Verdammt, jetzt bin ich dran. Ob der Gerichtsvollzieher klingelt, um den Familienschmuck einzukassieren? Überbringt der Briefträger das Einschreiben einer unbarmherzigen Großkanzlei? Natürlich wird meine Bonität bei der Schufa auf Triple Z herabgestuft.
Mein Vergehen: Ich hatte Geld bei der Deutschen Bank. Obgleich sich auf dem Girokonto fünf Jahre lang rein gar nichts bewegte, hat Deutschlands größtes Finanzinstitut ein Plus von 400 ordentlich versteuerten Schweizer Franken in ein Minus von über 70 Euro verwandelt. Ab Mitte Februar rollt unerbittlich die Inkasso-Offensive, drohte der Kundenberater. Leistung, die Leiden schafft.
*
Lässig federt der beleibte Herr in Nadelstreifen durch den edlen Berliner China-Club, hoch überm Hotel Adlon gelegen. Er kommuniziert für die Deutsche Bank. Von hier schaut er herab auf Brandenburger Tor, Reichstag, das ganze Land. Unweigerlich fühlt man sich wie Leo di Caprio, der vom Bug der Titanic brüllte: „Ich bin der König der Welt.“ Derzeit ist diCaprio in „The Wolf of Wall Street“ zu sehen.
Der Nadelstreifen-Mann will bei einem Medienvertreter seine angeschlagenen Vorstandschefs neu positionieren. Goldene Regel für Image-Designer: Zum Warm-up erst mal eine vertrauensbildende Story: Soeben habe er eine Dreiviertelmillion für seine Scheidung hingeblättert, erzählt der Banker, dafür aber jetzt wieder guten Sex, mit seiner frischen Freundin. Hyänenlachen. High Five. Alles im Griff. Verzaubert vom eigenen Esprit ordert der Bankmensch eine im Eichenfass gereifte Spirituose, vermutlich so alt wie die neue Gespielin. Und weg damit. Mag das Ansehen auf Ramschstatus abgestürzt sein, die Selbsthypnose funktioniert einwandfrei: Wo die Deutsche Bank ist, da ist oben.
*
Den Drink aus dem Eichenfass habe ich bezahlt, rein rechnerisch. Seit August 2008 hat mir die Deutsche Bank jeden Monat gut fünf Euro abgenommen, einfach so und wahrscheinlich mehr, als die Energiewende mich je kostete.
Unsere Wirtschaftsbeziehung begann mit 400 Franken, Restgeld von einem windpockenbedingt abgeblasenen Schweiz-Urlaub, die ich der Deutschen Bank übergab. Eine Deutsche-Bank-Verbindung, so dachte ich, der mit Alfred Herrhausen sozialisiert worden bin, schaffe Vertrauen, gerade in Krisenzeiten.
Alle Vierteljahr bekam ich fortan einen Kontoauszug zugeschickt. Auch für null Bewegung waren jedes Mal 15 Euro weg. Mal wurde ich aufgefordert, meine Rentenlücke mit einem Berater zu begutachten, dann kamen unaufgefordert bunte Plastikkarten, deren Design man in der Motivgalerie individuell gestalten konnte. Toll.
Die umgerechnet 240 Euro schmolzen. Kurz vorm Nullstand erste Hinweise auf günstige Kredite. Ab Mitte 2013 ging’s dann ab in die Miesen. „Lös’ das Konto doch einfach auf“, riet die pragmatische Gattin. Niemals. Ich hatte die einmalige Chance persönlich mitzuerleben, wie letzte Fragen des globalen Finanzwesens verhandelt wurden: Wo kommt das Geld her? Wo geht es hin? Und wer ist der Doofe?
Vor vier Wochen kam der erste nicht mehr ganz so freundliche Brief: Die Deutsche Bank kündigte das Kreditlimit und forderte 70 Euro 58 Cent von mir, weil ich dem Institut vor gut fünf Jahren 400 Franken anvertraut hatte. Dabei war ich nicht mal in der Motivgalerie.
*
Früher war die Deutsche Bank mehr als ein Geldhaus, ein nationales Symbol wie Post und Bahn und ADAC. Ein Chef wie Herrhausen galt als intellektuelle Größe und, ja, man traut es sich kaum zu sagen, als Ehrenmann: seriös, verantwortungsvoll, unzynisch.
