Arbeitsmarkt

Mindestens 200.000 Berliner profitieren von Mindestlohn

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Andreas Abel

Berlins Arbeitssenatorin Kolat hält die Mindestlohn-Pläne der großen Koalition für sehr wichtig. 200.000 Menschen würden von einem flächendeckenden Mindestlohn profitieren, sagt sie.

Berlins Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD) hat sich für 2014 ein großes Ziel gesetzt: die Quote der Jugendarbeitslosigkeit unter zehn Prozent zu bringen. Derzeit liegt die Quote bei 10,9 Prozent (Stand November 2013). Damit ist schon ein gutes Stück des Weges geschafft.

„Wir haben in Berlin auch eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, anders als im Bund. Das ist in den vergangenen Jahren etwas aus dem Blickfeld geraten. Als ich mein Amt antrat, hatten wir eine Quote in der Jugendarbeitslosigkeit von 14 Prozent“, sagte Kolat im Gespräch mit der Berliner Morgenpost. Auch im europäischen Kontext solle das Thema Jugendarbeitslosigkeit im neuen Jahr stärker aufgegriffen werden.

Die Senatsarbeitsverwaltung habe die Programme für Jugendliche neu ausgerichtet. „Wir wollen Ausbildung in den Betrieben fördern und dort die Ausbildungsfähigkeit der Jugendlichen verbessern.“

Mit der Ausbildungsquote, also dem Anteil der Auszubildenden an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, ist Kolat allerdings nicht zufrieden. „Die Ausbildungsquote geht zurück, das ist nicht in Ordnung. Dabei brauchen die Unternehmen Fachkräfte. Und wer heute nicht ausbildet, dem fehlen morgen die Fachkräfte. Schon aus der ökonomischen Vernunft heraus müssten die Betriebe mehr ausbilden. Wir haben eine hohe Jugendarbeitslosigkeit und wir haben Fachkräftemangel. Beides bekommt man besser in den Griff, wenn man die betriebliche Ausbildung verstärkt“, kritisierte die Senatorin. Natürlich gebe es – ein Spezifikum Berlins – viele kleine Betriebe, die nicht ausbilden könnten oder dürften. Aber das sei nur eine Erklärung für die geringe Quote.

Gute Zusammenarbeit mit der IHK

Kolat würdigte die Bemühungen seitens der Kammern und des Unternehmerverbandes auf diesem Gebiet. „Wir arbeiten sehr eng und gut zusammen“, sagte sie. Allerdings weist die Industrie- und Handelskammer (IHK) die Kritik an der niedrigen Ausbildungsquote zurück. „Eine positive Wirtschaftsentwicklung, wie wir sie derzeit in Berlin haben, wirkt sich erst mit Verzögerung auf den Ausbildungsmarkt aus. Wir haben in Berlin unter jungen Leuten massive Probleme mit der Ausbildungswilligkeit und -fähigkeit.“, sagte IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder dazu bereits in der Vergangenheit. Nicht Stellen, sondern geeignete Bewerber seien knapp.

Der Senat fördere die betriebliche Ausbildung zum einen durch die Kooperation mit Unternehmen zu Gunsten von Jugendlichen, die schwer vermittelbar sind, erläuterte Dilek Kolat. Darüber hinaus unterstütze er Unternehmen, die selbst ausbilden. Gefördert würden Ausbildungsverbünde, zum Beispiel in der Industrie und im Handwerk.

Ein neues Modellprojekt sei im Baubereich entwickelt worden. Die Branche sei von der Auftragslage her zurzeit gut aufgestellt, habe aber große Probleme, Fachkräfte und Nachwuchs zu finden. Nun könnten Jugendliche, die Probleme hätten, den Weg in eine Ausbildung zu finden, Langzeitpraktika auf einem Lehrbauhof absolvieren. Dort würden sie motiviert, eine Ausbildung zu machen und könnten zudem ihre Stärken und Interessen ausloten. Dies könne auch Vorbild für andere Branchen sein.

Ingesamt wertete Kolat die Entwicklung des Arbeitsmarktes in Berlin als „sehr positiv“. Die wirtschaftliche Dynamik halte an. Wachstum und Beschäftigungszuwachs würden aber nicht automatisch einen Abbau der Arbeitslosigkeit bedeuten. Es gebe aber auch viel Zuwanderung nach Berlin, auch international, zudem eine hohe Pendlerquote aus Brandenburg. „Deshalb brauchen wir die aktive Arbeitsmarktpolitik und deshalb haben wir BerlinArbeit konzipiert. Wir haben in Berlin jetzt weniger als 200.000 Arbeitslose. Das war zum letzten Mal vor 20 Jahren so. Und es gibt deutliche Anzeichen, dass das eine nachhaltige Verbesserung ist und nicht nur ein saisonaler Effekt“, sagte sie. Auch bei den Langzeitarbeitslosen sei die Quote im Jahresvergleich um 0,7 Prozentpunkte auf 33,9 Prozent gesenkt worden. Immerhin: Das sind drei Prozent weniger Langzeitarbeitslose als im Bundesvergleich.

