Einmal unten ohne U-Bahn fahren. Nun gibt es dafür einen festen Tag. Auf der U-Bahnlinie 2 fuhren Berliner und Touristen ohne Hose oder Rock. Dabei ging es um Spaß, Bier – und für manche um viel mehr.
Irgendwann hinter dem Potsdamer Platz, als die U-Bahnlinie 2 wieder über Tage fährt, die Sonne auf die nackten Beine der Fahrgäste scheint, geschieht plötzlich das, was keiner erwartet hat: Die wild durcheinander gewürfelte Gruppe der Berliner und Neu-Berliner in dicken Jacken und ohne Hosen wird ganz still. Nur die U-Bahn rattert, und Dana, 31, sagt, wie es ist: „Es ist ein bisschen langweilig.“ Sie fragt in die Runde, warum man denn so einen Tag nicht mitten in der Woche veranstalten könne? „Wir sind ja oft die einzigen im U-Bahn-Wagen“, sagt sie, „aber wir wollen doch die Normalen unterhalten.“
Aber das zu ändern ist jetzt schwierig, denn es ist bereits der „13. internationale No-Pants-Day“, und der ist nun mal immer am zweiten Sonntag im Januar. Es soll ein Tag sein, an dem Fahrgäste auch mal ohne Hosen U-Bahn fahren können. Die Idee wurde im Jahr 2002 geboren – natürlich in New York. Damals gab es rund 150 Teilnehmer, von denen acht in Handschellen abgeführt wurden. In diesem Jahr gibt es weltweit rund 60 Städte, die daran teilnehmen und von Skandalen ist bisher nichts bekannt geworden. Die Menschen in Berlin jedenfalls schauen eher belustigt und neugierig als ernsthaft überrascht.
Dabei soll mit der Aktion nicht einmal ein politisches Ziel erreicht werden, etwa für eine Befreiung von irgendwelchen Moralvorstellungen geworben werden. Die Organisatorin, die sich kurz nach 14 Uhr auf einen Strommast an der Schönhauser Allee stellt, bringt es mit ihrer Aufforderung auf den Punkt, als sie in ein Megafon ruft: „Wir wollen ohne Hose U-Bahn fahren und dabei so tun, als wäre nichts.“ Danach teilt sie die rund 120 Leute in drei Gruppen auf, die dann in die U-Bahn steigen. Die meisten sind in Gruppen da, nur wenige trauen sich allein zur Tour in der U2 zwischen Alexanderplatz und Bahnhof Zoo.
„Siri würde ihre Hose anbehalten“
August ist einer von ihnen. „Das ist nur in Berlin so“, sagt der 34 Jahre alte Isländer. „In keiner anderen Stadt der Welt kann man das so erleben.“ In Island kenne einfach jeder jeden. Augusts schwarze, glänzende Unterhose hat er sich extra für diesen Tag angezogen. „Schwarz ist noch dezent.“ Die meisten an diesem Tag haben ihre Unterwäsche extra für diesen Tag ausgewählt. Die Taiwanin Bibi hat gleich ein doppeltes Höschen angezogen, damit ihr nicht kalt wird. Die Berlinerin Samantha hat sich eine Männer-Unterhose von ihrem Vater geliehen und der US-Amerikaner Jake hat sich eine Unterhose von seinem israelischen Mitbewohner Ohad ausgeliehen. Die Brasilianerin Renata hat überhaupt nicht daran gedacht, welche Unterhose sie auswählt, aber Ihr Kleid ist gerade so lang, dass man die Unterhose ohnehin nicht sieht.
Brasilien, Israel, USA, Island – es ist nicht übertrieben zu sagen, dass viele Mitglieder des „No-Pants-Days“ Zugereiste sind, weshalb der Aufruf in Berlin auch auf Deutsch und Englisch verbreitet wurde. Ausdrücklich wurde gebeten, keine „Rüssel-Slips“ oder Tangas zu tragen und gehalten haben sich daran alle. Nur, warum sie mitmachen, können die wenigsten sagen. „Ich hatte nicht besseres vor“, sagen sie. Es sei schließlich Sonntag, man könne ein Bier trinken und Spaß haben.
Nur die 44 Jahre alte Berlinerin Wiebke K. hat sich wirklich zwei plausible Grund überlegt, mitzumachen: „Der erste ist, dass ich ein Lächeln auf die Gesichter der Menschen zaubern will.“ Der zweite Grund habe mit ihrer Arbeit als Beraterin für soziale Dienste zu tun. „Wenn ich meine Klienten immer dazu auffordere, sich aus ihren eingefahrenen Strukturen zu befreien“, sagt sie, „dann sollte ich selbst auch ab und an meine Komfort-Zone verlassen.“
Allein unter Halbnackten
So drehen sich die Gespräche um den Sinn und Unsinn der Aktion, während die Teilnehmer Mickey-Mouse-Gesichter-Shorts oder schwarze Spitze stolz herzeigen. Manche wiederum stehen dann einfach da, tippen auf ihrem Mobiltelefon herum, lesen in ihrem Buch und tun damit genau das, was dir ursprüngliche Idee war: Alltag simulieren. Es gehe schlicht darum, sagen die Organisatoren, die Sehgewohnheiten zu brechen, etwas unerwartetes in den Alltag zu tragen. Etwas zurückgezogen am Rand ziehen sich Ohad und Jake am Bahnhof Zoo wieder ihre Jeans an. „Wir müssen noch auf den Flohmarkt“, sagt Ohad, „aber es war ganz nett, für eine Weile aufzufallen.“
Nur im seltensten Fall ist es wohl zu Szene wie der folgenden gekommen, die sich kurz nach der Station „Eberswalder Straße“ ereignete. Da waren die Hosenlosen in der Überzahl und alle fühlte sich noch überhaupt nicht langweilig an. Ein junger Mann sitzt still da, will mit seinem Rollkoffer nur zum Flughafen. Als er sieht, wie alle ihre Hosen ausziehen, knöpft er sich auch die Jeans auf, zieht sie herunter, aber nur bis zu den Kniekehlen. Vom „No-Pants-Day“ habe er nichts gehört, sagt er, aber angezogen unter Halbnackten, das wollte er nicht.