„The Wolf of Wall Street“ zeigt, wie Banking heute geht. Wenn Finanzjongleure am Telefon mit Kunden reden, müssen sie sich gleichzeitig in die Faust beißen vor Wiehern. Kohle machen, lautet der Kampfruf der Rucksackgesichter. Und Verluste woanders abladen.
Was passiert, wenn Gier und Hochmut und massive Schäden zusammenkommen, erfuhr just ADAC-Chef Peter Meyer. Die eigene Organisation hat ihn entsorgt, aus nacktem Überlebenswillen.
*
Welche Kraft steckt noch im Personal der Deutschen Bank? Zehntausende Mitarbeiter müssen sich für einen Arbeitgeber, der früher mal ihr Stolz war, nun fortwährend entschuldigen. Sie werden mit Victory-V begrüßt oder lustigen Sprüchen wie „Na, wollt ihr euch wieder 25 Prozent Rendite holen?“ Der Kulturwandel ist auch beim Kunden noch nicht richtig angekommen. Darf’s vielleicht noch eine Image-Kampagne sein?
*
Vergangenes Wochenende sickerte die Information durch, die Deutsche Bank wolle den Erben des Medienmoguls Leo Kirch einen Vergleich anbieten. Die Staatsanwaltschaft München sieht es als erwiesen an, dass die Banker den angeschlagenen Kirch-Konzern in die Pleite geredet haben, um danach an der Sanierung zu verdienen. Kommt mir bekannt vor.
Mehrere Banker hätten falsch ausgesagt, vermuten die Ermittler. Und der aktuelle Vorstandsvorsitzende Jürgen Fitschen soll die Kollegen gedeckt haben. Vorwurf: Prozessbetrug in einem besonders schweren Fall. Der Vergleich soll vor allem Fitschen retten. Kostenpunkt: etwa eine Milliarde Euro.
Was hätten die Deutschbanker damals wohl dem angeschlagenen Kirch geraten? Wahrscheinlich: klare Kante, sauberer Schnitt, unbelastetes Management, Schluss mit Lobbyisierungs- und Medienbespaßungszauber, Vertrauen zurückgewinnen.
Fitschen beschwert sich derweil bitterlich, dass weder Medien noch Bürger den „Kulturwandel“ ernst nähmen, den die Bank-Bosse unermüdlich betonen. Wie auch? Ausgerechnet die, die den Abstieg über Jahre tätig begleitet haben, empören sich nun über die untragbaren Zustände damals. Fehlt nur noch die klassische Manager-Klage, dass dieses uneinsichtige Volk von Neidern und Gleichmachern so elitenverdrossen sei.
*
Fitschens Mit-Vorsitzender Anshu Jain war für seinen Arbeitgeber auch nicht billig. Frankfurts bankenergebene Medienkollegen, aber auch Deutschbanker selbst, sprachen einst andächtig von „Anshus Army“, eine Gruppe von Investment-Striezis, die in London richtig Kasse machten, während die Traditionalisten in Deutschland noch Girokonten molken. Vor allem die Londoner stehen im dringenden Verdacht, Zinsen, Wechselkurse, Goldpreis manipuliert zu haben. Die bislang verhängten Strafen aus Brüssel summieren sich auf 2,5 Milliarden Euro.
Jain ist ein Meister der Inszenierung. Als Banker noch mit Zahlenschlosskoffern herumrannten, schwang er lässig einen Rucksack über die Schulter. Ebenso locker will er jetzt seine Vergangenheit hinter sich werfen. „Ich übernehme die volle Verantwortung“, sagte Jain im Januar, als frische Horrorzahlen bekannt wurden. Klänge fast ehrenhaft, wenn der Vorstandsvorsitzende nicht den zweiten Teil des Satzes vergessen hätte.
„Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Ich übernehme die politische Verantwortung für Fahrlässigkeiten im Zusammenhang mit der Agentenaffäre Guillaume und erkläre meinen Rücktritt vom Amt des Bundeskanzlers“ – so schrieb einst Willy Brandt.
