Die Limbach-Kommission berät am Mittwoch über das größte bisher gestellte Restitutionsbegehren. Doch gerade der Ankauf dieser mittelalterlichen Kleinodien 1935 lief, wie die Akten beweisen, sauber ab.

Wer hart verhandelt, braucht starke Nerven – und gute Informationen. Saemy Rosenberg hat beides. Er will den maximalen Preis herausholen für den Schatz, den er anbieten kann. Es geht um 42 religiöse Kleinodien aus dem Mittelalter, den Welfenschatz. Es ist das größte Kunstgeschäft der 30er-Jahre, und Rosenberg ist Verhandlungsführer der Verkäufer. Und er ist geschickt. Der Kunsthändler weigert sich 1934/35 über Monate, eine Summe zu nennen. Stattdessen versucht er, seine Gesprächspartner zu einem verbindlichen Angebot zu drängen.

Januar 2014. Fast 80 Jahre später stehen Rosenbergs Verhandlungen im Mittelpunkt eines heftigen Streits. Mehrere Anwälte verlangen im Namen von Nachkommen Rosenbergs und anderer von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz die Herausgabe des Schatzes, der jahrelang im Kunstgewerbemuseum in Berlin gezeigt wurde. Als einzigartiges Konvolut ist er im Prinzip unschätzbar wertvoll, auf dem Kunstmarkt dürften sich aber Interessenten finden, die insgesamt bis zu 400 Millionen Euro bezahlen würden.

Am Mittwoch befasst sich die Limbach-Kommission mit dem Fall, die die Bundesregierung als Schiedsgericht in Restitutionsfragen eingesetzt hat. Zu ihren Mitglieder gehören, neben Jutta Limbach, ehemaliger Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes, auch Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker und der Historiker Reinhard Rürup. Sie stehen vor einer schwierigen Entscheidung. Auf den ersten Blick scheinen die Anwälte alle Argumente auf ihrer Seite zu haben. Doch in den Akten, die sich erhalten haben, zeigt sich: Ausgerechnet dieses Geschäft zwischen einem jüdisch-deutschen Konsortium und den Nazi-Behörden lief sauber ab.

Frühjahr 1935. Der 41-jährige Rosenberg weiß, mit wem er verhandelt – obwohl der Kaufinteressent zur Verschleierung seiner Identität gleich zwei Unterhändler eingesetzt hat. Die Dresdner Bank soll als Treuhänder das Geschäft abwickeln, genauer gesagt ihr Vorstandsmitglied Samuel Ritscher. Und die Bank hat den Berliner Kunsthändler Alfons Heilbronner beauftragt, mit Rosenberg zu verhandeln. Rosenberg hat von seinem Bruder Jakob, der als Kustos des Berliner Kupferstichkabinetts im Neuen Museum arbeitet, erfahren, dass der Staat der Interessent ist: In den Häusern auf der Museumsinsel ist es Flurgespräch, dass Preußens Finanzministerium Expertisen zum Welfenschatz angefordert hat.

Goldene Kreuze im Tresor

In Nazi-Deutschland sind zu dieser Zeit die meisten jüdischen Beamten zwangsweise entlassen worden. Für jüdische Ärzte und Anwälte gilt faktisch ein Berufsverbot. Trotzdem verhandelt im Frühjahr 1935 ein mit Sondergenehmigung weiter amtierender jüdischer Bankvorstand über einen jüdischen Kunsthändler mit dessen jüdischem Kollegen über einen in den Augen der NSDAP „völkisch“ bedeutsamen Kunstschatz. Die goldenen Kreuze, Reliquiare und Tragaltäre, teils 900 Jahre alt, liegen in Sicherheit in einem ausländischen Tresor, außerhalb des Zugriffs der deutschen Behörden. Monatelang korrespondieren Rosenberg und Heilbronner, um einen für beide Seiten akzeptablen Preis zu finden.

Das ist nicht einfach. Für den gesamten Bestand von 82 Stücken hatte das Konsortium aus mindestens acht Partnern 7,5 Millionen Reichsmark (RM) an die klamme Verwaltung der Welfen gezahlt. Von der Kaufkraft entspricht das heute einer Summe von 150 Millionen Euro. Doch es war eine Fehlinvestition, wie sich bald herausstellte. Denn im Oktober 1929 platzte an der Wall Street die Blase auf dem Aktienmarkt, und eine schwere Wirtschaftskrise erfasste die Welt. Keine gute Zeit, um Kunstwerke mit Gewinn zu verkaufen.

