Ambulanz

Am Bahnhof Zoo behandelt Chirurg Dietmar Eilers Obdachlose

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Foto: Christian Kielmann

Zuhören, Schmerzen lindern, Verbände wechseln: Es ist viel, was der einstige Oberarzt der Schlossparkklinik in der Caritas Ambulanz leistet - für Menschen, die sonst keine Behandlung bekämen.

Immer Freitags ist Dietmar Eilers in der Caritas Ambulanz für Wohnungslose anzutreffen. Seit fast fünf Jahren. Wenn sein Dienst um 10 Uhr beginnt, warten schon die ersten Patienten ziemlich derangiert im Wartezimmer in der Jebenstraße 3, direkt hinter dem Bahnhof Zoo. Gleich daneben liegt das Helmut Newton Foto Museum mit den langbeinigen Schönen. Schräg gegenüber ist die Bahnhofmission.

Dietmar Eilers war in seinem ersten Berufsleben Oberarzt in der Schlossparkklinik. Dort begaben sich auch schon mal Prominente unter sein Messer. Jetzt kommen seine Patienten überwiegend aus Osteuropa und sprechen wenig deutsch. Als Chirurg an der Schlossparkklinik stand er um sechs Uhr auf, da ist ein Arbeitsbeginn um 10 Uhr unbezahlter Luxus.

In der Unterführung am Zoo sieht man Schlafsäcke, Decken, Plastiktüten, leere Flaschen. Ein freundlicher Mann von der Stadtreinigung weckt die, die nicht aufwachen mögen. Er hat den Auftrag hier sauber zu machen. Das, was eben noch als Bett gedient hat, wird jetzt eingesammelt oder weggekehrt. Im Hausflur der Ambulanz riecht es nach durchzechten Nächten und deren Überbleibseln. Ein Mann, der dort die Nacht verbracht hat, versucht gerade in die Realität zurückzukehren. Nur sein Blick auf die vorbeigehenden Passenten verrät, dass er sie doch für ziemliche Aliens hält. Im Eingang der Ambulanz empfängt Schwester Monika die Patienten. Beim Wechseln der oft mehrere Wochen alten Verbände trägt sie Mundschutz.

Berliner Morgenpost: Herr Eilers, geruchsempfindlich darf man hier nicht sein, oder?

Dietmar Eilers: Nein, darf man nicht. Die Verbände, die wir abnehmen, entsorgen wir direkt und öffnen die Fenster.

Warum haben Sie sich für die Wohnungslosen-Ambulanz entschieden?

Ich habe 35 Jahre als Chirurg in der Schlossparkklinik gearbeitet. Jetzt bin ich in Pension, möchte aber noch mit meinen Kenntnissen irgendwie der Menschheit nützen, um es mal pathetisch zu sagen. Wenn ich freitags meinen Dienst antrete, dann gibt es was zu tun. Es geht ziemlich hektisch zu. Ich mache hier so etwa alles, was eigentlich eher einem praktischen Arzt entsprechen würde. Wechsele Verbände, kümmere mich um Läuse. Hier begegnet einem so einiges. Das schöne dabei ist, ich frische all das auf, was ich mal in meinem Studium gelernt habe. Ich lerne was dazu. Das bereitet mir Vergnügen. Ich bin hier willkommen.

Für Kaliber wie Sie gibt es doch sicher auch ganz andere Tätigkeiten. Sie verdienen hier keinen Cent.

Ja, das stimmt. Einmal wurde ich von einer ehemaligen Kollegin auch darauf angesprochen, was anderes zu machen. Aber da war hier die Trauer groß. Und ich brauche nicht unbedingt mehr Geld für Reisen und so. Das reicht für meine Familie und mich. Und ich bin geblieben. Wohl sehr zur Freude der Schwestern. Ich muss nicht bis 75 Leistenbrüche und Krampfadern operieren.

Wer unterstützt Sie?

Schwester Jeannette und Schwester Monika. Schwester Jeannette ersetzt einen ganzen Doktor. Sie ist die Seele des Betriebes.

Was sind die täglichen Herausforderungen?

Die Patienten, die sich hier einfinden, haben sehr starke Hautprobleme, die akut behandelt werden müssen. Ich bin ja kein Dermatologe. Ich musste da viel dazulernen, habe mich mit Kollegen ausgetauscht. Das gibt einem auch was, wenn man das hinbekommt. Was wir hier nicht selbst machen können, vermitteln wir weiter zum Beispiel an das Bundeswehr-Krankenhaus. Wir können hier gewiss nicht perfekt sein, aber doch helfen, zuhören, lindern, mit den Patienten reden.

Klappt das auch? Wie sieht es mit der Zuverlässigkeit aus? Kommen die Leute später zur Nachbehandlung wieder?

Eben nicht, dass ist ja unser Problem. Sie bekommen die Menschen nur sehr schwer dazu Termine einzuhalten. Sie kommen, wenn Matthäi am letzten ist, sozusagen. Wir legen hier für jeden Patienten eine Krankenakte an, aber die meisten tauchen erst mal nicht mehr auf. Ein Patient wäre fast mal erfroren, weil er es nicht mehr ins Nachtasyl geschafft hat. Aus Scham, nicht unbedingt aus gesundheitlicher Schwäche. Trauen sich nicht am Pförtner vorbei, die Leute.

Die Folgen?

Stellen sie sich einen Diabetiker vor, den muss man systemisch behandeln, um Folgekrankheiten zu vermeiden. Es gibt Patienten, die laufen vier Wochen mit einem dreckigen Verband herum, haben Geschwüre am Bein, Gefäßkrankheiten, die Leber ist angegriffen.

Gibt es denn keinen Sozialarbeiter, der da mal jemanden begleiten könnte?

Leider gibt es den nicht. Obwohl ich doch glaube, dass der hier wirklich nötig wäre und viel zu tun hätte. Aber das ist eine Sache der Caritas.

Haben Sie junge Kollegen, Medizinstudenten? Die könnten hier ja jede Menge Praxis sammeln.

Nein, leider gar nicht. Ich vermute das liegt daran, das hier keine Famulatur möglich ist. Dabei könnten sie hier jede Menge von uns alten Hasen lernen. Die könnten hier sehen, wie schlecht es Menschen gehen kann. Früher hatte ich keine Patienten mit Läusen. Aber es gibt auch Erfolgsmeldungen. Ich habe mal einen Mann aus Polen behandelt, der erst nachdem ihm ein Bein abgenommen wurde, aufgehört hat zu rauchen und zu trinken. Er kam regelmäßig, um den Stumpf versorgen zu lassen und ist dann wohl zu seiner Familie nach Polen zurückgegangen.

Welche Menschen landen bei Ihnen?

Jede Menge Menschen, die ihre Schicksalschläge nicht überwinden konnten. Ich hatte schon Patienten, da war der eine Schornsteinfeger, den seine Frau verlassen hatte, der andere Geschäftsführer eines großen Lebensmittelkonzerns. Die meisten unserer Patienten kommen aber aus Polen, Bulgarien, Rumänien.

Interview: Anke-Sophie Meyer