernahm die Ermittlungen, zwei Wochen später gelang ihr mit der Festnahme zweier Tatverdächtiger ein wichtiger Durchbruch.
Noch gilt der Fall nicht als abgeschlossen
Wie die Ermittler auf die Spur der Männer gelangten, dazu schweigt die Polizei. Noch gilt der Fall nicht als abgeschlossen. Fest steht allerdings, dass die Verdächtigen im Visier der Fahnder waren, Haftbefehle waren bereits ausgestellt. „Es riecht sehr nach organisierter Kriminalität“, deutete ein Polizeisprecher am Mittwoch zumindest an, in welche Richtung sich die Ermittlungen bewegen. Ein Racheakt im Milieu gilt als ein möglicher Hintergrund der Tat, eine geplanter Mord im Rahmen von Revierstreitigkeiten in der Szene als ein anderer. Denn auch das Opfer war für die Polizei kein Unbekannter. Gegen ihn wurde bereits in zahlreichen Fällen ermittelt, unter anderem wegen Drogendelikten und Gewalttaten.
Die tödlichen Schüsse auf Selim Ö., die nach Angaben von Ermittlern wie eine Hinrichtung anmuteten, waren im noch jungen Jahr 2014 bereits die fünfte vorsätzliche Tötung. So nennt die Polizei solche Fälle zumindest noch in der Frühphase der Ermittlungen. Denn ob es sich bei einer Tat um Mord oder um Totschlag handelt, ergibt sich erst im Laufe der Ermittlungen, häufig entscheidet das auch erst das Gericht, das über die Tat zu urteilen hat. Unter den Tötungsdelikten in diesem Jahr waren schon spektakuläre Fälle, die für Schlagzeilen und Aufregung in der Bevölkerung sorgten. Der Fall eines Mitte Januar in seiner Weddinger Wohnung erschossenen Imbissbetreibers gehört ebenso dazu wie der mutmaßliche Auftragsmord im Rockermilieu, zu dem es in einem Wettbüro in Wedding kam.
Niedrigster Stand seit zehn Jahren
Allein zwischen dem 9. und 17. Januar 2014 musste die Polizei vier erschossene Männer und eine erstochene Frau registrieren. Und in der vorletzten Woche kam noch der Fall eines Kioskbetreibers hinzu, der in seinem Laden in Steglitz erstochen wurde. Das Jahr 2014 begann brutal und blutig in Berlin. Und das nach einem Vorjahr, in dem die Berliner Polizei die niedrigste Zahl an vorsätzlichen Tötungsdelikten seit mehr als zehn Jahren erlebte. 106 Fälle hatten die Mordkommissionen der Hauptstadt 2013 zu bearbeiten, 39 Mal ging es um Mord, 67 Mal um Totschlag. Gegenüber dem Vorjahr sei dies ein Rückgang um 41 Delikte, teilten Innensenator Frank Henkel (CDU) und Polizeipräsident Klaus Kandt am Montag bei der Vorstellung der Kriminalstatistik nicht ohne Stolz mit.
Allerdings gab es bei der Anzahl der Todesopfer bei diesen Delikten keinen Rückgang. Denn die 106 aufgelisteten Fälle umfassen sowohl vollendete wie versuchte Tötungsdelikte. 2013 starben – wie auch im Jahr zuvor – 43 Menschen durch Tötungsdelikte. Einen Rückgang von knapp 14 Prozent gab es lediglich bei den versuchten Tötungsdelikten.
Bemerkenswert war 2013 wie auch in allen anderen Jahren davor die Aufklärungsquote bei Mord und Totschlag. 95 der 106 Fälle konnten die Ermittler des LKA erfolgreich abschließen, das ergibt eine Aufklärungsquote von 89,6 Prozent. Ein Wert, von dem andere Fachdienststellen nur träumen können. Zudem ist diese Aufklärungsquote seit vielen Jahren konstant, sie lag stets um 90 Prozent. Zweimal allerdings erzielten die Beamten regelrechte Traumquoten. 2008 konnten sie 116 von 121 Tötungsdelikten aufklären (95,9 Prozent), 2006 waren es gar 162 von 167 Taten (97 Prozent).
Für die hohen Aufklärungsquoten gibt es gleich mehrere Gründe. Anders als Kriminalbeamte, die im Bereich der Straßenkriminalität immer Dutzende von Vorgängen auf dem Schreibtisch haben, bearbeiten die sieben jeweils mit bis zu zehn Beamten besetzten Berliner Mordkommissionen zeitgleich zumeist „nur“ zwei, maximal drei Fälle. So können sie sich voll auf jeden einzelnen Vorgang konzentrieren und haben zudem einen ganzen Apparat an Unterstützern wie die Experten der Spurensicherung und der Kriminaltechnik für ihre Aufklärungsarbeit zur Verfügung. Auch die Motivation der Mordermittler ist hoch, nicht zuletzt wegen der ebenfalls hohen Erwartungshaltung der Öffentlichkeit. „Nichts beeinträchtigt das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen mehr als ein unaufgeklärter Mord und ein Täter, der nicht zur Verantwortung gezogen wird“, sagt dazu ein Beamter einer Mordkommission.