Und allein darum ging es: Laut Kaufvertrag waren die Konsortiumsmitglieder „nicht berechtigt, die gekauften Gegenstände ganz oder teilweise selber zu behalten, sondern vielmehr verpflichtet, sich in jeder Weise um einen Verkauf zu bemühen“. Das Welfenhaus hatte faktisch nur das Verkaufsrisiko an das Konsortium abgetreten, zu günstigen Bedingungen: An jedem Verkaufserlös über 7,5 Millionen RM hinaus sollte die Adelsverwaltung beteiligt werden, mit einem Drittel für die ersten anderthalb Millionen und immerhin mit einem Viertel an höheren Gewinnen. Zuzüglich Zinsen.

Auktion in den USA verlief insgesamt unbefriedigend

Der „schwarze Freitag“ in New York aber machte den Investoren einen Strich durch die Rechnung. Auf den Verkaufsausstellungen, die Rosenberg sowie seine Kollegen Zacharias Hackenbroch und Julius Goldschmidt 1930/31 in den USA organisierten, konnten nur 40 – meist kleinere – Stücke abgesetzt werden. Zwar über dem Einkaufspreis, aber insgesamt unbefriedigend. In Deutschland konnte die Regierung es nicht wagen, ein millionenschweres Angebot für Kunst zu machen, während Menschen wegen Massenarbeitslosigkeit Hunger litten. Deshalb wurden die verbliebenen 42 Stücke des Schatzes erst einmal eingelagert.

Erst die Erholung Deutschlands im zweiten Halbjahr 1933, beschleunigt durch das rücksichtslose Vorgehen der NSDAP, brachte wieder Bewegung in die Sache. Denn mit neuem Selbstbewusstsein drängten mehrere Kunstexperten und auch Kommunalbeamte wie der deutschnationale Oberbürgermeister von Hannover, Arthur Menge, die Regierung dazu, den Welfenschatz zu kaufen. Doch Adolf Hitler ließ solche Vorschläge kühl bescheiden: „Leider“ sei es nicht möglich, Mittel der Reichskanzlei zur Verfügung zu stellen. Zuständig seien das Innen-, das Wissenschafts- und das Propagandaministerium, möglicherweise auch das Land Preußen. Dessen Finanzminister Johannes Popitz übernahm schließlich die Koordination.

Um überhaupt ins Gespräch zu kommen, lässt das Konsortium Ende 1933 durchsickern, man könne „unter den Ankaufspreis heruntergehen“, sofern „ernsthaft an den Ankauf gedacht würde“. Es ist klar, dass es keinen anderen Interessenten gibt als die deutschen Behörden. Rosenbergs Mitstreiter Hackenbroch, ein erfahrener Verhandler, versichert einem Bekannten im Frankfurter Kunstgewerbemuseum, „dass die Besitzer auch im Preis jederzeit entgegenkommen werden“.

„Angebot zum Preise von fünf Millionen Reichsmark“

Das ist der Köder, und die andere Seite beißt zu: Popitz beauftragt die Dresdner Bank, in Kontakt mit dem Konsortium zu treten. Die perfekte Besetzung dafür ist Samuel Ritscher, bis Mitte 1933 der starke Mann des Instituts. Obwohl jüdischen Glaubens, amtiert er als „geschützter Nichtarier“ weiter im Vorstand und repräsentiert die Bank in zahlreichen Aufsichtsräten. Es beginnt ein zähes Tauziehen. Verhandlungsführer des Konsortiums ist Rosenberg, der schon 1934 seine Kunsthandlung nach Amsterdam verlegt hat, mit einer Filiale in London.

In den konkreten Gesprächen bleibt er hart: Er fordert wieder und wieder ein Angebot der Kaufinteressenten. Der einzige Preis, den er nennen könne, seien sieben Millionen Reichsmark für die restlichen 42 Stücke des Schatzes – eine viel zu hohe Summe, wie allen Beteiligten klar ist. Über Monate hinweg gibt es keine Annäherung, dann zeichnet sich ein Entgegenkommen ab: „Schließlich konnte ich erreichen, ein Angebot auf einer niedrigeren Basis als der erwähnten herauszuholen“, schreibt Heilbronner am 8. April 1935 an Ritscher, „da ich Herrn Rosenberg überzeugen konnte, dass es sich hier um eine in absehbarer Zeit voraussichtlich nicht wiederkehrende Chance handele.“ Rosenberg habe in diesem Sinne auf die Konsorten eingewirkt und mitgeteilt, „dass er nunmehr in der Lage sei, mir ein Angebot zum Preise von fünf Millionen Reichsmark zu machen“.

