Der Mord an Anwalt und Steuerberater Ingo W. aus dem bürgerlichen Westend hat die Berliner mehr bewegt als jedes andere Kapitalverbrechen im vergangenen Jahr. Es war ein Familiendrama in besseren Kreisen, verbunden mit einer scheinbar eiskalt durchgeführten Exekution des Opfers. Besonders der Umstand, dass mit Beginn der Ermittlungen sowohl beide Söhne des Opfers als auch die Witwe unter Tatverdacht standen, hat für Aufsehen gesorgt. Am Freitag hat die Staatsanwaltschaft nun verkündet, dass gegen den jüngeren der zwei Söhne des Opfers, Manuel L. (Name geändert), 17, Anklage wegen heimtückischen Mordes erhoben wurde.
Zehn Pistolenschüsse hatte der Täter am 12. August in den Räumen der Kanzlei auf Ingo W. abgefeuert. Vier Projektile trafen den 49-Jährigen, drei in den Oberkörper und eines in den Kopf. Drei Angestellte des Steuerberaters waren zu diesem Zeitpunkt in der Kanzlei anwesend. Die Mitarbeiter, die nicht im gleichen Raum wie ihr Chef gearbeitet hatten, sagten aus, sie hätten einen jungen Mann mit einem Kapuzenpullover wahrgenommen. Ingo W. starb nur kurz nach seiner Einlieferung ins DRK-Klinikum an den Folgen der schweren Schussverletzungen.
Der Beschuldigte schweigt
Die Privatwohnung des Steuerberaters wurde wenige Stunden nach dem tödlichen Anschlag gestürmt, die damals 16 und 18 Jahre alten Söhne, Manuel und Tim (Namen geändert), als Tatverdächtige festgenommen. Die Ehefrau des Opfers und Mitbesitzerin der Kanzlei hatte sich zur Tatzeit nicht in Westend aufgehalten.
Die Staatsanwaltschaft musste die Söhne jedoch bald wieder auf freien Fuß setzen. Die Ergebnisse der Ermittlungen und die Spurenlage hatten damals nicht ausgereicht, um einen Haftbefehl erwirken zu können. Dieser wurde erst zehn Wochen nach dem Familiendrama vollstreckt. Beamte eines mobilen Einsatzkommandos hatten den jüngeren Sohn Manuel observiert und nahmen ihn am späten Vormittag des 22. Oktober 2013 fest.
Offenbar hatten die Fahnder diesen Moment bewusst abgewartet, um der Mutter den Anblick der Festnahme zu ersparen. Die Festnahme von Manuel L. wurde seinerzeit mit neuen Zeugenaussagen und neuen Indizien begründet. Diese Ermittlungsergebnisse hätten den dringenden Tatverdacht erhärtet, hieß es seitens der Staatsanwaltschaft. Seither befindet sich Manuel L. in Untersuchungshaft – und schweigt beharrlich. „Der Angeschuldigte hat sich zum Tatvorwurf bislang nicht eingelassen“, bestätigte Martin Steltner, Sprecher der Staatsanwaltschaft, auf Anfrage der Berliner Morgenpost am Freitag. Ein Haftprüfungstermin vor Weihnachten verlief nicht zugunsten des inzwischen 17-Jährigen. Auch das Gesuch des Teenagers, in der Untersuchungshaft Cello spielen zu dürfen, wurde zwischenzeitlich von den Berliner Justizbehörden abgelehnt.
Der Jugendliche musste nach seiner Festnahme auf richterlichen Beschluss eine DNA-Probe abgeben, was er zuvor abgelehnt hatte. Auch seine Mutter, die erst wenige Tage vor der Festnahme ihres jüngsten Sohnes auch in den Kreis der Tatverdächtigen gerückt war, hatte sich der Prozedur unterziehen müssen. Nach der ersten Festnahme hatten die Ermittler gehofft, einen der Jungen durch Anhaftungen von sogenannten Schmauchspuren, die beim Abfeuern einer Schusswaffe freigesetzt werden, überführen zu können. Zwar sollen entsprechende Partikel durch Kriminaltechniker gesichert worden sein, jedoch waren sie gering und reichten nicht aus, um einem der Verdächtigen die Tat eindeutig nachzuweisen. Die Tatwaffe, eine Neun-Millimeter-Pistole, konnte bis zum heutigen Tag nicht gefunden werden.
In Ermittlerkreisen war man von Anfang an davon ausgegangen, dass wahrscheinlich einer der beiden Söhne Ingo W. erschossen haben könnte. Das Tatmotiv für den Mord sollen heftige Familienstreitigkeiten gewesen sein. Ingo W. und seine Frau lebten bereits mehr als ein Jahr vor den tödlichen Schüssen getrennt. Heiligabend 2011 sei Ingo W. aus der gemeinsamen Wohnung in Westend ausgezogen. Ingo W. hatte sich häufig in die Gartenlaube der Familie zurückgezogen. Noch wenige Wochen vor seiner Ermordung hatte er eine neue Wohnung gefunden. Auch eine neue Freundin soll der Steuerberater gehabt haben.
Tim L., der ältere Sohn des Opfers, hatte vor der Familientragödie sein Abitur ablegt. Sein Bruder besuchte zur Tatzeit noch das Gymnasium. Staatsanwaltschafts-Sprecher Martin Steltner betont, dass sowohl gegen die Witwe als auch gegen ihren Sohn Tim weiterhin gesonderte Ermittlungen wegen des Verdachts liefen, an der Tat beteiligt gewesen zu sein.