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Neuberliner aus Portugal hat die Hauptstadt fest im Blog

| Lesedauer: 6 Minuten
Constanze Nauhaus

Foto: Massimo Rodari

Der Portugiese Nelson Carvalheiro folgte der Liebe und schreibt erfolgreich ein Internet-Tagebuch über die Stadt. 15.000 Besucher hat sein Blog im Monat. Am liebsten schreibt er dabei über das Essen.

Dass Berlin das gefühlt beliebteste Touristenziel der Welt ist, bekommen die Berliner tagtäglich am eigenen Leib zu spüren. Doch ein zentrales Erkennungsmerkmal lassen Berlinbesucher zunehmend vermissen: den guten, alten Reiseführer. Unsanft wurde er vom Thron gestoßen, von flachen, schwarzen Minicomputern, auf denen wild herumgewischt wird. In diesen aber liegt die Antwort auf eine Frage, die sich mancher Berliner beim Kaffee in seinem abgelegenen Stammcafé immer häufiger stellt: Wer nur hat dem Touristenpärchen am Nebentisch diesen Ort empfohlen?

Bloggen vor allem für Touristen

Leute wie Nelson Carvalheiro zum Beispiel. Der gebürtige Portugiese schreibt einen Reiseblog, eine Art digitalen, kostenlosen Reiseführer. Nicht den ersten seiner Art. Allein für Berlin gibt es zahlreiche: Abandonedberlin.de etwa, wo der irische Blogger Spudnik Ò Fathaigh, der nach eigener Aussage jedes „Betreten verboten“-Schild ignoriert, von seinen abenteuerlichen Ausflügen zu vergessenen Orten wie der alten irakischen Botschaft oder dem Ballhaus Grünau berichtet. Oder mitvergnuegen.com, dessen Autoren ihr Anliegen so zusammenfassen: „Wir empfehlen täglich ein Vergnügen für Berlin, das Euch von der Arbeit abhalten soll.“

Nelson Carvalheiro bloggt vor allem für Touristen. Erst im Dezember ist er bei der Reisemesse FITUR in Madrid zum europäischen Reiseblogger des Jahres gekürt worden. „Mein Blog ist auf drei Dinge fokussiert: Menschen, Reisen und Essen. Vor allem Essen, denn ich denke eigentlich ständig an Essen“, sagt er und lacht. „Meine Freundin ist manchmal direkt eifersüchtig.“

Der 32-Jährige lernte sie vor einem Jahr in Lissabon kennen. Jasmin Schott war Gast im teuersten Hotel der Stadt – für eine Nacht, und zwar im billigsten Zimmer, betone sie immer. Carvalheiro betreute damals als Manager des kleinen, feinen Hauses eine Klientel, die er später zur Zielgruppe seines Reiseblogs erklärte. Internationale Gäste, gut betucht zwar, aber bemüht, das „authentische“ Leben kennenzulernen, abseits der unpersönlichen Luxushotels. Jeden Gast betreute er persönlich, betont Carvalheiro.

Leben abseits der klassischen Sehenswürdigkeiten

Von Schauspieler Jeremy Irons oder der Musikband Radiohead hat er noch die Email-Adressen. Viele internationale Freundschaften habe er dort geschlossen, die ihn in alle Ecken der Welt brachten. Paris, Cinqueterre, Kalifornien. „Da habe ich gemerkt, dass man einen Ort nur richtig kennenlernen kann, wenn man die Menschen dort kennenlernt“, erzählt Carvalheiro. „Das Ziel meines Blogs ist es, den Menschen das Leben an einem Ort wirklich nahezubringen, abseits der klassischen Sehenswürdigkeiten und Shoppingcenter.“

Sein englischsprachiger Blog, der mittlerweile auf etwa 15.000 Besucher im Monat kommt, ging im Februar 2013 online. Carvalheiro lieferte zunächst Insidertipps aus erster Hand über Lissabon und andere Orte, die er bereiste. Was als Hobby anfing, wollte er bald professionalisieren. So absolvierte er im vergangenen Sommer einen Kurs in Reiseliteratur und -fotografie in London und beschloss im August 2013, seine Zelte in Lissabon abzubrechen und zu seiner Freundin nach Berlin zu ziehen. Seit November bloggt er nun über die Stadt, die er nie mehr verlassen will. „In Berlin gibt es eine Subkultur, wie sie kaum eine weitere Stadt noch hat“, schwärmt Carvalheiro. „Paris und London sind mehr Metropole, aber in Berlin hat man dieses individuelle Lebensgefühl und ist trotzdem in einer europäischen Hauptstadt. Ich will definitiv für immer hier leben!“

Sein erster Berlin-Eintrag ist eine Sammlung großartiger Bilder. „Ich bin einfach losgezogen und habe alles fotografiert, was mir gefiel.“ Versehen mit kurzen Texten, schürt diese Sammlung für jeden Berlintourist in spe sicher Vorfreude. Um Weihnachten veröffentlichte er auf seinem Blog einen „Australian’s guide to the Christmas Markets in Berlin“, einen Weihnachtsmarktführer für Australier.

Australier im Schneefieber

„In meinem Deutschkurs sind etwa die Hälfte der Teilnehmer Australier“, erklärt Carvalheiro, der die Frage nach seinen Deutschkenntnissen mit einem charmanten „I’m learning“ abhakt. Vor allem aus Sydney zögen so viele junge Leute in die Stadt, er habe gar nicht gewusst, wie angesagt Berlin in Down Under ist. „Von denen habe ich erfahren, wie ihre Weihnachtsmärkte so aussehen.

Bei 40 Grad im Schatten trinken sie Bier statt Glühwein und besingen die künstlichen Schneeflocken aus Styropor mit winterlichen Weihnachtsliedern.“ So sah er es als Aufgabe, seine neuen Freunde in die Welt der wirklich winterlichen Weihnachtsmärkte zu entführen.

„Ein Berlintourist sollte sich auf jeden Fall eine Unterkunft in Kreuzberg oder Neukölln suchen, am besten ein Privatzimmer in einer Wohnung“, rät der Reiseexperte. „Im Prenzlauer Berg mit all seinen Kleinfamilien und feinen Konditoreien stellt sich, zumindest für europäische Großstädter, nicht wirklich dieser überwältigende Kulturschock ein. Diesen Mix aus verschiedenen Nationen, diesen kreativen, rebellischen Kreuzköllner Charme – den gibt es da nicht.“

„Pankow ist schon ganz schön spießig“

Dass ebendiese Bezirke ihre Underdog-Mentalität schon längst verloren haben, weiß er natürlich. „Welche Bezirke als nächstes hip werden?“, überlegt er laut. „Wedding vielleicht, oder Pankow. Aber Pankow ist schon ganz schön spießig.“

Sein nächstes Projekt handelt, natürlich, vom Essen. Berlin sei für ihn das Paradies des Street Food. Berliner äßen gern auf der Straße. „An jeder Ecke kann man zu jeder Stunde essen, dazu werde ich meinen nächsten Beitrag schreiben. Die Leute müssen doch erfahren, dass man am Görlitzer Park um 2 Uhr morgens ein gebratenes Hähnchen bekommt.“

Für die meisten Berliner wird Carvalheiros Blog keine Fundgrube für nie zuvor Erlebtes sein, aber Berliner sind ja auch nicht seine Zielgruppe. Dafür hinterlassen seine Texte und Bilder aber ein unbezahlbares Gefühl: die befriedigende Bestätigung, in der schönsten Stadt der Welt zu leben.