Das ist den Käufern immer noch zu viel. Preußens Finanzminister Popitz hat die Dresdner Bank angewiesen, über vier Millionen Reichsmark nicht hinauszugehen. Also gibt Heilbronner ein Gegengebot von 3,7 Millionen RM ab, das Rosenberg als zu niedrig ablehnt. Das Minimum seien 4,35 Millionen RM „netto Kasse“; er setzt eine Frist von gerade zehn Tagen.

Reichsmark ist nicht frei konvertierbar

Nach weiterem Hin und Her autorisiert Popitz eine konkrete Summe: 4,1 Millionen RM soll die Dresdner Bank bieten, nicht „netto Kasse“, sondern inklusive der Vermittlungsprovision für Heilbronner von 100.000 RM. Rosenberg geht auf dieses Angebot ein; er hat erreicht, was er wollte: Innerhalb von vier Wochen steht der Kaufvertrag. Als Preis vereinbart werden dann schließlich 4,25 Millionen RM inklusive der Provision.

Davon sollen 3.371.875 RM an Hackenbroch überwiesen werden; für weitere 778.125 RM kann sich Rosenberg in den Berliner Staatlichen Museen Kunstwerke aussuchen, die er für mindestens zwei außerhalb Deutschlands lebende Anteilseigner im Ausland verkaufen darf. Denn die Reichsmark ist nicht frei konvertierbar, und über genügend Devisen für den Gegenwert von 18,75 Prozent der Anteile verfügt das Land Preußen nicht. Am 14. Juni 1935 wird unterschrieben, der Welfenschatz ist rechtskräftig verkauft.

Dezember 1998. Bei einer Konferenz in Washington verpflichtet sich die Bundesrepublik Deutschland, Kunstwerke zurückzugeben, die von den Nationalsozialisten ihren rechtmäßigen jüdischen Besitzern geraubt oder unter Druck zu unangemessen niedrigen Preisen angekauft worden sind. Die „Washingtoner Prinzipien“ binden nur öffentliche Kunstsammlungen, vor allem also die staatlichen Museen; für einen Privatbestand wie den „Schwabinger Kunstfund“ von Cornelius Gurlitt gelten sie nicht.

Museen müssen sauberen Erwerb nachweisen

Der Staat aber unterwirft sich, etwas vereinfacht ausgedrückt, einer Umkehr der Beweislast: Für alle Kunstwerke, die zwischen 1933 und 1945 jüdischen Eigentümern gehört haben und jetzt in Museen sind, muss auf Antrag von Nachkommen der ehemaligen Eigentümer nachgewiesen werden, dass der Erwerb sauber war. Dafür sehen die „Prinzipien“ drei scheinbar eindeutige Kriterien vor: War der Kaufpreis angemessen? Haben die Verkäufer den Erlös erhalten? Und konnten sie darüber frei verfügen?

Januar 2014. Stapelweise liegen der Limbach-Kommission Akten rund um das Welfenschatz-Geschäft vor. Sie stammen aus verschiedenen Beständen, aus dem Historischen Archiv der Dresdner Bank, dem Geheimen Preußischen Staatsarchiv, dem Stadtarchiv Hannover und dem Bundesarchiv. Doch auf die vermeintlich einfachen Fragen gibt es keine ebenso klaren Antworten.

War der Kaufpreis angemessen? Jedenfalls liegt die Kaufsumme, die Rosenberg akzeptierte, nicht allzu weit von dem Preis entfernt, den die drei Kunsthändler nachweislich verlangt hatten: 4,35 Millionen RM „netto Kasse“ hatte Rosenberg am 26. April angeboten, vereinbart wurden schließlich 4,25 Millionen RM inklusive der Vermittlungsprovision von 100.000 Reichsmark, also netto 4,15 Millionen RM, ein Abschlag von gerade einmal knapp 4,6 Prozent. Das spricht nicht dafür, dass hier unter Druck ein zu niedriger Preis vereinbart worden wäre.

Anwälte finden gezahlten Preis zu niedrig

Haben die Verkäufer den Erlös erhalten? Es sind keine Kassenbücher erhalten, wohl aber Zahlungsanweisungen. Eine Rechnung über 3,371 Millionen RM schickte Hackenbroch am 15. Juli 1935. Einen Tag später wies Popitz diese Zahlung an, ebenso wie die Überweisung von 678.125 RM auf ein Sperrkonto. Das war der Gegenwert für die Kunstwerke, die Rosenberg ausgesucht hatte und exportieren durfte.

Bestätigt wird die Auszahlung der Summe an Hackenbroch durch ein Schreiben der Dresdner Bank vom 17. Juli 1935, durch einen Brief des Frankfurter Wirtschaftsprüfers August Herrgen vom 22. September 1935 und durch einen Aktenvermerk von Februar 1940, demzufolge der Betrag im Haushalt verbucht worden ist.

