Prozess in London

Wie JP Morgan 157 Millionen von der BVG erstreiten will

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Andreas Abel

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Um neue Züge zu finanzieren, ließ sich die BVG auf hochspekulative Derivate ein. Das Geschäft floppte. Nun fordert JP Morgan Millionen – doch die BVG wirft der Bank vor, sie getäuscht zu haben.

Die Investmentbank JP Morgan prozessiert in London gegen die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Es geht um 157 Millionen Euro, die die Bank als Ausgleich für Verluste bei einem riskanten Finanzgeschäft von der BVG fordert. Die BVG ist aber nicht nur Beklagter, sondern auch Klägerin. Das Gericht verhandelt ebenso die Ansprüche der BVG gegen die Anwaltskanzlei Clifford Chance.

Die Schriftsätze der streitenden Parteien, die am Montag zuerst von der Tageszeitung „taz“ veröffentlicht wurden, haben nun brisante Details zutage gefördert. Zum einen erklärt die BVG, ihre Verantwortlichen hätten die wesentlichen Aspekte des Geschäfts im Jahr 2007 nicht verstanden und nicht gewusst, was sie tatsächlich unterschreiben. Zum anderen gab es damals offenbar enge Verbindungen zwischen der international tätigen Rechtsanwaltskanzlei Clifford Chance und JP Morgan. Die Kanzlei gab in dem Deal auch eine rechtliche Stellungnahme für die BVG ab. Sie ist nun dritter Beteiligter in dem Rechtsstreit: Anwälte der BVG wollen den deutschen Ableger von Clifford Chance nun in Haftung nehmen.

Mit Hilfe sogenannter Cross-Border-Leasing-Geschäfte hatten die Verkehrsbetriebe von 1997 bis 2002 neue Straßenbahnen und U-Bahn-Züge finanziert. Sie verkauften diese an US-Investoren und mieteten sie zurück. Um die Risiken aus diesem Geschäft zu reduzieren, ließ sich die BVG auf eine riskante Transaktion mit hochspekulativen Papieren ein: Im Juli 2007 übernahm sie von JP Morgan ein sogenanntes CDO-Paket (Collateralized Debt Obligation), also Kreditderivate, mit einem Volumen von 157 Millionen Euro. Damit wollte sie einen Gewinn von 5,6 Millionen Euro erzielen, außerdem eine Kreditversicherung für neue Risiken aus den Leasinggeschäften von 1,3 Millionen Euro begleichen.

BVG kaufte Kreditderivate weltbekannter Pleitefälle

Doch die internationale Finanzkrise ließ die Träume wenig später platzen. In dem Paket waren auch Kreditderivate weltbekannter Pleitefälle: die nur vom US-Staat geretteten Immobilienfinanzierer Freddie Mac und Fannie Mae, die bankrotte Investmentbank Lehmann Brothers sowie drei isländische Geldhäuser. Nun forderte JP Morgan einen Ausgleich von der BVG für die entstandenen Ausfälle und verklagte die Verkehrsbetriebe auf Auszahlung des hohen Millionenbetrags. Die BVG bestreitet die Berechtigung dieser Forderungen. Sie sei damals nicht ausreichend zu den Risiken aufgeklärt worden.

Die BVG argumentiert nun in London, sie habe wesentliche Aspekte des CDO-Geschäfts nicht verstanden. Das gelte insbesondere für den Mitarbeiter, der für das Geschäft zuständig war. Außerdem, so die Verkehrsbetriebe, sei das Geschäft nichtig, weil es gänzlich unangemessen für ein öffentliches Verkehrsunternehmen sei. Per Gesetz könne es deshalb nur Geschäfte in einem bestimmten Rahmen tätigen, wozu nicht der Verkauf von Kreditsicherheiten gehöre. Das geht aus dem Schriftsatz der BVG hervor.

BVG will Geschäft mit JP Morgan nicht verstanden haben

Der Vorwurf der BVG an JP Morgan lautet nun im Wesentlichen: Der Investmentbank sei klar gewesen, dass die BVG keinerlei Erfahrung mit solchen Finanztransaktionen, zudem „fundamentale Aspekte“ des konkreten Geschäfts nicht verstanden habe. Insbesondere habe der auf BVG-Seite Verantwortliche das „Verlustprofil“ komplett missverstanden, also den Punkt, unter welchen Umständen die BVG wie viel an JP Morgan zahlen müsse. Offenbar war dieser Mitarbeiter, der heute nicht mehr bei der BVG beschäftigt ist, der Überzeugung, alle 150 in dem Kreditderivatepaket vertretenen Unternehmen müssten pleite gehen, damit die BVG einen Totalverlust erleidet. In Wahrheit reichten schon einige wenige. Das alles, so die BVG, hätte JP Morgan ihr klar sagen müssen, sie habe ihre Beratungspflicht verletzt.

Die Investmentbank weist das zurück. JP Morgan habe gegenüber der BVG keine spezielle Fürsorgepflicht, schreibt sie wiederum in ihrem Schriftsatz. Für eine weitere Stellungnahme war die Bank in Frankfurt am Main am Montag bis Redaktionsschluss nicht zu erreichen.

BVG-Vorstand hat Risiken nicht erkannt

Aber nicht nur der für das Geschäft zuständige Mitarbeiter der BVG erkannte die Risiken der Transaktion nicht, Vorstand und Aufsichtsrat der BVG ging es offenbar auch nicht anders. JP Morgan schreibt in seinem Schriftsatz nach Ansicht des Videobandes der entscheidenden Aufsichtsratssitzung: Der damalige BVG-Vorstandsvorsitzende Andreas Sturmowski habe das Geschäft unzusammenhängend dargestellt. Es sei klar geworden, dass Sturmowski und der Aufsichtsratsvorsitzende Thilo Sarrazin (SPD) es nicht verstanden hätten, so die Auffassung der Investmentbank.

Verständlich, dass sich die BVG beraten lassen wollte. Zunächst wandte sie sich an die Kanzlei Freshfields. Doch die wäre zu teuer gewesen. Nun kam, unter Mitwirkung von JP Morgan, Clifford Chance, ins Spiel. Die BVG argumentiert, die Kanzlei habe in Wahrheit für JP Morgan gearbeitet und dieses den Verkehrsbetrieben gegenüber verschleiert.

Clifford Chance sieht sich von BVG zu Unrecht verklagt

Die Sozietät Clifford Chance weist das zurück. Zu der rechtlichen Stellungnahme für die BVG erklärt sie: „BVG war nie unser Mandant. Wir gaben auf Bitten unserer langjährigen Mandantin JP Morgan eine Legal Opinion für einen Dritten ab. BVG wusste dies und war damit einverstanden.“ Die BVG sei nur der Kunde von JP Morgan gewesen. Die Legal Opinion habe „weiterhin ausdrücklich klargestellt, dass sie nur bestimmte Fragen behandeln würde und andere nicht. Auch dies wurde von BVG verstanden und akzeptiert. Wir sind der Auffassung, dass uns BVG in London zu Unrecht verklagt hat.“

Die BVG beharrt darauf, sie sei Kunde der Kanzlei gewesen und habe 45.000 Euro für eine Beratung bezahlt. Die Kanzlei habe die Transaktion als marktüblich, die möglichen Verluste als plausibel berechnet dargestellt. Beim Prozess in London sind 40 Verhandlungstage angesetzt, ein Urteil wird vermutlich erst im Sommer gefällt werden.