Für führende Protestantinnen, Bundespräsidenten, adelige Minister, Kulturbeauftragte und sogar ADAC-Chefs gilt: Fliegt der Mist so tief, dass weder Weg noch Richtung zu sehen sind, reinigt allein der Rücktritt. Die Guten kommen meistens wieder.
*
Es gibt drei Kriterien für die Qualität einer Bank: Kundenfreundlich soll sie sein, ökonomisch erfolgreich und von untadeligen Persönlichkeiten geführt. Schauen wir mal.
Erstens: Kundenfreundlichkeit
Lassen wir mal die pulverisierten 400 Franken beiseite. Peanuts. Die Stiftung Warentest ermittelte, dass der durchschnittliche Überziehungszins für Privatkonten in Deutschland im Schnitt bei 11,3 Prozent liege; bei den besten sind es knapp über 5, bei den gierigsten 14,75 Prozent. Im Mai 2013, als mein Konto fast leer war, bekam ich einen Brief. Die Deutsche Bank freute sich, mir mitteilen zu könne, „den Zinssatz für die vorübergehende Überziehung auf 16,25 Prozent reduzieren“ zu wollen. Too big to be fair? Warum kann jede Dorfsparkasse attraktivere Konditionen bieten?
Zweitens: Wirtschaftlicher Erfolg
Während sich große Geldhäuser in aller Welt berappeln, meldete die Deutsche Bank für das letzte Quartal 2013 ein Minus von 1,2 Milliarden Euro. Bei der Fundamentalperformance brachten es beide Vorstände auf minus 50 Prozent – letzter Platz im Pay-Performance-Ranking aller Dax-Unternehmen, wie Berliner Humboldt-Universität und Manager-Magazin ermittelten. In den Jahren, da die 400 Franken eines Kleinsparers verschwanden, haben sich Jain, Fitschen und Vorgänger Ackermann 40 Millionen Euro eingesteckt. Welcher Kleingartenvorstand dürfte sich eine solche Trümmerbilanz leisten?
Drittens: Untadelige Chefs
Bei so ziemlich jedem Skandal der vergangenen Jahre war die Deutsche Bank beteiligt. Gegen beide Anführer ermittelt die Staatsanwaltschaft. Finanzminister Schäuble weist auf Kreativität im Umgehen mit geltenden Regeln und Gesetzen hin. Das BaFin will den Devisenhandel mit einer Sonderprüfung untersuchen und kritisiert Vorstand und Aufsichtsrat, die Libor-Affäre nicht angemessen aufgearbeitet zu haben.
Let’s face it, wie der Investmentbanker sagt: Drei Erfolgskriterien kalt gerissen. Und zugleich sieht das ganze Land zu, wie im Frankfurter Turm Laientheater gespielt wird, mit zwei bedingt handlungsfähigen Marionetten, deren Gezappel eine ganze Branche in Misskredit bringt. Längst diktieren Juristen und Spindoktoren die Geschicke des Hauses. Kann es sein, dass die beiden Kapitäne, die sich an die Reling eines lecken Flagschiffs krallen, einen gehörigen Beitrag leisten, dass 70 Prozent der Deutschen der ganzen Branche nicht mehr trauen, wie Allensbach ermittelte? Wie peinlich ist es da, wenn auf Kulturwandelworkshops mit Townhall-Flair Werteflusen auf Flipcharts wehen.
„So etwas wie die Unternehmenskultur kann man nicht über Nacht ändern“, barmte Jain vor Analysten. Doch, kann man. Wenn sich diejenigen verabschieden, die den Laden in die Lächerlichkeitsfalle manövriert haben.
*
Jordan Belfort, der Mann, der für „Der Wolf der Wall Street“ als Vorlage diente, ist inzwischen raus aus dem Knast und arbeitet als „Verkaufstrainer Nummer eins“, angeblich für 30.000 Dollar pro Auftritt. Belfort rühmt sich, auch international renommierte Unternehmen zu beraten, darunter, natürlich, die Deutsche Bank.
*
So, jetzt mal langsam Kaffee kochen, der Gerichtsvollzieher kann ja jeden Moment klingeln. Dann die Zahnbürste einpacken, den Kindern ein Foto hinstellen und der Gattin eine Vollmacht ausstellen. Vielleicht will sie das Konto ja eines Tages doch kündigen.