Alles spricht dafür, dass Hackenbroch die an ihn überwiesene Summe an die Konsortiumsmitglieder ausgezahlt hat. Als er am 9. August 1937 in Frankfurt stirbt, umfasst sein Nachlass jedenfalls eine fünf-, keine siebenstellige Summe.

Rosenberg war offenbar zufrieden

Die Anwälte der Nachkommen bestreiten nicht, dass das Geld geflossen ist. Sie argumentieren aber, dass es darauf nicht ankomme und auch nichts zurückgezahlt werden müsse, weil der gezahlte Preis zu niedrig und der Verkauf unter Druck erfolgt sei. Doch das bestätigen die Akten gerade nicht.

Am selben Tag, an dem Popitz die Zahlung an Hackenbroch anweist, bestätigt der deutsche Zoll die Ausfuhr von „altertümlichen Kunstgegenständen nach England, Gewicht 421,6 Kilogramm, Wert: 678.125 RM“. Diese Lieferung ist in Rosenbergs Londoner Filiale angekommen, denn mehrere Stücke werden wenig später an Kunstsammler verkauft. Am wertvollsten ist ein Altarbild von Carlo Crivelli, einem venezianischen Maler der Frührenaissance. Es wird Ende 1935 auf umgerechnet 273.000 Reichsmark geschätzt, knapp drei Jahre später sogar auf 585.100 Reichsmark.

Heute hängt es im Rijksmuseum in Amsterdam. Rosenberg ist zufrieden: Er schickt zum Dank einen kunsthistorisch bedeutenden Glaspokal als Geschenk nach Berlin. Zuvor hat er dem Chef des Berliner Schlossmuseums, Robert Schmidt, vom 17. bis 19. Juli 1935 den Welfenschatz übergeben. Seither befinden sich die 42 Exponate im Besitz der Berliner Museen.

Wer bekam das Geld?

Das letzte Kriterium der „Washingtoner Prinzipien“ lautet: Konnten die Verkäufer frei über das Geld verfügen? Dazu gibt es kaum Informationen. Denn bis heute ist nicht bekannt, wie genau sich das Konsortium zusammensetzte. Fest steht, dass Hackenbroch und Rosenberg 1935 je 3,75 Prozent hielten, ihr Kollege Julius Goldschmidt 2,5 Prozent. Vermittler Heilbronner war mit 2,5 Prozent beteiligt.

Daneben gab es offenbar drei Personen mit einem Anteil von jeweils 25 Prozent. Von ihnen ist aber nur einer mit Sicherheit bekannt: der Juwelier Hermann Netter, der in Frankfurt ein Schmuckgeschäft betrieb. Möglicherweise war auch der Frankfurter Bankier Willy Dreyfus Mitglied des Konsortiums. Gewiss beteiligt war Fritz Mannheimer, Kunstsammler und Teilhaber der Bank Mendelsohn & Co; er lebte in Amsterdam.

Das Restitutionsbegehren geht im Wesentlichen auf Angehörige von Rosenberg zurück. Deren Anwälte argumentieren, die drei Kunsthändler seien die Eigentümer des Schatzes gewesen; bei Netter und den anderen Beteiligten habe es sich nur um Investoren gehandelt. Deshalb fordern sie die Herausgabe des gesamten Schatzes; eventuelle Ansprüche würden sie dann separat regeln.

Jewish Claims Conference hält sich raus

Jedoch sah sich Rosenberg den Akten zufolge als Geschäftsführer, nicht als Eigentümer: Er verwies darauf, dass er mit dem Konsortium Rücksprache halten müsse. Die genauen Verhältnisse klären könnte wohl nur der Konsortialvertrag von 1929, der aber bisher nicht aufgetaucht ist.

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist in einer schwierigen Position. Sie hat schon einige begründete Restitutionsbegehren reibungslos umgesetzt. Doch die Forderung zum Welfenschatz ist nicht begründet, jedenfalls nach gegenwärtigem Wissensstand. Als Indiz mag auch gelten, dass sich die Jewish Claims Conference, die seit ihrer Gründung 1951 die Entschädigungsansprüche jüdischer Opfer des Nationalsozialismus vertritt, aus diesem Restitutionsfall herausgehalten hat.

Trotzdem könnten, wegen der eher vagen „Washingtoner Prinzipien“ und des hohen moralischen Drucks, die Anwälte mit ihrem Verlangen durchaus Erfolg haben. Es hängt von der Limbach-Kommission ab.