Individuelle Hilfe

Im Juli 2012 hat die Senatsarbeitsverwaltung das Konzept „BerlinArbeit“ gestartet. „Wir richten die Berliner Arbeitsmarkt-, Beschäftigungs- und Ausbildungspolitik auf den ersten Arbeitsmarkt aus“, betonte Kolat. Die Beschäftigungsprogramme müssten so konzipiert sein, dass die Arbeitslosen eine Chance haben, auf dem ersten Arbeitsmarkt zu bestehen. Eine große Rolle spiele dabei das „Berliner Job Coaching“. Menschen, die in Beschäftigungsmaßnahmen tätig sind, würden individuell begleitet, ihre Qualifikation ermittelt, ein Bildungsplan erstellt. Ziel sei, einzelfallbezogen einen Weg aus der Arbeitslosigkeit zu ebnen und dabei die Dynamik der Wirtschaftslage zu nutzen. „Individuelles Coaching hilft bei Langzeitarbeitslosen definitiv am besten“, ist die Senatorin überzeugt. „Das Programm haben wir vollständig in Berlin entwickelt. Es gibt ein Potenzial für das Coaching von mehr als 20.000 Menschen, und es gibt das Vorurteil, dass Langzeitarbeitslose das gar nicht wollen. Wir haben erst 2013 damit angefangen, und es ist eine sehr positive Erfahrung, dass wir jetzt bereits 9700 Coachings hatten – auf freiwilliger Basis.“

Die Senatorin erwartet Impulse für den Berliner Arbeitsmarkt aus dem Koalitionsvertrag im Bund. Dort stehe zum Beispiel, die Gruppe der 25- bis 35-Jährigen zu unterstützen. „Wir haben in jedem Jahr unversorgte Jugendliche. Um die mache ich mir Sorgen. Die kommen aus der Schule und finden keinen Ausbildungsplatz.“ Das seien aktuell über 1500. „Wir haben aber auch freie Ausbildungsplätze. Das passt nicht zusammen. Wir aktivieren daher Altbewerber, die in den vergangenen Jahren keinen Ausbildungsplatz bekommen haben.“ Diese Zielgruppe könne man allerdings nicht „mit einer Ausbildungsvergütung nach Hause schicken“. Es sei für Berlin ungemein wichtig, dass man Anreize für sie schafft.

Ein weiterer positiver Punkt im Koalitionsvertrag sei das Ziel, Jugendberufsagenturen für Unter-25-Jährige bundesweit einzurichten. „Die Jugendlichen sollen aus einer Hand betreut werden, damit sie nicht von einer Maßnahme in die nächste stolpern“, sagte Kolat. Zurzeit gibt es diverse Zuständigkeiten: Jugendhilfe und Jugendberufshilfe organisieren die Bezirke, die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit und der Senat haben ebenfalls Programme. „Wir haben gute Ansätze in verschiedenen Bezirken. Schließlich sieht der Koalitionsvertrag auch Verbesserungen für Beschäftigte in der Kreativ- und Kulturszene vor. „Davon werden gerade in Berlin viele Menschen profitieren können“, freute sich Kolat. So ist vorgesehen, die Rahmenfrist, innerhalb derer eine Anwartschaft für den Bezug von Arbeitslosengeld erfüllt werden muss, von zwei auf drei Jahre zu erhöhen.

Sehr wichtig für Berlin seien die Beschlüsse zum Mindestlohn. Nach Schätzungen der Senatsarbeitsverwaltung würden mindestens 200.000 Menschen. Hinzu kämen etwa 70.000 Minijobber, rund 30 Prozent dieser Gruppe. „Die Zahl der Aufstocker wird sich reduzieren. Unternehmen, die nicht ordentlich entlohnen, sichern sich einen Wettbewerbsvorteil, das zahlt die Allgemeinheit. Das Gesetz wird die Wettbewerbsgerechtigkeit erhöhen und die öffentlichen Kassen entlasten“, erwartet Arbeitssenatorin Kolat.